Diagnose ungenügend

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Tschechische Mediziner verlassen weiterhin das Land. Ärztegewerkschaften stellen Regierung Ultimatum

11. 11. 2015 - Text: Franziska NeudertText: fn/čtk; Foto: Adrian Clark/CC BY-ND 2.0

Die Abwanderung tschechischer Ärzte ins Ausland – vor allem nach Deutschland – hält an. Seit nunmehr fünf Jahren verlasse etwa jeder zehnte Mediziner nach seiner Ausbildung das Land, beklagten die Dekane der Medizinischen Fakultäten vor kurzem auf einem Kongress in Pilsen. Zwar spräche das große Interesse an tschechischen Absolventen in ganz Europa für eine ausgezeichnete Ausbildung. Doch dieses Niveau sei aufgrund geringer Löhne an den Universitäten – angefangen vom wissenschaftlichen Assistenten bis hin zum Hochschulprofessor – und regelmäßiger Etatkürzungen kaum noch zu halten. Ein Lehrkräftemangel sei vorprogrammiert, warnten die Leiter der Fakultäten.

„Die Wertschätzung der Dozenten sollte im Verhältnis zu anderen Berufen im Land stehen“, forderte Aleksi Šedo, Dekan der Ersten Medizinischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. „Wenn ein wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen Bruttolohn von 18.000 Kronen (etwa 660 Euro, Anm. d. Red.) arbeitet, sollte das ernsthaft zu denken geben.“ Šedo zufolge verfügten viele Lehrbeauftragte über großes Potential; viele arbeiteten an wissenschaftlichen Projekten und seien zugleich in Teilzeit im klinischen Bereich tätig. „Allerdings hängt die Ausbildung in hohem Maße vom Enthusiasmus einzelner Pädagogen ab. In einigen Fächern ist es sehr schwierig, Lehrkräfte zu finden, weil ihnen das Geld einfach nicht reicht“, meint Šedo. Mittlerweile würden einige Bereiche bereits von Dozenten unterrichtet, die noch nie an einer Klinik gearbeitet hätten.

Das Einstiegsgehalt junger Mediziner beträgt in Tschechien zwischen 20.000 und 25.000 Kronen (rund 740 bis 920 Euro), in Deutschland ist es etwa viermal so hoch. Laut dem Amt für Informationen und Statistiken zum Gesundheitswesen verdiente ein Arzt hierzulande im vorigen Jahr durchschnittlich 32.450 Kronen (etwa 1.200 Euro) im Monat, eine Krankenschwester 19.680 Kronen.

Die Ärztegewerkschaften fordern seit langem eine Anhebung der Löhne. Mit einer Mahnung erinnerten sie am Donnerstag vergangener Woche das Gesundheitsministerium daran, seine Zusage vom Januar 2011 zu erfüllen. Seinerzeit hatte der damalige Gesundheitsminister Leoš Heger (TOP 09) mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden Martin Engel ein Memorandum unterzeichnet, demzufolge die Gehälter der Krankenhausärzte bis zum Jahr 2013 auf das Dreifache des tschechischen Durchschnittsgehaltes erhöht werden sollten. Da es dazu nicht gekommen ist, üben die Gewerkschaften nun Druck auf die Regierung aus. Sollte die Regierung nicht innerhalb von zwei Monaten auf ihr Protestschreiben reagieren, wollen sie laut Engel vor Gericht ziehen.

Ein Blick zurück: Mit der Streikaktion „Děkujeme, odcházíme“ („Danke, wir gehen“) hatten tschechische Ärzte im Mai 2010 auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. Rund 4.000 von 16.000 Krankenhausärzten reichten ihre Kündigung ein. Daraufhin war zwar eine Einigung mit der Regierung Nečas erzielt worden: eine sofortige Lohnerhöhung von bis zu 8.000 Kronen im Monat. Die schrittweise Anhebung von 15 Prozent pro Jahr bis zum Dreifachen des Durchschnittsgehalts blieb jedoch aus.