Der entzweite Favorit

Der entzweite Favorit

Der große Parteiencheck – Teil drei: Die Sozialdemokraten stehen vor einem historischen Wahlsieg. Und zermürben sich im innerparteilichen Grabenkampf

25. 9. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: Bohuslav Sobotka/ČSSD, Michal Hašek,

Eigentlich könnten sie sich entspannt zurücklehnen. Nach zwei skandalumwitterten Mitte-Rechts-Regierungen, dem harten Sparkurs der Regierung Nečas, der unzufriedene Bürger und schlechte Wachstumsraten hinterlassen hat, nach dem spektakulären Ende der Koalition von ODS, TOP 09 und LIDEM, zweifelt kaum jemand an einem klaren Sieg der ČSSD bei den Parlamentswahlen Ende Oktober. Mehr als 30 Prozent errechneten Meinungsforscher für die Sozialdemokraten unmittelbar nach dem Geheimdienst- und Korruptionsskandal um Jana Nagyová, der Kabinettschefin und jetzigen Ehefrau von Petr Nečas. In einer Umfrage der Agentur STEM von vergangener Woche landet die ČSSD bei 21,9 Prozent, gefolgt von den Kommunisten mit 10,5 Prozent.

Und dennoch: Die größte Mitte-Links-Partei Tschechiens steckt in einer  Krise. Jahrelang wurde um eine Modernisierung der Partei gerungen, verkörpert von jungen Politikern wie der Sohn des einstigen Außenministers und Dissidenten Jiří Dienstbier und der Parteivorsitzende Bohuslav Sobotka. Ihnen gegenüber steht der Flügel des stellvertretenden Vorsitzenden Michal Hašek, Zemans Mann in der ČSSD. Beobachter wie der Politologe Jiří Pehe sprechen von einem offenen Kampf um die Zukunft der ČSSD. Der Präsident, jahrelang sozialdemokratischer Vorsitzender und Premier, versuche die Partei unter seine Kontrolle zu bringen – falls dies gelingt, sei ein tiefer Rückfall zum Politikstil aus den Zeiten des Oppositionsvertrages mit der ODS, zu Klientelismus und Vetternwirtschaft besiegelt.

Wie groß Zemans Einfluss auf die ČSSD ist, zeigte sich bereits in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl. Dienstbier, Kandidat der ČSSD und großer Kritiker von Miloš Zeman, wurde nach seinem Ausscheiden ausgebootet. Die Parteispitze stellte sich „einheitlich“ hinter den Links-Populisten. Bei der Ernennung des Übergangskabinetts von Jiří Rusnok bediente sich Zeman aus den Reihen der ČSSD. Mehrmals wurden Kandidatenlisten für den Urnengang im Oktober in den Wahlbezirken von Parteimitgliedern vor Gericht angefochten.

Nach außen gibt sich die Partei einig, volksnah, sozial. Der Startschuss für die Wahlkampagne fiel in der Arbeiter- und Industriemetropole Ostrava – der Parteivorsitz gab sich leger ohne Krawatten, für die Wähler und deren Kinder gab es Musik und Hüpfburgen. Die wichtigste Botschaft: Wir machen es besser als unsere Vorgänger. Von den orangen Wahlplakaten lächelt Sobotka, die vorgestreckte linke Hand auf Brusthöhe signalisiert Entschlossenheit. Der Slogan: „Wir sorgen für einen funktionierenden Staat“.

Kohleförderung ohne Grenzen
Die ČSSD möchte Praxisgebühren abschaffen, Krankengeld in den ersten drei Tagen der Arbeitsunfähigkeit wieder einführen und den Mindestlohn schrittweise auf 12.000 Kronen (etwa 465 Euro) anheben. Das Wirtschaftswachstum will man über Bauvorhaben wie die Schnellbahn zwischen dem Prager Zentrum, dem Václav-Havel-Flughafen und der Stadt Kladno oder mit dem Ausbau von Temelín ankurbeln. „Wirtschaftlich und sozial sinnvoll“ ist laut dem Schattenminister für Industrie und Handel Milan Urban auch die Aufhebung der Förderlimits für Braunkohle in Nordböhmen, was den Abriss ganzer Dörfer nach sich ziehen würde. Allerdings müsse der Abbau durch eine Firma mit staatlicher Beteiligung betrieben werden. „Ziel ist es, dass ein Teil der Bodenschätze zum Nutzen des Staates und einer konkreten Region gefördert wird“, so Urban.

Die Sozialdemokraten versprechen ihren Wählern höhere Steuern für Besserverdiener und eine Senkung der Mehrwertsteuer. Außenpolitisch versprach der stellvertretende Vorsitzende Lubomír Zaorálek, Tschechien zu einem verlässlicheren Partner in EU und NATO zu machen und eine „ausgewogenere“ Position zu Israel einzunehmen – Tschechien gilt als einer der engsten Verbündeten Jerusalems in der EU.

Ob und mit wem die Sozialdemokraten nach einem Wahlsieg in die Koalition eintreten würden, bleibt unklar. Ausgeschlossen hat Sobotka eine Zusammenarbeit mit der konservativen TOP 09, wie es die Prager Stadträte vorgemacht haben. Favorisiert wird im Moment eine Einparteien-Regierung mit Unterstützung der KSČM und Zemans SPOZ. Für den Hašek-Flügel scheinen – wenn auch im Falle der Kommunisten nicht offen ausgesprochen – auch Koalitionen denkbar.