Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zur Korruptionsbekämpfung, zur nationalen Identität und zu den fehlenden Begnadigungen durch den Präsidenten

29. 10. 2014 - Text: Corinna AntonTextauswahl und Übersetzung: Corinna Anton

Im Visier der Amerikaner | Nachdem die USA Einreiseverbote gegen einflussreiche Ungarn verhängt haben, fragt die Wochenzeitschrift „Respekt“, ob die Amerikaner auch Tschechien ins Visier nehmen könnten. Zwar funktioniere hierzulande die liberale Demokratie, schreibt der Kommentator. Anschließend nennt er aber einige Punkte, die von den USA beanstandet werden könnten: „Zeman fährt zu einem Treffen, dass von Putin-Freunden organisiert wird, was schon starker Tobak ist. (…) Im Kampf gegen die Korruption zeichnen sich zwar einige Fortschritte ab, aber während Prag eine gewisse Hoffnung hegt, lenkt beispielsweise den halbstaatlichen Konzern ČEZ noch immer die alte Führung. (…) Der Zustand der tschechischen Justiz verbessert sich nicht. Und die Pressefreiheit? Die Situation ist ohne Zweifel schlimmer als früher. Eine Mediengruppe besitzt der Finanzminister, viele andere einflussreiche Medien werden von irgendwelchen undurchsichtigen ausländischen Strukturen gelenkt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen legt eine solche Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen und vor allem dem Präsidenten an den Tag, wie sich das zum Beispiel in den neunziger Jahren niemand hätte vorstellen können. (…) Es wäre also keine so große Überraschung, wenn die amerikanischen Behörden nach Ungarn auch Tschechien ins Visier nehmen würden.“

Mit stolzer Gleichgültigkeit | Die Tageszeitung „Hospodářské noviny“ beklagt, dass der 28. Oktober, der „Tag der Entstehung eines selbstständigen tschechoslowakischen Staates“ als Feiertag für viele Tschechen keine Bedeutung hat: „In Tschechien ist seit langer Zeit eine Art stolze Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Staat weit verbreitet. Diese Haltung ist eine scheinbar rationale, sie steht im Gegensatz zu einer irrationalen nationalen Mythologie. Tatsächlich beinhaltet sie jedoch sehr wenig Rationalität. Im Kleinen, in der Familie, ist jedem klar: Wenn die Frau nicht ab und zu Blumen bekommt, ist die Partnerschaft irgendwann vorbei und wird möglicherweise durch andere Beziehungen ersetzt. Sehr ähnlich verhalten wir uns dem Staat gegenüber, nur mit dem Unterschied, dass wir nichts haben, womit wir ihn ersetzen können, wir können uns nicht einfach so in der Welt verteilen. So verurteilen wir uns selbst zu einer Art kollektiver unverbrauchter Ehe, in der wir (…) versuchen, die Oberhand über den anderen zu gewinnen und so viel wie möglich zu profitieren. (…) Das ist keine Behaglichkeit, sondern ein permanenter kalter Krieg, der nur gelegentlich durch offene Kampfszenen unterbrochen wird (…). Das hat leider auch eine sehr unangenehme Konsequenz nach außen: Wenn wir nicht in der Lage sind, eine elementare Einigkeit, eine Identifikation mit dem eigenen Staat als Projekt, als Idee zu schaffen, wie sollen wir dann so etwas wie ein nationales Interesse formulieren?“

Ohne Gnade | Die Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ fragt, warum Präsident Miloš Zeman bisher noch keine einzige Begnadigung ausgesprochen hat, während seine Vorgänger Václav Havel und Václav Klaus in ihren Amtszeiten um die 1.200 beziehungsweise mehr als 400 Verurteilte begnadigt haben: „Ein Täter kann nach dem Gesetz verurteilt werden, aber nicht immer muss ein solches Urteil gerecht sein. Und haben wir denn ein perfektes Justizsystem? Unfehlbare Gerichte? (…) Begnadigungen auszusprechen ist eine traditionelle Aufgabe des Präsidenten. Es ist eine schwierige Aufgabe. Das Staatsoberhaupt muss Verantwortung für das Schicksal anderer übernehmen. Das will Zeman aber vielleicht nicht. Er hat das Recht, diese Verantwortung nicht zu tragen. Trotzdem: Wenn wir keine Begnadigungen bräuchten, warum sind sie dann vorgesehen?!“