Das fettige Trommeln der Schiffsmotoren

Das fettige Trommeln der Schiffsmotoren

Im jüngsten Roman von Emil Hakl sucht ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller nach sich selbst

22. 5. 2013 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: Anca Pandrea

Mit seinen 50 Jahren steht Jan mitten im Leben. Höchste Zeit, sich bislang noch nicht in Erfüllung gegangenen Wünschen zu widmen. So kommt es, dass Jan gleich zu Beginn dieses aufregenden Romans in die Luft geht. Zwei jugendliche Zufallsbekannte hatten es ihm als verspätetes Geburtstagsgeschenk ermöglicht, sich mithilfe eines Gleitschirms über die nordböhmische Gegend um Louny zu erheben. Kann er das alleine? Will er es eigentlich wirklich? Fragen, die nicht beantwortet werden können, da Jan bereits einsam in der Luft hängt. Die Kommunikation zur Erde erhält er mit Hilfe eines an seiner Wange mit Leukoplast angeklebten Handys aufrecht. Am erhöhten Abflugpunkt des Hügels hatte Jan sich bereits über das Publikum gewundert, das sich ebenfalls zum Abflug eingefunden hatte: „Pickelgesichtige, zappelige Moskitos, rebellische Karrieristinnen, viehisch fertige Vierfachmütter, dröge Doktorandinnen, Muskelbullen jeder Art, Gutmenschen, Bescheidwisser, Military-Typen, Rōnins, Kapuziner, Wu-Tang-Clan-Fans, Blödis wie aus rotem Gummi gegossen, quicksilbrige Adoranten ewiger Jugend mit blondierten Haaren.“

Jan genießt den überraschenden Flug, so gut er kann und lässt sich von der Strömung wie auch von seiner einsetzenden Gedankenwelt tragen. Monologe, Dialoge, dazwischengeschaltete Unterbrechungen sowie angefügte Ergänzungen beschreiben einen bunten Wirbel an Eindrücken und Erinnerungen. Jan, ein Mann von 50 Jahren und mäßig erfolgreicher Schriftsteller, reflektiert sein Leben. Er dreht und wendet es in alle erdenklichen Richtungen, um sich Auskunft über sich selbst geben zu können. In bewusster Distanz zu seinen jugendlichen Bekannten kommt er zu einem Ergebnis, was seine eigene Rolle betrifft. Wer ist er eigentlich? – „Ein Beobachter. Er hört zu und vergleicht. Ist seinen Erinnerungen ausgeliefert, das ist alles.“

In faszinierender Weise entfaltet sich dieser Roman in einer laufend dargestellten Form der Erinnerungen – die in Literatur gesetzte Inszenierung einer unablässigen Selbstvergewisserung. Eine zuweilen schnoddrige Sprache kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein subtiler Beobachter am Werke ist.

Der Roman ist in drei Teile zerschnitten, die jeweils für sich erzählen und dennoch ein Gesamtbild erzeugen. Während sich der 50-jährige Jan im ersten Teil sozusagen aus der Vogelperspektive ein Bild über sein bisheriges Leben zu verschaffen versucht, werden im zweiten Teil Einblicke in den Alltag von Jan gewährt. Ein Schriftsteller, der eher schlecht als recht über die Runden kommt, ewig unglücklich verliebt ist und letztlich vielleicht gar nicht in der Lage, eine Bindung einzugehen. Eine diagnostizierte Dickdarmentzündung bei seinem Vater bringt die beiden wieder einander näher. Jan widmet seinem Vater Zeit und sie plaudern sich fest. Im letzten Teil des Romans begibt sich Jan auf Reisen. Wieder zusammen mit den beiden jugendlichen Freunden, die ihm den Geburtstagsflug verschafft hatten. Sie landen nach einer Fahrt mit der Eisenbahn im rumänischen Donaudelta. Jan kommt dem Versprechen gegenüber seinem Vater immer näher, dessen Asche im Meer zu verstreuen. In einem Ruderboot sitzend vergewissert sich Jan seines Aktionsplanes, den er sich zurecht gelegt hatte: „Nicht in der Küche sitzen, Bewegung. Das Notebook zuklappen. Sich am Riemen reißen. Aus dem Hamsterrad raus. Reisen. Die Türkei. Die Kalahari.“

Auch im Binsen- und Schilfgewirr eines verzweigten Donaudeltas erreichen Jan auf seinem Handy immer wieder SMS-Nachrichten seiner Exfreundin Hanka. Hier illustriert die Natur die widersprüchliche Beziehung Jans. Seine inneren Monologe, die von Dialogen mit den Kumpels ergänzt und von dazwischengeschalteten Botschaften Hankas unterbrochen werden. Auch fern von der Hauptstadt Prag ist Jan somit im Unbehausten zuhause. Eine Konstante, die von einem weiteren Kennzeichen Jans begleitet wird, dem frappierend genauen Beobachten seiner Umgebung sowie dem Berichten darüber. Noch im Schlafsack liegend hört er die nahen Schiffe: „Von draußen dringt das fettige Trommeln der Schiffsmotoren zu mir, eine Mischung aus alkoholisiertem Geschrei, Quietschen und Vogelwahnsinn.“ Fürwahr eine passende Beschreibung, die jeder bestätigen kann, der einmal in vollem Bewusstsein Schiffsmotoren wahrgenommen hat.

In den neunziger Jahren hat der 1958 in Prag geborene Hakl, der mit bürgerlichem Namen Jan Beneš heißt, literarisch auf sich aufmerksam gemacht. Für den Roman „Regeln des lächerlichen Benehmens“ erhielt er den in Tschechien renommierten Josef-Škvorecký-Preis. Jetzt kann sich auch der deutsche Leser davon überzeugen, dass er diese Auszeichnung verdient hat!

Emil Hakl „Regeln des lächerlichen Benehmens“. Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch. Braumüller Verlag, Wien 2013, 191 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-99200-083-8