„Ein Signal an die Öffentlichkeit“
Handball-WM

„Ein Signal an die Öffentlichkeit“

Die Weltmeisterschaft im Januar ist heftig umstritten. Doch Tschechiens Nationaltorhüter Tomáš Mrkva freut sich auf Ägypten

4. 1. 2021 - Text: Klaus Hanisch

Update, 12.01.2021: Aufgrund zahlreicher Corona-Fälle im Team hat der Tschechische Handball-Verband (ČSH) seine Teilnahme an der WM abgesagt.

PZ: Nicht weniger als 32 Teams nehmen an der WM teil – obwohl das Corona-Virus noch längst nicht besiegt ist. Fahren Sie mit Angst vor einer Ansteckung zur Handball-WM nach Ägypten?
Tomáš Mrkva: Angst habe ich nicht, das wäre übertrieben. Gewisse Zweifel sind natürlich vorhanden. Aber im Großen und Ganzen mache ich mir darüber keinen Kopf. Viele haben daran mitgewirkt, dass für die WM in Ägypten ein Hygiene-Konzept entwickelt wurde. Nun hoffen wir alle, dass es funktioniert und richtig umgesetzt wird. Wir leben dort in einer Blase und sollten darin sicher sein.

Bubbles, also diese Blasen, wurden voriges Jahr auch in den US-Profisportarten angewandt, um die Meisterschaften dort trotz Corona zu Ende zu bringen. Sie denken, das ist eine bewährte Lösung?
Ich glaube, das Konzept für Ägypten wurde sogar in Zusammenarbeit oder nach dem Vorbild der USA erstellt. Also, dass wir dort in einer Bubble leben und mit keinem Menschen außer unserer Gruppe während der WM in Kontakt kommen. Ich habe das verfolgt, für mich ist es für diese Zeit eine sichere Umgebung.

Ihr Landsmann Filip Jícha, Meistertrainer beim THW Kiel, plädierte für eine Verschiebung der WM um ein Jahr nach dem Vorbild von Olympia in Japan. Deutsche Funktionäre sprachen sich im Gegensatz dazu für die WM aus, weil sie auch gegen den Corona-Frust wirken könne. Wofür waren Sie?
Das ist schwer zu beantworten. Auf der einen Seite würde es Sinn ergeben, die WM um ein Jahr zu verschieben. Doch dann gäbe es schon wieder eine Terminkollision mit der EM im nächsten Jahr. Auf der anderen Seite stärkt es natürlich das Image des Handballs, wenn die WM im Januar problemlos durchgeführt wird, ohne Corona-Fälle. Das wäre ein gewaltiger Sieg für den Handball, wenn unsere Sportart in der Lage ist, eine solch große internationale Meisterschaft zu stemmen. Und ein riesiges Signal hinaus in die Öffentlichkeit.

Tschechiens Nr. 1 spielt seit 2010 in der Bundesliga. | © IHF

Bei der WM spielt Tschechien in Gruppe G gegen Gastgeber Ägypten, Chile und Schweden. Die Schweden sind am 14. Januar in Kairo erster Gegner von Tschechien. Ihr schwedischer Vereinskollege vom Bergischen HC Linus Arnesson verzichtet auf das Turnier, weil es ihm zu unsicher ist. Haben Sie auch darüber nachgedacht, die WM abzusagen?
Nein, mit dieser Frage habe ich mich nicht sehr beschäftigt. Die Situation ist so, wie sie ist. Und es macht mir unheimlich viel Spaß, mit der tschechischen Nationalmannschaft zu spielen. Das ist für mich ausschlaggebend. Gleichwohl kann ich Spieler verstehen, die auf die WM verzichten. Es ist schon ein gewisses Risiko da. Und wenn man viele Wochen ohne Familie ist, dann ist das schon ätzend.

Einige deutsche Spieler haben die WM aus Rücksicht auf ihre Familien abgesagt. Auch für Sie ein Kriterium?
Wir haben noch keine Kinder. Meine Frau ist damit einverstanden, dass ich zur WM fahre. Weil es eben eine große Ehre ist, für Tschechien spielen zu dürfen. Von daher war das für mich kein Thema.

