Fakten und Fiktion

Fakten und Fiktion

Michal Vieweghs „Die Mafia in Prag“ ist in deutscher Übersetzung erschienen

20. 8. 2014 - Text: PZText: red

„Mit seinen fünfundfünfzig Jahren war Darek Balík auch jetzt noch ein eleganter Mann. Fünf Monate in konspirativen Wohnungen lassen allerdings keinen besser aussehen. Die wenigen Haare, die er hatte, waren in der Zwischenzeit noch grauer und dünner geworden, seine Muskeln schlaffer.

Der tägliche Verzehr von Schinkenbaguette mit Mayonnaise, Salami-Pizza oder Kentucky Fried Chicken, die ihm bis zum Überdruss vom Polizeischutz serviert worden waren, brachte ganze fünf Kilo mehr auf der Waage. Sein Rücken tat immer häufiger weh, chronische Verstopfung quälte ihn – und Schlaflosigkeit. Er wusste viel zu viel, um schlafen zu können. An seinem unruhigen Schlaf waren natürlich auch all die Kisten mit toskanischem Rotwein schuld, die Darek Balík in den letzten Monaten leergetrunken hatte. Dem Wein warf er aber nichts vor, im Gegenteil. Ohne ihn hätte er die endlosen einsamen Abende kaum überlebt. Der Wein war sein einziger Kamerad. Er hörte ihm zu und half ihm dabei, seine Verzweiflung und die Selbstvorwürfe zu übertünchen, seine Angst zu beherrschen. Die Angst vor dem Tag, an dem er aus dem Zeugenschutzprogramm entlassen werden könnte – ohne den vom Innenminister hoch und heilig versprochenen Identitätswechsel.“

Darek Balík ist ehemaliger Lobbyist. Er wird als Kronzeuge von der Polizei bewacht. An wechselnden geheimen Orten versucht er, sich Zeit und Angst mit Wein und Zeitungen zu vertreiben. Als ihm der Innenminister plötzlich den Zeugenschutz entzieht, sieht sich der Mittfünfziger zahlreichen Rivalen ausgeliefert: Der im Luxus schwelgende Prager Bürgermeister, der lokale Pate, die russische Mafia – alle jagen ihm und dem kompromittierenden Material, das er gesammelt hat, hinterher.

Balík ist der Protagonist des ersten Kriminalromans von Michal Viewegh „Die Mafia in Prag“. Für seine Detektivgeschichte, die drei Jahre nach ihrem Erscheinen seit wenigen Tagen in der deutschen Übersetzung vorliegt, hat der Prager Schriftsteller Korruptionsfälle und Lobbypraktiken aus der tschechischen Politszene recherchiert. Mit Unterstützung des Journalisten Jaroslav Kmenta – Autor der Trilogie über den 2006 ermordeten Unterweltboss František Mrázek – entstand ein Buch, in dem sich Fakten und Fiktion zu einem hochaktuellen Roman verweben. Als er an der Geschichte arbeitete, konnte Viewegh kaum wissen, dass beispielsweise eine Korruptionsaffäre zwei Jahre später die Regierung von Petr Nečas zu Fall bringen würde.

Das Ergebnis ist ein leicht zu lesender, bisweilen in seiner Handlung ebenso leicht absehbarer Roman, der kein gutes Haar an der tschechischen Politik lässt. Am Ende bleibt ein desillusionierter Leser, bei dem Wahlslogans und -plakate künftig einen recht faden Beigeschmack hinterlassen dürften.

Michal Viewegh zählt zu den meistgelesenen tschechischen Autoren. Der 52-Jährige hat bisher 13 Romane und zahlreiche Erzählungen veröffentlicht. 1993 erhielt Viewegh den Jiří-Orten-Literaturpreis. Zu seinen bekanntesten in deutscher Sprache erschienenen Romanen gehören „Blendende Jahre für Hunde“ (1998), „Der Fall untreue Klára“ (2007) und „Engel des letzten Tages“ (2011).

Michal Viewegh: Die Mafia in Prag. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. Deuticke Verlag, Wien 2014, 316 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-552-06258-0

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