„Der Rat der Unbelehrbaren“
Der Schweizer Historiker Adrian von Arburg beklagt den Verfall der tschechischen „Stasi-Unterlagen-Behörde“. Ein offener Brief
29. 4. 2014 - Text: Adrian von Arburg, Foto: Milan Jaroš
Der Historiker Adrian von Arburg unterrichtet an der Masaryk-Universität in Brünn und erforscht die Vertreibung der Sudetendeutschen. Anfang des Jahres trat er von seiner Position als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rats des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime (ÚSTR) zurück. Unter von Arburgs Leitung hatte dieses Fachorgan im November 2013 erstmals eine Evaluierung durchgeführt. Die Hauptkritikpunkte: Fehlendes Vertrauen zur Führungsebene, aber auch innerhalb der Belegschaft, und Uneinigkeiten verhinderten ein erfolgreiches Arbeiten der Behörde. Zum neuen Chef des ÚSTR wurde vor zwei Wochen der umstrittene bisherige stellvertretende Direktor Zdeněk Hazdra gewählt.Experten hatten in dem Schweizer von Arburg den kompetentesten Kandidaten für das Amt gesehen. Er schied jedoch bereits in der ersten Runde des Auswahlverfahrens aus. In einem offenen Brief warnt Adrian von Arburg vor einem Verfall der Behörde.
Ein Jahr nach der Abberufung von Daniel Herman (heute Kulturminister für die Christdemokratische KDU-ČSL; Anm. d. Red.) von der Spitze des Instituts für die Erforschung totalitärer Regime zeigt sich, dass der Institutsrat nicht in der Lage ist, über den eigenen Schatten zu springen und ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren auszuschreiben. Der Rat der Unbelehrbaren hat mit der Auswahl des neuen Direktors bewiesen, dass er nicht an einer Beruhigung der Situation interessiert ist – und, dass er im Namen der sogenannten Entpolitisierung und Konsolidierung des ÚSTR seine konzeptlosen Eingriffe fortsetzen wird.
An der amateurhaften Ausschreibung nahmen nur fünf Kandidaten teil. Ich war einer von ihnen. Ich bin überzeugt, dass ich mit meiner Kandidatur eine ernsthafte und realistische Vision angeboten habe. Ich verfügte über breite Unterstützung – bei aller Bescheidenheit: Ich hatte die breiteste Unterstützung, von Seiten der Angestellten, der Öffentlichkeit und nicht zuletzt innerhalb des Wissenschaftlichen Rats des Instituts, den ich bis Anfang diesen Jahres geleitet hatte. Am Ende des Auswahlverfahrens begriff wohl jeder, warum mit dem Institutsrat weltweit nur fünf Menschen ihr Schicksal verbinden wollten.
Im Auftrag der Demokratie
Der ÚSTR-Rat ist das höchste Organ der Institution und hat vor allem eine Kontrollfunktion. In Wirklichkeit aber nehmen seine Mitglieder die Rolle einer allmächtigen Exekutive ein, deren Marionette Pavla Foglová ohne Auswahlverfahren zur Direktorin ernannt wurde.
Die Entscheidungen der Pseudo-Manager im ÚSTR-Rat zogen verlorene Gerichtsverfahren nach sich. Sie führten zu erheblichen finanziellen Schäden, Protesten, Petitionen und Streikbeschlüssen der Mitarbeiter; kurz: eine endlose Reihe negativer Schlagzeilen wurde ausgelöst. Wegen dieser „weitsichtigen“ Leitung dürften dem ÚSTR, so wie unlängst der Polizei, bald zwei Direktoren vorstehen – falls das Gericht der Klage des einstigen Direktors Daniel Herman stattgibt.
Das ÚSTR wurde mit der Absicht gegründet, die demokratischen Werte des Staates und der Bürgergesellschaft zu untermauern und zu stärken. Es soll die Bürger Respekt vor dem Gesetz lehren, sie zu kritischem Denken und offenen Diskussionen anregen. Mit der Gründung wollten die Gesetzgeber vor allem dazu beizutragen, dass sich die Schrecken der Diktaturen, unter denen die Tschechen und Slowaken während des 20. Jahrhunderts allzu lange leiden mussten, nicht wiederholen.
Der Gipfel des Zynismus
Die aktuellen Ratsmitglieder aber setzen alles daran, dass diese Werte der Gesellschaft erneut abhanden kommen. Die Auftritte der ÚSTR-Repräsentanten in den Medien erinnern an die Sprache der Parteizeitung „Rudé právo“ (offizielles Propagandamedium der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei; Anm. d. Red.). Bei einem Großteil der Ratsmitglieder ist keinerlei Fähigkeit erkennbar, die Folgen der eigenen Entscheidung abzuschätzen. Vielmehr gilt für sie eine sonderbare Regel: Je größer der Widerstand, den ihre Entscheidungen hervorrufen, umso trotziger halten sie daran fest, umso weniger Selbstreflexion legen sie an den Tag.
Im Rat sitzt Michal Uhl, der Sohn des Dissidenten Petr Uhl, der vor und nach der Samtenen Revolution mit beispielhafter Tapferkeit für das Recht eingetreten ist. Es ist traurig mit anzusehen, wie sich sein Sohn am manipulierten Auswahlverfahren für den ÚSTR-Direktor und an dessen öffentlicher Rechtfertigung beteiligt hat.
