Der Pragmatiker aus der Südstadt

Der Pragmatiker aus der Südstadt

Ondřej Prokop glaubt, dass ANO Schluss macht mit der Korruption. In Prag 11 will er selbst dafür Sorge tragen

26. 2. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba

In der Runde seiner Parteikollegen im luxuriösen Therapiezentrum wirkt Ondřej Prokop underdressed. Der 28-jährige Programmierer trägt blaue Jeans und abgewetzte Turnschuhe. Seine Kollegen Schlips und Anzug. Alle 14 Tage trifft sich hier das zehnköpfige Team des ANO-Ortsverbandes von Prag 11, im Zentrum für Bewegungsmedizin (Centrum pohybové medicíny, CPM).

Prokop ist im Mai der neuen Partei beigetreten – weil er, wie er sagt, nicht nur im Gasthaus meckern will, sondern die politischen Zustände in seinem Land verändern möchte. Für die kommenden Sitzungen steht das Thema für den Ortsverband der Prager Südstadt fest: die Kommunalwahlen im Oktober. „Von uns wird erwartet, dass wir diese Wahlen gewinnen; schließlich ist das hier ein Heimspiel für Andrej Babiš“, sagt Jan Říčař, Vorsitzender des Ortsverbandes im blauen Nadelstreifenanzug, zu den zehn Parteikollegen. Prokop ist sein Stellvertreter an der Verbandsspitze und nickt.

Nach dem beeindruckenden Wahlergebnis im Oktober, als die Partei des Lebensmittel-, Chemie- und seit Neuestem auch Medienmoguls aus dem Stand mit 19 Prozent ins Parlament einzog, ließ ANO hier die Korken knallen: Die Privatklinik CPM steht im Niemandsland zwischen Autobahnzubringern und Kfz-Großhändlern. Die Klinik teilt sich einen bewachten Parkplatz mit der Zentrale von Babišs Firmenimperium Agrofert und ist mit dessen finanzieller Unterstützung entstanden.

Es ist kurz nach sieben Uhr abends und jenseits der vierspurigen Straße leuchten Fernseher und Wohnzimmerlampen aus den mächtigen Blöcken der größten Plattenbausiedlung Prags. Hier wohnen die potentiellen ANO-Wähler, hier wohnt seit seiner Geburt Ondřej Prokop.

Er bezeichnet sich als Workaholic. Mit 18 gründete er eine Webdesign-Firma, die er bis heute leitet. Er ist stolz darauf, knapp 20 Leuten Arbeit geben zu können. Sein Studienweg verlief alles andere als geradlinig. Zunächst besuchte er eine Mittelschule mit technischer Ausrichtung. Prokop ist damals Online-Rollenspielen verfallen – das ging vor allem auf Kosten der Schule, von der er letztlich flog. „Das hatte auch sein Gutes“, erinnert sich Prokop heute. Mit den anderen Rollenspielern habe er nur auf Englisch kommuniziert und so die Sprache erlernt. Später versuchte Prokop sein Glück auf der Hochschule für Landwirtschaft. Studienfach IT.

Nach zwei Jahren war auch hier Schluss für ihn. Seine Firma stand schon damals im Mittelpunkt. Den Hochschulabschluss hat er letztlich über ein fünfjähriges Fernstudium an einer Privat-Uni im Studienfach Marketing und Kommunikation erworben.
„Als ich mit dem Studium fertig war, hatte ich Angst davor nicht zu wissen, was ich mit der vielen Freizeit anfangen soll“, sagt Prokop in seiner Mittagspause im China-Imbiss, der ein Stockwerk unterhalb seines Büros liegt. Ein Interview hier spare Zeit, sagt er, man verbinde Nützliches mit Angenehmen. Er bestellt eine Cola und Rindfleisch nach Szechuan-Art.

Zu reich für Korruption?
Mit Geld und seiner Arbeit als Webdesigner unterstützt er seit langem Anti-Korruptionsinitiativen wie den Nationalen Fond gegen Korruption oder „Rekonstrukce státu“ – ein Zusammenschluss von NGOs, die effektivere Regeln für die Politik einführen möchten.

