EU fordert Beamtengesetz

EU fordert Beamtengesetz

Tschechien schiebt seit neun Jahren eine Entpolitisierung der staatlichen Ämter auf. Nun droht Brüssel, 20 Milliarden Euro einzufrieren

5. 6. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: EU

Es war reine Routine. Wie jedes Jahr gab die EU-Kommission ihre Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten heraus: Anhaltspunkte für eine – zumindest in den Augen der Kommissare – nachhaltig wachstumsfördernde Politik in den Jahren 2013 und 2014. „Europa muss die Krise überwinden“, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Auch in Tschechien hätten die „länderspezifischen Empfehlungen“ zur Realisierung der EU-Kernziele im Normalfall keine Wellen geschlagen. Wenn die Kommission zu einer der Empfehlungen nicht noch etwas nachgeschoben hätte: Sollte Prag bis Ende des Jahres kein funktionierendes Beamtengesetz einführen, dreht die Kommission den Geldhahn zu. Tschechien droht der Verlust von knapp 20 Milliarden Euro aus den Strukturfonds der EU.

Das wäre eine Katastrophe. Entsprechend schaffte es der Brüsseler bürokratische Akt kurzzeitig in die tschechischen Schlagzeilen – bis das Hochwasser sie von den Nachrichtenseiten spülte. Was aber hat es mit dem Beamtengesetz auf sich? Als einziger Mitgliedsstaat hat es Tschechien noch nicht geschafft, die entsprechenden Paragraphen in Kraft treten zu lassen. Und das, obwohl das Gesetz eine Bedingung für den EU-Beitritt vor neun Jahren war.

Beschneidung der Macht
Seit August 2012 liegt nun ein Entwurf des Innenministeriums vor. Ziel eines solchen Reglements soll die Beschneidung der Macht von Politikern auf Beamte sein. Damit soll die Korruptionsanfälligkeit auf den Ämtern gemildert und die Effektivität gesteigert werden. Die Regierung habe versprochen, ein Gesetz vorzulegen, dass für eine Entpolitisierung, Professionalisierung und Stabilisierung der öffentlichen Ämter sorgt, sagt Lenka Petráková von der Nichtregierungsorganisation „Oživení“ („Belebung“). Und zeigt sich enttäuscht: „Es handelt sich nicht um ein Antikorruptionsgesetz, sondern um die gesetzliche Verankerung der aktuellen schlechten Verfahren.“
Was diese schlechten Verfahren in der Beamtenpraxis bedeuten, weiß Viktorie. Sie hat bis vor kurzem am Innenministerium gearbeitet und möchte ihren wirklichen Namen geheim halten. Während ihrer knapp drei Jahre am Ministerium arbeitete sie für zwei Minister und sechs Abteilungsleiter – innerhalb einer einzigen Legislaturperiode. „Für meine Arbeit hat das immer einen radikalen Kurswechsel bedeutet“, so die 34-Jährige. Interne Regelungen galten plötzlich nicht mehr, laufende Ausschreibungen wurden eingestampft und neu ausgeschrieben.

Am heftigsten dreht sich das Personalkarussell nach Parlamentswahlen. Die neuen Minister hegen tiefes Misstrauen gegen die Vertrauten ihrer Vorgänger, besetzen Schlüsselpositionen mit ihren eigenen Günstlingen. Unliebsame Mitarbeiter werden ausgesiebt. „Wenn die Regierung nach den Wahlen die entscheidenden Leute austauscht, ist es so, als fange man wieder bei Null an“, ermahnte bereits Ende vergangenen Jahres der EU-Kommissar für Regionalpolitik Johannes Hahn bei einem Besuch in Prag.