Der Rat hat dabei nachweislich die eigenen Regeln verletzt und mehrere prozedurale und formelle Fehler begangen. Ebenso schockierend ist es, dass sich Uhl und andere Ratsmitglieder darüber beklagt haben, dass ich mir erlaubt habe, auf die Unstimmigkeiten des Verfahrens hinzuweisen. Was anderes blieb mir übrig, wenn der Rat selbst die Kontrolle über den Wettbewerb vernachlässigt hat?
Der Gipfel des Zynismus ist, dass einige meiner Hinweise vor der Wahl als Beweis dafür angeführt wurden, dass ich mich nicht für die Stelle des Direktors eigne. Als Lehre daraus ziehe ich nun, dass es moralischer ist zu lügen und leise das Aufbessern von Lebensläufen zu akzeptieren. Klar, es ist nicht das erste Mal, dass derjenige eines Fehlers bezichtigt wird, der auf die Fehler anderer hinweist. Werden wir aber weiterhin mit einer derart schlechten Moral leben müssen?
Eine weitere Kuriosität: Manche Ratsmitglieder haben mir allen Ernstes vorgeworfen, aus der Wahl des Direktors eine öffentliche Angelegenheit gemacht zu haben. Sie beziehen sich damit auf eine Internetseite, die ich eingerichtet habe und auf der ich mein Konzept und weitere Dokumente veröffentlicht habe. Sie vergessen dabei offensichtlich, dass ihre Absicht, ein weitestgehend heimliches und anonymes Auswahlverfahren abzuhalten, den Kandidaten im Voraus nicht mitgeteilt wurde. Ich soll mich nun wohl dafür entschuldigen, dass ich aus der Wahl des Direktors einer staatlichen Institution eine öffentliche Angelegenheit gemacht habe. Aber ist der Direktor des ÚSTR nicht rein zufällig ein öffentliches Amt?
Unkündbare Arroganz
Jede Generation braucht ihre Vorbilder. Wenn sich jedoch an der Spitze einer staatlichen Institution, die Tapferkeit und Wehrhaftigkeit gegen Unrecht und politische Diskriminierung pflegen soll, derartige Vorbilder etablieren, wie ich sie in den Reihen des ÚSTR-Rats kennengelernt habe, dann ist das ein Symptom für ein fortgeschrittenes Krebsleiden der tschechischen Gesellschaft.
Wie lange werden wir dort, wo der gesunde Menschenverstand auf der Strecke blieb, Arroganz nach dem Motto „Ich bin unkündbar“ (Martin Uhl) akzeptieren? Es bleibt zu wünschen, dass die weltanschauliche Zusammensetzung des ÚSTR-Rats in Zukunft ausgeglichen sein wird, dass auch linksgerichtete Mitglieder als normaler und willkommener Bestandteil angesehen werden. Ein ernsthaftes Problem jedoch stellt die Arbeitsbilanz des aktuellen Rats dar. Ungeachtet der politischen Ausrichtung sollten die fatalen Eskapaden dieser weitestgehend unerfahrenen Volksvertreter nicht unbemerkt bleiben. Dem Rat fehlen Persönlichkeiten, die sich durch Weitsicht, akademische Gelehrsamkeit und nicht zuletzt durch soziale Intelligenz auszeichnen.
Ohne Übertreibung: Die aktuelle Besetzung des ÚSTR-Rats ist desaströs. Vertraut ihm überhaupt noch jemand, außer die Mitglieder selbst?
Aus dem Tschechischen übersetzt von Martin Nejezchleba.
DIE UNRÜHMLICHE GESCHICHTE DES ÚSTR
Das Institut zur Erforschung totalitärer Systeme (Ústav pro studium totalitních režimů, kurz ÚSTR) wurde im August 2007 auf Beschluss des Parlaments gegründet. Aufgabe der staatlichen Organisation ist die Aufarbeitung der nationalsozialistischen und kommunistischen Vergangenheit der Tschechoslowakei. Das Institut geriet immer wieder in den Fokus der Medien – allerdings weniger aufgrund seiner Forschungsergebnisse, sondern wegen interner Unstimmigkeiten.
Während seiner vergleichsweise kurzen Existenz standen dem ÚSTR bereits fünf Direktoren vor. Zahlreiche Personalwechsel schadeten dem Ruf der Institution. Der Hauptvorwurf: Sie sei eher ein Instrument für politische Interessen als eine neutrale Forschungsstätte. Die Kontrolle des Instituts sowie die Wahl des Direktors obliegt einem aus sieben Mitgliedern bestehenden Rat, der vom tschechischen Senat ernannt wird. Als die Sozialdemokraten (ČSSD) in der oberen Parlamentskammer die Mehrheit erlangten, beriefen sie Daniel Herman in der Mitte seiner Amtszeit im April 2013 plötzlich vom Posten des Direktors ab. Zur Nachfolgerin wurde – jedoch ohne Auswahlverfahren – Pavla Foglová ernannt. Der 15-köpfige Wissenschaftliche Beirat trat aus Protest geschlossen zurück.
Als Foglová Personalveränderungen ankündigte, wurde eine „kommunistische Infiltrierung“ des Institutes zum medialen Dauerthema. Zuletzt hatte die Suspendierung des ÚSTR aus der Plattform für europäische Erinnerung und Gewissen (PEMC) im Januar dieses Jahres für Aufsehen gesorgt. Der Dachverband warf dem Prager Institut vor, die Auskunft zur politischen Vergangenheit seiner Mitglieder zu verweigern und gegen den ethischen Grundsatz der internationalen Institutsgemeinschaft verstoßen zu haben.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“