Die perfekte Welle

Die perfekte Welle

Kaum ein Tscheche ist einem Flüchtling begegnet. Panikmache funktioniert trotzdem

3. 2. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Gémes Sándor/SzomSzed/ CC BY-SA 3.0

Es steckt nicht immer böse Absicht dahinter, wenn Menschen von einer „Flüchtlingswelle“ sprechen. In deutschen Grenz­orten, die täglich hunderte oder tausende Ankommende aufnehmen, kann es vorkommen, dass Lokalpolitiker keine anderen Worte mehr für die Probleme finden, mit denen sie zu kämpfen haben. Oder in Griechenland: Allein vom 1. bis 30. Januar dieses Jahres kamen dort laut Statistiken der Vereinten Nationen fast 58.600 Flüchtlinge aus der Türkei an.

In Tschechien haben im gesamten Jahr 2015 genau 1.525 Menschen Asyl beantragt, meldete kürzlich das Innenministerium. Politiker hierzulande sprechen dennoch gern von einer „Migrantenwelle“, die in ihrer Vorstellung offenbar auf das Land zurollt wie ein Hochwasser, wenn nicht gar eine Sintflut. In jedem Fall wird sie als Katas­trophe heraufbeschworen, gegen die man sich wappnen müsse.

Als Vorreiter in Sachen Horror­szenarien tritt nun der Südböhmische Kreis auf. Im Frühjahr werde es dort eine Übung geben, um zu testen, ob die Verantwortlichen auf eine „große Migrantenwelle“ vorbereitet sind, sagte in der vergangenen Woche eine Sprecherin des Kreises. Beteiligen sollen sich Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, die Armee und nicht-staatliche Hilfsorganisationen. Ein Beratungskomitee, dem auch Vertreter des Innenministeriums angehören, werde sich monatlich treffen, um die aktuelle Lage in der Flüchtlingskrise zu beurteilen.

Engagiert in Sachen Grenzschutz zeigten sich in der vergangenen Woche auch Präsident Miloš Zeman und der südmährische Kreishauptmann Michal Hašek (Sozialdemokraten). Um das Land zu verteidigen, könnten neben Soldaten und Polizisten auch Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr eingesetzt werden, sagte Zeman bei seinem Besuch in der Region; das sei ein Vorschlag Hašeks gewesen. Der Hauptmann zeichnete in Anwesenheit des Präsidenten zehn Polizisten aus, die sich bereits im Kampf gegen Zuwanderer verdient gemacht haben – da­runter war auch ein Poli­zist, der Flüchtlingen an einem Bahnhof mit Filzstift Nummern auf den Arm geschrieben hatte, um den Überblick zu bewahren.

Im Parlament überboten sich derweil in der vergangenen Woche Premierminister Bohuslav Sobotka und Innenminister Milan Chovanec (beide Sozial­demokraten) in der Frage, wie schnell Polizei und Armee im Ernstfall den Süden des Landes vor einer „Flüchtlingswelle“ aus Deutschland oder Österreich verteidigen könnte. Tschechien sei in der Lage, den Schutz der Grenze zu Österreich binnen weniger Stunden zu verstärken, erklärte der Premier. „Falls Deutschland seine Grenzen schließt, ist Tschechien bereit zu reagieren.“ Laut Chovanec würde es „höchstens fünf Stunden“ dauern, mehr Polizisten und Soldaten einzusetzen. „Das ist aus meiner Sicht das schlimmste Szenario, aber auch darauf sind wir vorbereitet.“

Wenige Tage später erklärte der Premier im Interview mit der Wochenzeitschrift „Res­pekt“, er glaube nicht, dass die Schließung der deutschen Grenzen dazu führen würde, „dass die Flüchtlingswelle die Tschechische Republik überrollt“. Auch wenn sich der Regierungschef damit nicht der Panikmache manch anderer anschließt: Mit seiner Wortwahl stellt er sich auf die Seite derer, die aus schutzsuchenden Menschen eine Gefahr machen, der man sich in jedem Fall so gut es geht entziehen sollte. Dass auch der Präsident auf dieser Seite steht, und zwar ganz weit vorne, daran lassen seine Aussagen der vergangenen Monate keine Zweifel. Kürzlich sagte er, Tschechien habe 2015 nur ein „kleines Migrationswellchen“ getroffen, das sich künftig aber zu einer „Migrationswelle“ entwickeln könnte. Die Welle der Hysterie hat sich hierzulande eher schon zu einer großen Woge entwickelt. Und so mancher schwimmt darauf ganz gut.