Besonders problematisch hat sich der übermäßige politische Einfluss am Schulministerium unter dem inzwischen zurückgetretenen Josef Dobeš (damals VV) ausgewirkt. Die Beamten hatten Schwierigkeiten bei der Schöpfung von EU-Geldern; mehrmals stellte Brüssel die Zahlungen ein. Der Grund: Die entscheidenden Stellen wurden nach politischer Loyalität besetzt, nicht nach Eignung.

Blinder Gehorsam
Was passieren kann, wenn man sich gegen die unlauteren Praktiken am Ministerium stellt, musste Viktorie in den vergangenen Monaten erfahren. Da sie sich weigerte, die Anweisungen der neuen Führung blind zu befolgen, wurden ihr immer öfter Aufgaben zugeteilt, die nicht zu erfüllen waren. Es folgten Abmahnungen, Disziplinarverfahren. Viktorie hat gekündigt.

Genau solche Methoden soll ein Beamtengesetz unterbinden. Die wichtigsten Forderungen der Nichtregierungsorganisationen: eine Entpolitisierung von Auswahlverfahren, die Einführung einer staatlichen Behördenaufsicht, größere Verantwortlichkeit für die Beamten.

Der Entwurf des Innenministeriums löst diese Forderungen nicht ein, das hat nun auch Brüssel bestätigt. Der Regierungssekretär für europäische Angelegenheiten Vojtěch Belling wies die Kritik scharf zurück. Der Kommission liege eine veraltete Version des Gesetzentwurfs vor. Darin gab ihm Brüssel recht. Allerdings hat sich laut Radim Bureš von Transparency International an den entscheidenden Schwachstellen des Gesetzestextes nichts geändert.

Die Initiative „Rekonstrukce státu“, ein Bündnis der tschechischen NGOs gegen das Korruptionsproblem des Landes, fordert die Rückkehr zu einem Gesetz der ČSSD, das aus dem Jahr 2002 stammt und die entscheidenden Probleme effektiv angeht. Die endgültige Einführung der Maßnahmen wurde allerdings von den Regierungen seit nunmehr elf Jahren aufgeschoben. Heute ist vor allem die ODS gegen das Beamtengesetz von 2002. Aus Teilen der Koalitionspartei TOP 09 hingegen sind Rufe nach einer schnellen Durchsetzung der Forderungen zu vernehmen.

Die Verhandlung des vom Innenministeriums vorgeschlagenen Beamtengesetzes wurde am Mittwoch vergangener Woche erneut vertagt. Die EU-Kommission wollte das nicht kommentieren. Entscheidend sei nicht der Weg zu einer funktionierenden Regelung, sondern das Ergebnis.

Ratschläge aus Brüssel
Die EU braucht Wachstum, Arbeitsplätze und auf keinen Fall weitere Schuldenstaaten. Jedes Jahr überprüft Brüssel die politischen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten auf Nachhaltigkeit und gibt Empfehlungen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso fordert Prag unter anderem dazu auf:

– die Haushaltspläne für 2013 einzuhalten und wie geplant unter der Defizitgrenze von drei Prozent zu bleiben. Ab 2014 solle man dann aber vermehrt wachstumsfördernd investieren – auch aus EU-Töpfen.

– Steuerungleichheiten zwischen Selbständigen und Angestellten zu entfernen. Damit ist auch die weit  verbreitete Scheinselbständigkeit gemeint, bei der unverhältnismäßig weniger an den Staat abgeführt wird als bei Angestellten.

– die Erhöhung des Renteneinstiegsalters zu beschleunigen und dabei die Anstellung von Senioren zu unterstützen. Staatliche Förderungen für Frührentner hingegen sollen abgeschafft werden.

– die Antikorruptionsstrategie für 2013 und 2014 umzusetzen. Ausdrücklich wird zur Einführung des Beamtengesetzes gemahnt, das einen effektiven, stabilen und professionellen Behördengang ermöglicht. Zudem soll die Verwaltung europäischer Strukturfonds verbessert werden.

– die Benachteiligung von Roma-Kindern im Schulwesen zu beseitigen.