Erst regieren, dann streiten

Erst regieren, dann streiten

ČSSD, ANO und KDU-ČSL wollen an die Arbeit. Im neuen Koalitionsvertrag lassen sie deshalb Streitpunkte aus

19. 12. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: čtk

 

Lubomír Zaorálek redete am vergangenen Donnerstag überraschend offen. „In diesem Moment geht es vor allem darum, dass der Vertrag von allen drei Parteiführungen abgesegnet wird“, so der Vizevorsitzende der Sozialdemokraten (ČSSD) zum Koalitionsvertrag mit ANO und KDU-ČSL. Erstmal regieren und dann streiten, darauf scheint sich die Dreierkoalition geeinigt zu haben. Man möchte die Beamtenregierung von Zemans Gnaden so schnell wie möglich ablösen. Zuletzt ließen die Sozialdemokraten deshalb auf Druck von Andrej Babišs ANO gar nachträglich die sogenannte „Minimalsteuer“ für Selbständige aus dem Dokument streichen.

Inzwischen haben alle drei Vertragspartner ihre Unterschriften zugesichert. Die ČSSD ließ von einer Abstimmung durch die Parteibasis ab, denn, so Parteichef Bohuslav Sobotka, der Text bestehe zu 80 Prozent aus dem Programm seiner Partei. Sein parteiinterner Rivale Michal Hašek hingegen spricht von einem Kompromiss. Ähnlich sehen das auch die politischen Beobachter. Die Koalition wolle zugleich spendabel und sparsam sein. Diskussionen über strittige Punkte, wie etwa die von der ČSSD geforderte Anhebung der Gewerbesteuer, wurden vertagt. Die erste Regierungskrise, da ist sich Politologe Lubomír Kopeček sicher, wird nicht lange auf sich warten lassen.

Zunächst aber wird über die Ministerposten gestritten. Vor allem mit der KDU-ČSL. Zwei Posten wolle man ihnen bieten, Parteichef Bělobrádek fordert jedoch drei Ministerien und das Ressort Landwirtschaft für sich. Bis Weihnachten soll das Kabinett Sobotka stehen.

Die „Prager Zeitung“ hat sich den 50 Seiten starken Vertrag vorgenommen. Das sind die wichtigsten Vorhaben der Koalition:

Energiepolitik
Die künftige Regierung unterstützt den Ausbau des Atomkraftwerks Temelín. Einen gemeinsamen Standpunkt zur Frage der Erweiterung der Gebietsgrenzen für Kohleförderung in Nordböhmen will man innerhalb der nächsten zwei Jahre finden. Massiv erhöhen möchten die Parteien die Energieeffizienz privater und öffentlicher Gebäude. Zum Thema erneuerbare Energien findet sich nur ein kurzer, unkonkreter Absatz im Vertrag: Man werde Forschung und Entwicklung in diesem Bereich unterstützen.

Landwirtschaft
Prioritäten setzt die Koalition auf die Förderung von Viehzucht. Die Politiker versprechen sich dadurch mehr Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen. Langfristig will die Regierung, an der mit Andrej Babiš maßgeblich einer der größten Nahrungsmittelproduzenten des Landes beteiligt ist, Tschechiens Unabhängigkeit vom Import von Grundnahrungsmitteln sicherstellen.

Verkehr
Vorrangig möchte man den Ausbau der Schnellstraße R35 von West nach Ost vorantreiben – um die Autobahn D1 zu entlasten. Wichtig seien auch die Modernisierung der Bahnstrecken, die das Land von West nach Ost und Nord nach Süd durchkreuzen. Die Regierung befürwortet den Bau einer neuen Schleuse im nordböhmischen Elbtal. Dem von Zeman vorangetriebenen Megaprojekt eines Donau-Oder-Elbe-Kanals müsse eine Einigung mit allen Nachbarländern vorausgehen.

Arbeit und Soziales
Beschlossen ist eine Anhebung des Mindestlohns auf etwa 10.000 Kronen (etwa 360 Euro) im Monat. Steuerrabatte sollen die Teilzeitarbeit vorantreiben. Die private, „zweite Säule“ der Rentenversicherung wird nach nur einem Jahr abgeschafft, ebenso der Großteil der Praxisgebühren. Ab 2015 sollen die Rentenbeiträge wieder der Inflation und dem Anstieg der Reallöhne angepasst werden.

Steuerpolitik
Bis 2015 bleibt alles beim Alten. Danach plant die Koalition, arbeitenden Rentnern Rabatte und Eltern größere Steuervorteile zu gewähren. Steigen soll die Glücksspielsteuer. Einführen will man einen dritten, niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Bücher, Medikamente und Windeln.

Außenpolitik
Hier ist im Vertrag von einer „grundlegenden Veränderung“ zu lesen: Man werde als aktives und verlässliches Mitglied der EU auftreten und alle Vereinbarungen einhalten. Zudem wolle man den Beitritt zur Eurozone vorbereiten – konkretere Daten sucht man auch hier vergeblich. Als entscheidend betrachte man die „Vertiefung des strategischen Dialogs mit Deutschland als größten Wirtschaftspartner Tschechiens“.