Der Zirkus aus der Kneipe

Der Zirkus aus der Kneipe

Vor elf Jahren fand Rostislav Novák zum Cirque Nouveau und begründete damit das landesweit erfolgreiche Ensemble „La Putyka“

27. 4. 2016 - Text: Jan Nechanický, Fotos: Jakub Jelen

Es begann mit einer One-Man-Show vor elf Jahren. Neben Rostislav Novák, damals noch Schauspieler am Prager Archa-Theater, war nur ein Trampolin, eine Leinwand und ein aufgeschlagenes Buch mit der Aufschrift „Faust“ zu sehen. Eine Bühnenerfahrung, die Nováks späteres Leben bestimmen sollte. Er versuchte sich an Akrobatik auf dem Trampolin, modernem Tanz, Puppenspiel, Film – und wollte zugleich alles zu einem Ganzen verbinden. Novák wollte nicht nur Schauspieler sein, sondern auch ein Autor, der Neues schafft. Das Stück hatte Erfolg, wurde sogar für den landesweit wichtigsten Theaterpreis nominiert. Schon damals war der Schauspieler vom Genre des Cirque Nouveau begeistert. Er wusste, dass er diese Art von Theaterkunst machen wollte.

Novák stammt zwar aus einer der ältesten Puppenspieler-Dynastien Tschechiens. Mit Akrobatik hatte er aber wenig Erfahrung. In einem Land, in dem der zeitgenössische Zirkus keine Tradition hatte, war es außerdem nicht leicht, Mitstreiter für ein Ensemble zu finden. Bis heute gibt es in Tschechien keine Schule, an der man die Zirkuskunst erlernen kann.

Rostislav Novák will mehr als nur Körperkunst, er will Geschichten erzählen.

Seine erste Crew besetzte er mit Schauspielern und Theaterfreunden. Seine großen Vorbilder waren west- und nordeuropäische Zirkustruppen, Ensembles wie der berühmte Cirque du Soleil zum Beispiel. Novák reichte es allerdings nicht, deren Kunst nachzuahmen. Wie schon im Theater, wollte er auch hier vor allem eines: Geschichten erzählen.

Für sein Ensemble suchte er deswegen in erster Linie Schauspieler. Mit ihnen organisierte er im Archa-Theater Workshops, in denen sie Tanz sowie Trampolin- und Seilakrobatik übten. Innerhalb eines Jahres entstand so ein neues Ensemble, mit dem Novák seine Ideen verwirklichen konnte.

Kleine Revolution
Bald entwickelten sie auch die Idee für die erste Vorstellung. Novák wollte seinen Zirkus nicht nur neu gestalten, sondern auch mit tschechischen Augen sehen. Denn am „klassischen“ Cirque Nouveau langweilte ihn, dass er sich als bloße Schau des schönen Körpers und seiner Fähigkeiten präsentierte. Novák hingegen wollte auch mit Figuren überraschen, von denen niemand akrobatische Kunststücke erwartete. Den Zirkus verlegte er aus der Manege in ein äußerst unsportliches Milieu – in eine tschechische Kneipe. Diese gab dem Stück und später auch dem ganzen Ensemble seinen Namen. „Putyka“ ist das tschechische Wort für eine verrufene Kneipe. Das Aussehen der Schauspieler wurde an das neue Milieu angepasst: keine schönen glänzenden Körper, sondern Männer mit Bierbäuchen und schmutzigen Kleidern.

Bei den Aufführungen verfließen oftmals die Grenzen zwischen Publikum und Bühne.

So, könnte man sagen, ist der Neue Tschechische Zirkus entstanden. Ein Zirkus, bei dem es nicht darum geht, waghalsige Hochseilartistik vorzuführen. Sondern ein Zirkus, der sich nicht allzu ernst nimmt, der lustig ist und in dem Akrobatik nur ein Ausdrucksmittel ist – ein Zirkus-Schauspiel eben.

Diese Kombination aus Akrobatik, Puppenspiel, Tanz und Schauspiel schien genau das richtige zu sein. „La Putyka“ feierte Erfolg, gewann in Tschechien mehrere Preise und reiste um die Welt, gastierte unter anderem in Shanghai, Edinburgh und Sydney. In der tschechischen Theaterwelt war das eine kleine Revolution. Etwas Ähnliches hatte bis dahin niemand gesehen.

Alles selbstgemacht
Der Erfolg spornte Novák und seine Schauspielern an, weitere Stücke zu schaffen. „La Putyka“ entwickelte sich zum berühmtesten Ensemble des zeitgenössischen Zirkus in Tschechien; jährlich präsentiert die Truppe mindestens ein neues Stück. Auf seine Erfolge ist Novák ausgesprochen stolz. Und sie machen ihn optimistisch. „Du kannst alles schaffen, was du willst. Willst du in den Weltraum fliegen? Natürlich kannst du das. Verdien’ das Geld dafür und mach es! Es ist nur eine Frage der Zeit und deiner Kräfte“, sagt der 36-Jährige mit Überzeugung. Kein Wunder – er hat es geschafft, ein Ensemble von europäischer Bedeutung aufzubauen.

Einfach war das nicht, dahinter steckt viel Zeit und Energie. „Wenn wir uns an einen Acht-Stunden-Arbeitstag gehalten hätten, hätten wir hier in Tschechien nichts geschafft“, meint er. Auch die richtigen Leute zu finden, war nicht nur am Anfang eine Herausforderung, obwohl viele mitmachen wollten. Allein am Stück „Dolls“ wollten sich mehr als 200 Leute aus der ganzen Welt beteiligen. Am Ende wurden fünf ausgewählt. Inzwischen ist „La Putyka“ zu einem internationalen Ensemble geworden. Seit der Gründung haben mehr als 200 Künstler aus 16 Ländern mitgewirkt.

Eine ehemalige Schlachthalle verwandelte das Ensemble zu seiner neuen Bühne.

Seit über einem Jahr hat „La Putyka“ eine neue Spielstätte. Wie alles, was das Ensemble anpackt, ist auch diese ein Eigenprodukt. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne baute „La Putyka“ in einer ehemaligen Schlachthalle in Holešovice das Kulturzentrum „Jatka78“ auf, in dem neben Theater auch Diskussionsrunden veranstaltet werden.

Seit Februar gastiert „La Putyka“ am Chamäleon-Theater in Berlin. Gezeigt wird ein Stück, in dem Novák seinen Wurzeln als Zirkus- und Puppenspieler nachspürt. Ab September wird „Roots“ auch in Prag zu sehen sein.

Informationen unter www.laputyka.cz und www.chamaeleonberlin.com