Feindselig sitzengeblieben

Feindselig sitzengeblieben

Vor 65 Jahren starb Journalisten-Legende und bekennender Kommunist Egon Erwin Kisch

27. 3. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: APZ

Als Egon Erwin Kisch zum Schulabschluss den Berufswunsch „Journalist“ angab, erntete er von seinen Lehrern Kopfschütteln. In einer Lehrerkonferenz wurde dann darüber befunden, ob er mit dem seinerzeit eher gering geschätzten Arbeitsfeld nicht das Ansehen der Schule schädigen könnte. Kisch wurde schließlich angewiesen, als Beruf „Publizist“ anzugeben. 1906 begann Kisch bei der „Prager Zeitung Bohemia“ als Lokalreporter, der damals niedrigsten Stufe journalistischer Tätigkeit. Mit seinen Berichterstattungen aus Prag und Berlin, den Reiseberichten aus Russland, den USA, China und Australien hat Kisch wie kein anderer die Reportage zu einer angesehenen literarischen Kunstform entwickelt. Was ihn bei seinen Recherchen antrieb, war die Leidenschaft für die Wahrheit. „Nichts ist erregender als die Wahrheit“, war Kisch überzeugt. Sein Interesse galt dabei vor allem den sozial Deklassierten. Ihre Lebenswirklichkeit kann laut Kisch nur derjenige authentisch beschreiben, der versucht, in ihre Rolle zu schlüpfen, was er immer wieder praktizierte: „Ich drängte mich mit der Masse der Frierenden in den Wärmestuben, ich wartete mit den Hungernden in der Volksküche auf die Armensuppe, ich nächtigte mit den Obdachlosen im Nachtasyl, mit den Arbeitslosen hackte ich Eis auf der Moldau, schwamm als Flößerbursch nach Hamburg, statierte im Theater, zog mit dem Heerbann des Lumpenproletariats ins Saazer Land auf Hopfenpflücke und arbeitete als Gehilfe eines Hundefängers.“

Kein Paradies
Wie intensiv sich Kisch der Wahrheit verpflichtet fühlte, belegen auch seine Kriegstagebücher aus dem Ersten Weltkrieg. Kisch gehörte zu den wenigen Autoren, die schon zu Beginn des Krieges nicht in den Hurra-Patriotismus einstimmten. Von seinen Frontberichten, die ungeschminkt die Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges schilderten, meinte Tucholsky, sie gehörten in die Schullesebücher. Kisch war rastlos tätig, wenn es darum ging, falsche Propaganda zu entlarven und gesellschaftliche Missstände aufzudecken. Sein Credo lautete: „Jede wirkliche Kunst muss wahrhaft sein gegen die Lügen der herrschenden Klasse.“ Sein Amerika-Buch nennt er ironisch „Paradies Amerika“, denn für ihn ist dieses Land lediglich ein Paradies für Unternehmer. Kisch reiste mehrfach in die Sow­jetunion und es stellt sich die Frage, inwiefern es ihm auch hier wichtig war, die Propaganda der Herrschenden kritisch zu hinterfragen.

Von 1919 bis zu seinem Lebensende war Kisch Mitglied der Kommunistischen Partei. Ein verlässlicher Parteisoldat wird er nicht gewesen sein. Dagegen spricht schon seine Vorliebe für Humor, Witz und Ironie. Öffentlich hat sich Kisch allerdings vorbehaltlos zum Kommunismus bekannt und auch an Stalins Verbrechen keine Kritik geübt. 1928 stellt er die Möglichkeiten der Presse- und Redefreiheit in der Sowjetunion als vorbildlich im Vergleich zu den westlichen Staaten dar. 1930 tritt er aus der Deutschen Liga für Menschenrechte aus, weil die Organisation Menschenrechts­verletzungen des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion verurteilte. 1937 greift er in scharfer Weise André Gide an, der nach einer mehrmonatigen Reise durch die Sowjetunion Kritik am kommunistischen Regime geübt hatte. Im gleichen Jahr veröffentlicht Kisch einen enthusiastischen Bericht über den Maifeiertag auf dem Roten Platz in Moskau: „Dieser Ozean der Freude, diese Armeen von Armisten und Arbeitern, dieser Jubel der Kinder, diese Banner, und alle grüßen die Partei, der sie ihr Glück verdanken und die, verkörpert durch den lachenden Genossen Stalin, ihren Gruß erwidert.“ 1943 bezeichnet er Personen, die sich wegen des Hitler-Stalin-Paktes vom Kommunismus losgesagt hatten, als irregeleitete Propagandisten einer antisowjetischen Hetze.

