Feiern am Abgrund

Feiern am Abgrund

Vor 25 Jahren wurde die ODS gegründet. Die Bürgerdemokraten waren einmal die wichtigste Partei des Landes. Heute laufen ihnen Wähler und Mitglieder davon

20. 4. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: ČTK/Jaroslav Ožana

 

Man kann sich kaum vorstellen, dass der ODS an ihrem 25. Geburtstag zum Feiern zumute ist. Laut dem Meinungsforschungsinstitut CVVM würden derzeit gerade einmal 5,5 Prozent der Wähler für die Bürgerdemokraten stimmen. Dem Vorsitzenden Petr Fiala vertrauen demnach 13 Prozent der Bürger. Zum Vergleich: An der Spitze steht der Finanzminister und Konzern­eigentümer Andrej Babiš (ANO) mit 47 Prozent, Rechtspopulist Tomio Okamura erreicht 33 Prozent. Und die Zahl der Mitglieder lag im Januar bei weniger als 15.000. Das sind nicht einmal mehr halb so viele wie 2010.

Umso schwerer dürften diese Zahlen für die ODS-Anhänger zu ertragen sein, wenn sie auf das vergangene Vierteljahrhundert zurückblicken. „Die Bürgerliche Demokratische Partei gilt schon seit Monaten als Favorit der Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus“, hieß es zum Beispiel im Mai 2006 in der „Prager Zeitung“. Wenige Wochen später holten sie mit 35,4 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis. Und wurden mit 81 von 200 Abgeordneten die stärkste politische Kraft. Sieben Jahre später erreichte sie nur noch knapp acht Prozent und stellte nach den Christdemokraten und Úsvit (jeweils sieben Prozent) die drittkleinste Fraktion. Was war passiert?

Ob die ODS in den vergangenen zehn Jahren die größten politischen Skandale verbuchen musste, ist schwer zu sagen – Korruption, Betrug und Strafanzeigen gab es auch in anderen Parteien. Sicher aber sind die Bürgerdemokraten am heftigsten dafür abgestraft worden. Begonnen hatten sie allerdings mit einem steilen Aufstieg.

Die ODS entstand im April 1991, als das im November 1989 gegründete Bürgerforum (Občanské fórum, OF) auseinanderfiel. Zum Vorsitzenden der ODS wurde damals Václav Klaus gewählt, mit dem die Partei im Juni 1992 mit fast 30 Prozent die Parlamentswahlen auf tschechischem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei gewann. Die Spaltung des Landes in zwei unabhängige Staaten sowie die entscheidende Phase der politischen und wirtschaftlichen Transformation fanden unter der Regie der von Premier Václav Klaus geführten ODS statt.

Krisen und Erfolge
Vier Jahre später siegten die Bürgerdemokraten bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus erneut, diesmal allerdings nur knapp vor den Sozialdemokraten (ČSSD). Die erste Krise folgte ein Jahr später, als Informationen über gesetzeswidrige Praktiken bei der Parteienfinanzierung an die Öffentlichkeit gelangten. Die Regierung musste zurücktreten, weil die Koalitionspartner angesichts des Skandals die Zusammenarbeit aufgekündigt hatten. Bei den vorgezogenen Wahlen 1998 siegte zwar die ČSSD. Die Sozialdemokraten schlossen jedoch einen „Oppositions­vertrag“ mit der ODS, in der Poli­tologen damals die Grundlage für eine verdeckte Koalition der beiden großen Parteien sahen.

Bei den Parlamentswahlen 2002 wurde die ODS dafür abgestraft. Václav Klaus zog sich von der Partei­spitze zurück und wurde von Mirek Topolánek abgelöst. Der ehemalige Vorsitzende wurde ein Jahr später zum Präsidenten gewählt, der neue Parteichef führte die Bürgerdemokraten 2006 zum besten Wahlergebnis ihrer Geschichte. Er scheiterte mit dem Versuch, eine Minderheitsregierung zu bilden und formte ein Kabinett aus ODS, Christdemokraten (KDU-ČSL) und Grünen (SZ).

Im Oktober 2008 verlor die Partei bei den Regional- und Senatswahlen. Václav Klaus stellte sich an die Spitze der Kritiker, legte das Amt des Ehrenvorsitzenden nieder und zog sich aus der Partei zurück. Ein Jahr später sprach das Abgeordnetenhaus dem Kabinett Topolánek das Misstrauen aus. Vier Parlamentarier der Regierungsfraktionen – darunter zwei aus der ODS – schlossen sich der Opposition an. Auf die Übergangsregierung des parteilosen Jan Fischer folgte 2010 Petr Nečas als neuer Partei- und Regierungsvor­sitzender. Die ODS hatte ihren Spitzenkandidaten Topolánek nur zwei Monate vor der Wahl gegen Nečas ausgetauscht. Topo­lánek hatte sich zuvor abwertend gegenüber Homosexuellen, der Kirche und Juden geäußert. Bei den Wahlen fuhr die Partei mit rund 20 Prozent zwar ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis ein, konnte aber dennoch mit der konservativen Mitte-rechts-Partei TOP 09 und der Partei „Öffentliche Ange­legenheiten“ (VV) eine Koalition bilden.

Den wahrscheinlich schwersten Schlag versetzte den Bürger­demokraten drei Jahre später die Affäre Nečas. Dessen jetziger Ehefrau wurde damals vorgeworfen, als Geliebte und Büro­leiterin des Premierministers den militärischen Geheimdienst genutzt zu haben, um die damalige Gattin ihres Chefs zu überwachen. Das führte im Juni 2013 zum Sturz der Regierung. Bei den anschließenden Wahlen holte die ODS nur noch 16 Mandate.

Seit 2014 steht Petr Fiala an der Spitze der Partei. Der 51-Jährige ist Politologe, von 2004 bis 2011 war er Rektor der Masaryk-Universität in Brünn. Politisch engagierte er sich zunächst als wissenschaftlicher Berater von Premier Nečas. Von 2012 bis 2013 war er parteiloser Bildungs­minister. In die ODS trat er erst im November 2013 ein.

Was die ODS fordert (aus „14 Thesen der Bürgerdemokraten“)
•    niedrige Steuern, einheitlicher Einkommensteuersatz von 15 Prozent, niedrigere Abgaben für Arbeitgeber
•    liberales Arbeitsgesetz, Bürokratieabbau für Arbeitgeber
•    Unterstützung der Atomenergie, Einfrieren der Förderung erneuerbarer Energiequellen
•    Förderung technischer und naturwissenschaftlicher Schulfächer, Studiengebühren an Hochschulen
•    Unterstützung für Familien, Existenzminimum als einzige Zahlung für „Arbeitsverweigerer“
•    freie Arztwahl, individuelle Krankenversicherung
•    Unterstützung heimischer Lebensmittelhersteller
•    Teilprivatisierung der Tschechischen Bahn, Erhöhung des Tempolimits auf Autobahnen auf bis zu 150 km/h, Einführung einer Promille-Grenze von 0,5
•    „ideologiefreien“ Umweltschutz
•    intensivere Zusammenarbeit mit der Nato, vor allem mit den USA, höhere Ausgaben für Verteidigung
•    aktive Wirtschaftsdiplomatie, keine Euro-Einführung