„Das Schreiben ist eine seltsame Tätigkeit“

„Das Schreiben ist eine seltsame Tätigkeit“

Die Karriere von Věra Nosková ist eng mit der jüngsten Geschichte Tschechiens verknüpft. Auf der Prager Buchmesse liest sie aus ihren Werken

14. 5. 2014 - Text: Maria SilenyText: Maria Sileny; Foto: Věra Nosková

Der Aufzug erreicht den dritten Stock eines Prager Jugendstilhauses. Eine hochgewachsene Frau mit schwarzer Haarmähne steht an der Wohnungstür. Sie macht einen Schritt ins Treppenhaus, um ihren Besuch zu empfangen. Ein tiefer Blick, ein zurückhaltendes Lächeln, ein Händedruck. Die Schriftstellerin Věra Nosková, deren Name im Wörterbuch der tschechischen Literatur seinen festen Platz gefunden hat, bittet in ihre Wohnung.

Ein Bücherregal dominiert den Flur. Und betritt man das nächste Zimmer, steht man sofort dem nächsten Bücherregal gegenüber. Ihr Appartement, wie sie es nennt, ist Wohnzimmer, Küche und Verlag in einem. Aber auch ein bisschen Garten – Věra Nosková scheint Pflanzen zu lieben. Weitere Räume bewohnen der Ehemann und einer der zwei erwachsenen Söhne. Die Schriftstellerin serviert Kaffee und Gitterkuchen.

Auch auf dem Esstisch in der Küchennische türmen sich Bücher. Jedes hat eine eigene Entstehungsgeschichte, tief verwoben mit dem Leben der heute 68-Jährigen. Elf Titel hat sie geschrieben und selbst herausgegeben. Mit Lyrik fing sie an. Věra Nosková zeigt ihr zurückhaltendes Lächeln, während sie sich an ihr erstes Gedicht erinnert, das sie mit neun Jahren schrieb. „Damals“, sagt sie, spürte sie sofort: „Das ist es. Das will ich machen.“ Und so schrieb sie Gedichte, für die Schublade, jahrzehntelang. Ein schmales Bändchen für fünf Kronen war schließlich das Ergebnis ihrer Mühe und ihres Hoffens. „Ich bin eine verschmähte Dichterin“, sagt sie, ihr Blick wird leicht ironisch. Erfolg war für sie und ihre Werke in der Zeit der staatlichen Verlage und allgegenwärtigen Zensur nicht möglich.

Dichten statt reisen

„Damals haben viele junge Menschen gedichtet“, sagt Nosková. „Hätten wir frei reisen und studieren können, hätten wir das Dichten nicht gebraucht.“ Und so geschah es, dass die Lyrikerin sofort nach dem politischen Umsturz 1989 ihre Gedichte links liegen ließ und Journalistin wurde. Ihre Artikel erschienen in zahlreichen tschechischen Zeitungen und Zeitschriften, für die sie teilweise als Redakteurin arbeitete. Zuletzt für die Tageszeitung „Hospodářské noviny“, wo sie das Magazin „Wissenschaft und Menschen“ betreute. „Der Journalismus hat mich verändert“, sagt sie. Sie wurde extrovertierter, schneller, ihre Positionen schärfer. Täglich musste sie schreiben. „Das war eine wunderbare Vorbereitung für die spätere schriftstellerische Tätigkeit.“

Mit 58 Jahren hat es Věra Nos­ková geschafft: Ihr Roman „Bereme, co je“ („Wir nehmen, was da ist“) wurde ein Erfolg. Darin verarbeitete sie ihre Kindheit in einer zerrütteten Familie, mit einer Mutter, die keine Liebe geben konnte. Zugleich ist der Roman ein Zeitdokument. Die junge Heldin Paula wächst in der stickigen Atmosphäre einer südböhmischen Kleinstadt auf, im tiefsten Kommunismus. Die literarische Kritik Tschechiens entdeckte in dem Buch einen Generationenroman und verglich ihn mit Werken der Weltliteratur wie J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“. Zwei weitere Titel folgten, Heldin Paula entwickelt sich in „Obsazeno“ („Besetzt“) und „Víme svý“ („Wir wissen, was wir wissen“) weiter.

Die letzte Folge der Trilogie sei ihr Lieblingswerk, gesteht Nos­ková. Dort lässt sie die Leser am Leben an der tschechisch-österreichischen Grenze in den 1970er Jahren teilnehmen. Der Eiserne Vorhang, üble Zeitgenossen, wunderschöne Landschaft, eine Liebesgeschichte – all diese Elemente verbinden sich zu einem Stück Lebenserfahrung, die Nosková als „unglaublich, stark, wahnsinnig“ bezeichnet. Die Romantrilogie fand begeisterte Leser, die ersten zwei Folgen wurden für diverse Buchpreise nominiert.

Gefühle und Leidenschaften

Leben und Schreiben: Für Věra Nosková ist dies eine unzertrennliche Einheit. Jeden Tag setzt sie sich mit ihrem Laptop hin und schreibt. Könne sie es einmal nicht, sei sie unzufrieden, erzählt sie am Küchentisch neben dem Bücherregal. „Das Schreiben ist eine seltsame Tätigkeit“, sagt sie und rührt in der Tasse. Es gehe um „Gefühle, Leidenschaften“, die jedoch ein kühler Verstand verarbeitet.

Die Geschichten reifen manchmal über Jahre hinweg. Situationen, Charaktere, Dialoge, alles ist minutiös durchdacht und sehnt sich danach, in Worte gegossen zu werden. Die Schriftstellerin weiß, dass sie Macht hat über ihre Romanfiguren. Zugleich will sie ihre Charaktere gewähren lassen, sie so handeln lassen, wie sie gestrickt sind. Denn: „Im Gehirn des Lesers sollen sie aufleben und glaubwürdig sein.“

An ihrem neuesten Roman „Proměny“ („Verwandlungen“) schrieb sie drei Jahre lang. Darin schildert sie die Situation in Tschechien vor dem Fall des Kommunismus 1989 und unmittelbar danach. An zehn Figu­ren zeigt Věra Nosková, wie ein politischer Umbruch das private Schicksal verändern kann. Nicht immer zum Besseren. Manche ihrer Helden werden Opfer neuer Ordnungen, die sie nicht verstehen, andere sind töricht, einseitig, lassen sich gehen. Sie schrieb dieses Buch, weil sie erstaunt war, „wie sich unser Leben nach der Samtenen Revolution gewandelt hat“. Auf der Prager Buchmesse „Svět knihy“ („Welt des Buches“) liest sie daraus. Und aus der Kurzgeschichtensammlung „Ať si holky popláčou“ (etwa: „Lasst uns die Mädels zum Weinen bringen“), einem Buch voller Humor, Sarkasmus und Selbstironie.

Und nun? Věra Nosková träumt davon, ihren Lieblingsroman „Víme svý“ auf die Leinwand zu bringen. Vor einem Jahr hat sie die Geschichte zu einem Drehbuch umgeschrieben. Und sie arbeitet an einem Kinderbuch. Im Herbst will sie es herausgeben.