Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zum Attentat von Sarajevo 1914, zum Streit über den künftigen Präsidenten der EU-Kommission und zur Amazon-Absage für Brünn

26. 6. 2014 - Text: Corinna AntonAuswahl und Übersetzung: Corinna Anton

Ein folgenschwerer Tag | Die Wochenzeitschrift „Respekt“ kommentiert zum Jahrestag des Attentats von Srajevo die Folgen der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand: „Aus Sicht der Tschechen war das der vielleicht folgenschwerste Tag der Geschichte. Der Auslöser eines Domino-Effekts, bei dem es faszinierend ist, zu beobachten, wie die einzelnen Steine gegeneinander stoßen, damit sie unmittelbar darauf einen weiteren Zusammenstoß hervorrufen. Oder ein Ereignis, das das Leben von Millionen Menschen veränderte. Ohne diesen Tag hätten sich die tragischsten Momente unserer Geschichte vielleicht überhaupt nicht ereignet. (…) Das Ergebnis war der Weltkrieg, der die Schicksale ganzer Nationen wendete, vor allem aber neuen Unbill und Ärger säte. (…) Franz Ferdinand wollte keinen Krieg, und wenn er gelebt hätte, hätte er ihn verhindern können. Auch den Aufstieg Hitlers zum größten Aggressor der Welt beförderten eher der Zufall und die Umstände als irgendwelche objektiven Beweggründe. Ohne den Ersten Weltkrieg wäre es wahrscheinlich überhaupt nicht zur Beherrschung Deutschlands durch die Nationalsozialisten gekommen. Und auch die Popularität des Kommunismus in Tschechien wäre nach der Befreiung (und der darauffolgenden Besetzung) Osteuropas durch Stalin bei Weitem nicht so hoch gewesen.“

Ein Kampf ums Prinzip | Über den europäischen Streit um den zukünftigen Präsidenten der EU-Kommission schreibt die „Hospodářské noviny“: „Die Auseinandersetzung um Juncker personalisiert sich zu einer Spannung zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premier David Cameron und kann große Folgen für ganz Europa haben. (…) Im Widerstand gegen Juncker geht Cameron am weitesten. In Opposition gegen Juncker, der für ein föderalistisches Europa steht, muss er wegen der Innenpolitik gehen, in der die nationalistisch-isolationistische UKIP-Partei gerade auf Kosten von Camerons Konservativen eine starke Position errungen hat. (…) Die Briten verstehen die Beziehung zu Europa als einen Kampf ums Prinzip, in dem Cameron tatsächlich die britischen Interessen vertritt, wenn er das Prinzip des freien Marktes und eines Europas der Nationalstaaten dem Prinzip des Föderalismus und einer größeren Regulierung durch die Union gegenüberstellt. (…) Die kleinen Staaten haben die Hoffnung, dass eine von Juncker geführte Kommission, die sich auf das politische Mandat aus den Europawahlen stützt, ein Gegengewicht zu den großen Staaten wie Deutschland bilden könnte. (…) Es sieht so aus, als könnte die Ernennung des Kommissionspräsidenten diesmal noch ein etwas dramatischerer und faulerer Kompromiss werden als gewöhnlich.“

Ein Schuss ins Bein | Die Prager „Lidové noviny“ beschäftigt sich mit der Entscheidung des Online-Versandhändlers Amazon gegen einen Standort in Brünn und mit der Taktik des dortigen Oberbürgermeisters Roman Onderka: „Mit der Änderung des Flächennutzungsplans hat er sich selbst ins Bein geschossen. Die mit heißer Nadel gestrickte Änderung betrifft nämlich nicht nur ein Grundstück für Amazon, sondern das gesamte Industriegebiet Černovická terasa. Dort können sich deswegen nun überall Logistikunternehmen ansiedeln (…) und es können auch großflächige Lager und Umschlagplätze entstehen. An einem Ort, der unter Auto- und Schwerlastverkehr leidet, und wo ein direkter Autobahnanschluss sehr weit entfernt ist, stimmt das traurig. Es kann sein, dass die ganze Angelegenheit nicht nur als peinliches Fiasko des Brünner Rathauses endet. Sie kann ein gerichtliches Nachspiel haben. Das „aktivistische“ Vorgehen des Rathauses bei der Annahme der Änderung des Flächennutzungsplans könnte nämlich leicht Ziel einer verwaltungsrechtlichen Anklage werden. Das würde Onderka sicher nicht von seinen nächtlichen Amazon-Albträumen befreien.“