Als die Abschlussprüfungen hinter ihm lagen, war für Prokop die Zeit gekommen, um selbst politisch aktiv zu werden. Er habe zwischen verschiedenen Parteien geschwankt, angezogen habe ihn auch die ultraliberale und EU-kritische Strana svobodných (ins Deutsche etwa mit „Partei der Freiheitlichen“ zu übersetzen). In deren Parteiprogramm sei allerdings vieles reine Utopie. Prokop hat damals erkannt, dass er mit der Bewegung ANO die besten Chancen hat, politisch etwas zu erreichen. Und den Milliardär Babiš bewundere er seit langem. „Wie so viele erfolgreiche Unternehmer hat er in der Nachwendezeit mit nicht ganz sauberen Mittel angefangen“, erklärt Prokop. „Aber er hat es wirklich zu etwas Großem gebracht und bewiesen, dass er eine gute Führungspersönlichkeit ist.“ Prokop glaubt nicht, dass sich Babiš über die Politik Vorteile für seine Unternehmen erschleichen möchte.

Schließlich habe er schon genug Geld verdient. Der junge Familienvater Prokop ist sich sicher: Babiš möchte mit den Missständen in der tschechischen Politik aufräumen. Mit der Hilfe von Babišs Geld könnten fähige Menschen an die entscheidenden Posten kommen und die diskreditierten Politiker ablösen. Auch in Prag 11.

Ein ziemlich gutes Geschäft
Bei den Parlamentswahlen im Oktober war die Südstadt der einzige Wahlbezirk, in dem ANO gewonnen hat. Diesen Sieg im kommenden Herbst zu wiederholen, darum geht es den zehn Ortsverbandsmitgliedern, die sich alle zwei Wochen zur Lagebesprechung in der Luxusklinik treffen. Die Inneneinrichtung dominieren schwarze Glaswände und Sichtbeton. Die Parteimitglieder wirken etwas verloren im großen Saal im vierten Stock, der für ihre heutige Sitzung reserviert ist. Zwei Unterstützer, die nicht der Partei beigetreten sind, sitzen an einem benachbarten Konferenztisch. Einer spielt Sudoku in der von Babiš herausgegebenen Gratis­zeitung „Metro“, der andere blickt auf den Plasmabildschirm an der Wand – gerade läuft das olympische Eishockey-Turnier, Tschechien gegen die Slowakei.

Thema Nummer eins am Nachbartisch: die Korruptionsaffären der jetzigen ODS-Bezirksregierung. Der überteuerte Bau eines neuen Schwimmbades etwa, oder ein für den Steuerzahler unvorteilhafter Kauf von Luxuswohnungen am Stadtrand. Immer wieder blicken sich Prokop und der Nadelstreifen an, lachen und kommentieren die Korruptionsaffären. „Das ist ein ziemlich gutes Geschäft.“ Prokop bremst die lockere Stimmung mehrmals. Man dürfe nicht nur eine Negativkampagne gegen Bürgerdemokraten fahren, man solle konstruktiv sein.

Das Wahlprogramm für Prag 11 ist im Moment im Entstehen. Wenn man Prokop fragt, was er gerne für seinen Stadtteil durchsetzen möchte, antwortet er: Vernünftiges, transparentes Haushalten mit den öffentlichen Finanzen, das Bewahren von Grünflächen, keine gigantischen Bauprojekte ohne Investition in die ohnehin überlastete Verkehrsinfrastruktur.

Prokop möchte weder Bürgermeister noch Vollzeit-Politiker werden. Er sagt, sobald ein größerer Skandal die ANO-Partei diskreditiert, dann werde er austreten und die Politik an den Nagel hängen. „Ich würde nicht ertragen, dass mein Name damit in Verbindung steht.“ Dann müsste sich der Workaholic Prokop ein neues Steckenpferd suchen.