Der Hoffnungsträger aus Pardubice

Der Hoffnungsträger aus Pardubice

Der 31-jährige Kreishauptmann Martin Netolický gilt als großes Polit-Talent – nach Prag zieht es ihn aber nicht

13. 2. 2014 - Text: Ivan DramlitschText und Foto: Ivan Dramlitsch

Mittwochmorgen, Leitstelle des Rettungsdienstes Pardubice, kurz vor neun Uhr. Gleich wird Kreishauptmann Martin Netolický dem Notdienst einen neuen Transport-Inkubator überreichen. Ein typischer Presse­termin, der für Landes- und Kommunalpolitiker zum täglichen Brot gehört. Im Raum – etwa so groß wie ein Klassenzimmer – tummeln sich vielleicht 20 Personen; Journalisten, Fotografen, Vertreter des Kreises, Angestellte des Rettungsdienstes. Man nickt sich zu, schüttelt Hände, plaudert. Hier kennt jeder jeden.

Punkt neun betritt Martin Netolický den Raum. Wieder werden Hände geschüttelt, Schultern geklopft, Netolický lächelt freundlich, agiert locker und entspannt. Der 31-Jährige wirkt trotz seines jugendlichen Äußeren nicht wie ein politischer Grünschnabel. Es folgen ein paar kurze Reden, dann wird für das offizielle Foto posiert. Netolický steht Rede und Antwort, fragt selbst interessiert nach, wechselt mit diesem und jenem ein paar Worte, lacht immer wieder. Der Termin zieht sich in die Länge, sein Pressereferent schaut nervös auf die Uhr. „Mir macht das einfach Spaß“, erklärt Netolický später. Er wirkt überzeugend.

Ob er es will oder nicht, sein Alter ist Thema. Sein 30. Geburtstag lag gerade mal drei Wochen zurück, als er im Oktober 2012 als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten die Regionalwahlen im Kreis Pardubice gewann. Seitdem schleppt er das Attribut „Tschechiens jüngster Kreishauptmann“ wie einen lästigen Zweitnamen mit sich herum. Auch manche Kollegen reagierten skeptisch. „Mein Vorgänger war ja fast 60, dann kam ich, 30 Jahre jünger. Da kann schon bei dem einen oder anderen aus der ,mittleren Generation‘ der Eindruck entstanden sein, dass er übergangen wurde“, so Netolický.

Die Menschen zu überzeugen, dass es nicht auf das Alter ankommt, sondern auf die politische Vision, auf Engagement und Organisationstalent – das war zu Beginn seiner Amtszeit sein Hauptanliegen. „Ich denke, viele haben es verstanden“, sagt er selbstbewusst.

Der uncoole Macher
Roman Línek tritt den Beweis an. Der Chef der Pardubicer Christdemokraten ist 50 Jahre alt und war selbst von 2002 bis 2004 Kreishauptmann. Für seinen jungen Koalitionspartner hat er viel Lob übrig: „Er ist unbelastet, intelligent und geistesgegenwärtig, findet sich schnell zurecht und weiß auf Herausforderungen entsprechend zu reagieren. Klar, die nötige Lebenserfahrung fehlt noch, aber er hat die Fähigkeit, älteren Kollegen zuzuhören.“

Netolický legt Wert auf einen demokratischen Führungsstil, er sieht sich als „Primus inter Pares“: „Ich lasse den Kollegen Raum und trete eher als Kommunikator oder Mediator auf, wenn es Probleme gibt.“ Gerade die Fähigkeit zum Ausgleich, im Dienste der Sache zu vermitteln, hält Koalitionspartner Línek für ein großes Plus. „Nur wenige junge Politiker können das. Ich glaube, wir werden von Martin Netolický in den nächsten Jahren noch hören“, prophezeit der Christdemokrat.