Bei der EM im Januar 2020 wurden Sie mit den Worten zitiert, dass die Tschechen große Turniere für ihre Entwicklung nutzen und an weiteren Fortschritten arbeiten sollten. Ist das Ziel bei der WM also: Vorrunde überstehen – oder mehr?
Mit Schweden und Ägypten haben wir zwei schwere Brocken vor der Brust. Aber bei der EM haben wir gesehen, dass wir in der Lage sind, selbst die Größten schlagen zu können, wenn wir unsere Stärken auf die Platte bringen. Zwar nicht jedes Mal, aber ab und zu kann das passieren. Unser Anspruch für die WM ist hoch. Ich glaube, dass wir die Vorrunde überstehen können. Dann muss man weitersehen.

Bei der EM 2020 hielten Sie mehrfach überragend, gegen Spanien mit einer Fangquote von 44 Prozent, gegen Deutschland vier von zwölf Siebenmetern, gegen Kroatien waren Sie sogar der beste Spieler der Partie. Trotzdem gab es Niederlagen in der Hauptrunde. Als Grund dafür nannten Sie, dass vielen Tschechen die Erfahrung gerade in engen Spielen fehle.
Naja, das ist nun schon wieder ein paar Monate her … In der Rückschau würde ich sagen, dass uns auch ein bisschen Kraft gefehlt hat. Und Erfahrung. Wir haben gelernt, dass dumme Fehler auf diesem Niveau im Spitzenhandball sofort bestraft werden. Das hat uns damals immer wieder in die Knie gezwungen. Trotzdem haben wir immer weitergemacht und meiner Meinung nach auch gute Ergebnisse erzielt, obwohl wir die Spiele in der Hauptrunde verloren haben. Aber nun sind wir alle ein Jahr älter und ein Jahr erfahrener. Jeder von uns spielt über das ganze Jahr auf einem guten Level. Zudem hat manche Nationalmannschaft Probleme mit verletzten Spielern. Und wer weiß, was die Corona-Pause im Frühjahr bewirkt hat …

Tomáš Mrkva in Aktion | © ASV Hamm

Vor Weihnachten wurden die Klubs der Bundesliga durch einen engen Spielplan gehetzt. Könnte daher bei der WM die Kraft eine entscheidende Rolle spielen? Schließlich sind dort viele Spieler aus der Bundesliga dabei. Und sie wird oft als stärkste Liga der Welt bezeichnet, was der jüngste Champions-League-Triumph vom THW Kiel unter Trainer Jícha unterstreicht.
Das muss man abwarten. Klar, es war krass, dass wir im Dezember alle drei Tage spielen mussten. Und bei der WM wird es wieder so sein. Aber wir sind Leistungssportler und haben deshalb eine gewisse Ausdauerfähigkeit. Das Wichtigste wird sein, dass man ohne Verletzungen durchkommt. Wenn alles so klappt, wie wir es uns vorstellen, wird es für Tschechien eine gute WM. Entscheidend ist auch, ob man mit Siegen oder Niederlagen beginnt und dadurch eine gute Stimmung aufkommt. Man muss sehen, wie sich das Turnier entwickelt.

Mehrere Bundesliga-Klubs befanden sich in der laufenden Spielzeit bereits in Quarantäne. Wie kommen Sie mit dem Bergischen HC durch die Pandemie, gab es auch schon Infektionen?
Wir sind bisher sehr gut durchgekommen. Vor der Saison bekamen wir klare Verhaltensregeln und innerhalb der Mannschaft halten wir uns strikt daran. So haben wir zum Beispiel die sozialen Kontakte stark beschränkt, gehen also nie dorthin, wo Menschenmassen sind. Wir handeln so verantwortlich, dass wir der Infektion aus dem Weg gehen. Und deshalb gab es bei uns bisher auch keinen positiven Fall.