Aus Kischs Freundeskreis gibt es Zeugen dafür, dass Kisch privat sehr wohl erwogen hat, die Partei zu verlassen. Ernst Bloch hat ihn 1941, als Kisch nach dem Hitler-Stalin-Pakt angewidert die Partei verlassen wollte, nur mit Mühe von diesem Schritt abbringen können. Der Schriftsteller Hermann Kesten erinnert sich, dass Kisch 1935 bei den ersten Nachrichten von den Schauprozessen in Moskau geweint habe. Die Publizistin Margarete Buber-Neumann berichtet, wie „herzerfrischend“ Kisch eines Abends im kleinen Kreis „gegen die verdammte Heuchelei in Sowjetrussland“ vom Leder zog. Aber dann habe seine Frau ihn zurecht gewiesen und er sei verstummt.

Große Erwartungen
Vermutlich sah Kisch, wie so manche anderen Linksintellektuelle, in der Sowjetunion die einzige Macht, die in der Lage war, den Nationalsozialismus zu besiegen. Vielleicht hoffte er darauf, dass nach einem gewonnenen Krieg die Sowjetmacht zu jener Humanität zurückfinden würde, die er mit seinen Vorstellungen vom Kommunismus verband. Vielleicht war er auch selbstkritisch genug, sich einzugestehen, dass er nicht immer seinem hohen Anspruch, für die Wahrheit einzutreten, gerecht werden konnte. Robert Musil erzählt, wie sich Kisch bei seiner Frau darüber beklagt habe, dass er sich den Klatsch und Tratsch einiger Gäste bei einem Essen habe anhören müssen: „Meine Frau erwiderte ihm darauf: ,Aber Sie sind dabeigesessen ohne fortzugehen.‘ – ,Ja‘, sagte er, ,aber ich bin feindselig sitzengeblieben!‘“

1946 kehrte Kisch aus seinem Exil in Mexiko nach Prag zurück. Die Einladung, verbunden mit der Bitte am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken, hatten Klement Gottwald als Vorsitzender der KSČ und Rudolf Slánský, der Generalsekretär der Partei, persönlich unterschrieben. Im Prager Saal Lucerna wurde Kisch stürmisch von den Delegierten der Kommunistischen Partei gefeiert. Als er am 31. März 1948, fünf Wochen nach der Machtübernahme der Kommunisten, starb, bereitete ihm die kommunistische Regierung ein Staatsbegräbnis mit einem Trauer­zug durch die Stadt zum Wenzelsplatz. Welches Schicksal hätte Kisch in der wenige Jahre später einsetzenden stalinistischen Verfolgungswelle erwartet?

Optimistisch hat Kisch einmal von sich gesagt, ihm könne eigentlich nichts passieren. „Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus gutem Hause. Ich bin Kommunist. Ich bin Corpsbursch. Etwas davon hilft mir immer.“ Doch seine Biografie enthielt für die Stalinisten genügend Verdachtsmomente, um ihm den Prozess zu machen. Es spricht viel dafür, dass der Kafka-Forscher Eduard Goldstücker, der im Zusammenhang mit dem Slánský-Prozess zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt wurde, Recht hatte, als er sagte: Egon Erwin Kisch hat Glück gehabt, dass er so früh gestorben ist.