Seinen Weg in die Politik betrachtet der 31-Jährige als natürliche Entwicklung. Er war schon immer der „Macher“, der Organisator. In der Grundschule Klassensprecher, am Gymnasium dann Schulsprecher. Mit 16 kam er zu den „Jungen Sozialdemokraten“, sammelte erste Erfahrungen mit Wahlkämpfen. „Mich hat es schon immer gereizt, über öffentliche Angelegenheiten zu diskutieren und mitzuentscheiden. Damit bin ich aufgewachsen“, beschreibt Netolický die Anfänge seines Werdegangs.

Als politisch linksorientierter junger Mensch hat man es in Tschechien schwer. Links gilt als rückwärtsgewandt und „uncool“, mit links assoziieren die meisten jungen Menschen Kommunismus, Rentner und das Lumpenproletariat. Wer sich jung und trendy gibt, der ist „rechts“ und meint damit eine konservativ-wirtschaftsliberale Grundhaltung. Es verwundert daher nicht, dass Martin Netolický als Gymnasiast sein politisches Engagement nicht an die große Glocke gehängt hat. Und auch heute benutzt er das Wort „links“ ungern, der Begriff sei nach wie vor diskreditiert, „ein Erbe der Geschichte“. Viel lieber spricht er von Werten und Ideen. „Ich bin überzeugter Sozialdemokrat. Auch wenn das wie ein Klischee klingen mag – für mich ist die Solidarität, der Bau eines sozialen Netzes die Hauptaufgabe der Politik, des öffentlichen Sektors.“

Keine Lust auf Prager Intrigen
Mit dem üblichen Einwurf, wie das denn alles zu finanzieren sei, hat er kein Problem. Im Gegenteil. Als studierter Jurist mit dem Fachgebiet öffentliche Verwaltung und Finanzrecht lässt er sich gerne auf diese Diskussion ein. Den Unterschied zwischen Theorie und Praxis hat er am eigenen Leib erfahren. Als Student, Doktorand und später auch als Dozent beschäftigte er sich intensiv mit Funktionsmodellen der öffentlichen Verwaltung. „Und dann steht man auf einmal mitten in der Praxis und stellt fest, dass das so nicht funktioniert“, sagt Netolecký und fügt an, das theoretische Hintergrundwissen helfe dennoch, die Probleme gezielter und reflektierter anzugehen.

In der Regional- und Kommunalpolitik fühlt er sich wohl. Intrigen, Machtspielchen, parteipolitisches Kalkül, all das also, was zum desolaten Image der Prager Politik beiträgt, spiele auf regionaler Ebene kaum eine Rolle. Umfragen bestätigen das. Während das Ansehen der Prager Politiker noch hinter dem von Klofrauen und Gebrauchtwagenhändlern rangiert, bekommen Lokal- und Kommunalpolitiker regelmäßig Zustimmungswerte von 60 Prozent und mehr. Die Nähe schafft das Vertrauen, meint Netolický. „Man kennt sich. Es ist der Nachbar, der mitentscheidet, man weiß, wie der Nachbar lebt und ob das Eigentum und das Benehmen der Leute ihren Einkünften entspricht.“

Und auch wenn er von manchen Medien als der „neue Hoffnungsträger der tschechischen Sozialdemokratie“ bezeichnet wird – die Prager Politik reizt ihn nicht, wie er sagt. Mit dem „Intrigantenstadl“ in der Hauptstadt könne er nichts anfangen. Und: Die Freude, die er bei seiner jetzigen Tätigkeit empfinde, würde in Prag verloren gehen, so fürchtet er. „Und ganz ehrlich gesagt: Ich will mich beruflich auch nicht verschlechtern“, sagt er mit einem verschmitzten Blick.

Es ist kurz vor zehn. In der Rettungsdienstzentrale ist es deutlich ruhiger geworden. Die meisten Journalisten haben ihren Job erledigt, die Fotos sind im Kasten, die O-Töne auf Band. Kreishauptmann Netolický hat den Brutkasten überreicht. Jetzt steht er daneben und unterhält sich mit dem Notdienstchef. Der Pressereferent drängt zum Aufbruch. „Was steht an?“ „10 Uhr, Treffen mit den Klinikchefs.“ „Ruf an, dass es etwas später wird“, sagt Netolický und wendet sich der letzten Journalistenfrage zu.