Es heißt durch den Verband, dass sehr eng getestet wird. Wie läuft das genau ab?
Zwei Tage vor jedem Spiel wird getestet. Allein im September hatten wir daher sechs oder sieben Testungen.

Mit dem Bergischen HC legten Sie mit drei Siegen in den ersten drei Spielen den besten Saisonstart der Vereinsgeschichte hin und stehen in der „Weihnachtstabelle“ auf Platz acht. Sie sammelten bereits mit Baník Karviná internationale Erfahrungen im EHF-Pokal und in der Champions League. Ist diesmal unbedingt der Europacup das Ziel, den der BHC am Ende der letzten Saison als Siebter nur knapp verpasste?
Vom Europacup als Ziel für den BHC habe ich noch nicht gehört. Aber jeder Leistungssportler geht in ein Spiel, um zu gewinnen. Das ist auch unser Anspruch, was gegen manchen Gegner natürlich schwierig ist. Also: Europacup als Ziel nein, doch ich denke, jeder Einzelne von uns hat Ansprüche an sich selbst, und die will er auch erfüllen.

Es gab bereits eine Reihe von Spielern aus Tschechien beim Bergischen HC, wie jetzt auch Tomáš Babák, der ebenfalls für Tschechien bei der WM spielen wird – obwohl der Klub aus Solingen tief im Westen Deutschlands zu Hause ist. Woher kommt das, gibt es einen Spielerberater, der speziell Tschechen dorthin vermittelt?
Das ist einfach Zufall (lacht). Der Bergische HC bietet professionelle Voraussetzungen mit seinen Sportstätten und Trainingsbedingungen. Das ist perfekt, was in dieser Saison geboten wird. Daher würde ich mich freuen, wenn hier auch weiterhin tschechische Spieler unter Vertrag genommen werden. Und ob man nun vier Stunden oder sechs Stunden braucht, um in die Heimat zu fahren, macht keinen allzu großen Unterschied.

Tomáš Babák ist seit 2014 Nationalspieler. | © Ailura, CC BY-SA 3.0

Sie sind ein Hüne von mehr als zwei Metern und wiegen weit über 100 Kilo. Experten loben Ihr starkes Spiel im Eins-gegen-eins. Muss man als Handball-Torwart ein Stück weit ein Masochist sein? Mancher Wurf grenzt ja schon an gefährliche Körperverletzung – erst im Oktober traf Sie einer aus knapp sechs Metern mit voller Wucht im Gesicht.
Masochist? Das ist übertrieben, so würde ich das nicht bezeichnen. Grundvoraussetzung für einen Handball-Torhüter ist sicher, dass man keine Angst vor dem Ball hat. Klar, oft wird eine Stelle am Körper getroffen, wo es mehr wehtut als zum Beispiel an der Hand. Aber das gehört einfach dazu. Und man gewöhnt sich daran, wenn man das von klein auf kennt, quasi damit aufwächst. Dann wird es mit der Zeit immer weniger schlimm. Die Spieler sagen gerne, dass Torhüter im Handball anders seien als der Rest der Mannschaft. Ich persönlich fühle mich aber nicht anders. Natürlich ist es für viele unverständlich, dass man sich freiwillig in ein Handballtor stellt. Aber das Gleiche sage ich von einem Kreisläufer, der sich in die gegnerische Abwehr drängt und dort prügeln lässt.

Am 20. Januar werden Sie 32 Jahre alt. Bei der EM letztes Jahr stand ihr Konkurrent Martin Galia noch mit fast 41 Jahren im Tor der tschechischen Mannschaft. Ist davon auszugehen, dass wir Sie auch noch bei der WM 2027 erleben, die in Deutschland ausgetragen wird?
Wenn meine Gesundheit das zulässt, wenn wir uns qualifizieren und wenn die Trainer mich in die Nationalmannschaft berufen – dann spricht nichts dagegen.

Gilt für den Handball also die gleiche Weisheit wie im Fußball: Torhüter werden immer besser, je älter sie werden?
Kann man so sehen.

Die WM findet vom 13. bis 31. Januar 2021 statt. | © IHF