Das Innerste nach außen gekehrt

Das Innerste nach außen gekehrt

Bianca Bellová ist mit „Toter Mann“ ein ergreifender Liebesroman gelungen

3. 9. 2014 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel

Die 1970 in Prag geborene Bianca Bellová hat bislang vor allem mit Kurzgeschichten auf sich aufmerksam gemacht. Mit „Toter Mann“ hat sie erstmals einen Roman vorgelegt. Ein bemerkenswertes Debüt, das es in sich hat. Unglaubliches wird darin erzählt und unglaublich Vieles, vor allem aber nicht alles auf einmal, wie Hanna, die Protagonistin ermahnt: „Alles zu seiner Zeit, wir müssen erstmal den richtigen Rhythmus finden.“

In packender Sprache plaudert Hanna über ihre Familie in der Tschechoslowakei, über ihr Leben und ihre Enttäuschungen. Lebhaft schildert sie einzelne Episoden, die sich Zug um Zug zu einem Zusammenhang verdichten, der es ermöglicht, sich ein Bild über Hanna zu machen. Sehr schnell stellt sich in diesem Parlando heraus, dass eine unglückliche Liebe Hannas Schicksal nachhaltig bestimmt. Der Mann ihres Herzens hatte sie verlassen.

Hannas Monolog nimmt Züge einer Beichte an, verwandelt sich in einen Lebensrückblick und präsentiert sich letztlich doch als Dialog mit ebendiesem Mann, der sie verlassen hatte und der jetzt als Ansprechpartner herhalten muss. Was hatte Hanna nicht alles mitgemacht mit ihrem Herzallerliebsten, seinem zuweilen schlechten Benehmen und den skurrilen Vorlieben nicht zuletzt im erotischen Verhältnis.

Das alles ist eingebettet in die vorgezeichneten Schicksalsbahnen einer tschechischen Durchschnittsfamilie mit ihren durch die politischen Umstände auferlegten Brüchen. Noch vor der Geburt von Hannas Mutter war der Großvater Anfang der fünfziger Jahre aus politischen Gründen hingerichtet worden. Hanna und ihr Zwillingsbruder David wurden vor allem von der tapferen und unbeugsamen Großmutter aufgezogen. Die Jahre gingen ins Land und hinterließen ihre Spuren im Leben der Menschen. Ende der achtziger Jahre dankte der „real existierende Sozialismus“ ab und auch die Ehe der Eltern hatte längst zu bröckeln begonnen.

Jahre nach der bitteren Trennung erreicht Hanna eine offizielle Einladung zu einer Party ihres Verflossenen, der inzwischen eine etablierte Persönlichkeit im öffentlichen Leben geworden ist. Hanna fährt mit ihrem Zwillingsbruder David zur Villa ihres früheren Liebhabers in Černošice. In lebhafter Beschreibung breitet sie dessen Begrüßung aus: „Du hast mich inzwischen auf beide Wangen geküsst; eine kosmopolitische Angewohnheit, die sich breitmacht wie eine eingeschleppte Pflanze, wie Hamburger und der Valentinstag und Unterhosen mit Herzchen drauf“. Auf dieser Feier lernt Hanna dann auch die Lebensgefährtin ihres verflossenen Geliebten kennen.

Nicht lange nach dem ungewöhnlichen Fest wird sie sich mit dieser „Ephebin“, wie Hanna sie bezeichnet, wieder treffen. Da sind die Umstände dann ganz andere und das tabulose Gespräch birgt ungeahnte Überraschungen. Doch muss man sich um Hanna nicht sorgen, ihr Leben hat sie genug abgehärtet, um mit Unvorhergesehenem fertigzuwerden.

Bei aller Schnoddrigkeit, die Hannas Berichte über ihr Leben zuweilen kennzeichnet, schimmert immer wieder ein tiefer Schmerz in ihrem Nachdenken auf. Es lässt Hanna keine Ruhe, dass sie ihre beiden Kinder, mit denen sie einst schwanger gewesen war, auf das hartnäckige Drängen ihres Geliebten hin abgetrieben hatte. Sie spürt die Ohnmacht dieser Schuld und gleichzeitig empfindet sie, dass „das Leben an mir vorbeifließt, als ob ich nur zusehe und nicht in der Lage bin, reinzusteigen und teilzunehmen“.

Doch unbarmherzig geht das Leben weiter. Im Park sitzend sinniert sie über die Zukunft. Unablässig führt Hanna ihren Monolog mit einem stummen Partner, der allerdings seltsam unbeteiligt wirkt und stumm bleibt.

Dieser klug durchkomponierte Roman wartet mit einem so ungewöhnlichen wie zugleich unerwarteten Ende auf. Das Innerste wird nach außen gekehrt und ermöglicht einen Einblick, der aufwühlt und sprachlos macht. Oft genug wird der Begriff „Schicksal“ für Zustandsbeschreibungen strapaziert, die sich einer allgemeinen Verfügbarkeit entziehen, hier liegt ein eindrückliches Beispiel vor. Hanna begreift, dass die Kraft wahrer Liebe sowohl das Leben wie auch den Tod zu übersteigen vermag. Mit diesem vorliegenden Roman liegt ein außergewöhnlicher Liebesroman vor.

Bianca Bellová: „Toter Mann“. Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch, Braumüller Verlag, Wien 2014, 184 Seiten, 18,90 Euro, ISBN 978-3-99200-110-1