Allegorische Kunst

Allegorische Kunst

Die Galerie Rudolfinum zeigt verschlüsselte Werke der Künstler Pivovarov und Quinn zwischen Vergangenheit und Gegenwart

12. 3. 2014 - Text: Nina MoneckeText: Nina Monecke; Bild: Ged Quinn – Private Collection

 

Die Kunstgeschichte, insbesondere die Geschichte von Gemälden, ist geprägt durch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Abbild und Vorbild. Die Interpretation fällt meist zeitgenössisch aus. Jede Ära kreiert ihre eigene Beziehung zur Vergangenheit und setzt sich damit automatisch einer problematischen Kanonisierung aus. Der russische Maler Viktor Pivovarov und der britische Künstler Ged Quinn stellen sich gegen jegliche Gewissheit von Bedeutung. Ihnen zufolge sei der Schlüssel zum Verständnis vielmehr ein uraltes Rätsel, das sich allenfalls durch einen beständigen Dialog lösen lässt.

Der Hauptraum der kleinen Galerie im Rudolfinum ist dem Ausstellungsschwerpunkt, den Stillleben von Pivovarov und Quinn, gewidmet. Jene europäische Kunsttradition, die sich auf die präzise Darstellung lebloser Gegenstände konzentriert, zählte für Pivovarov zu den Grundlagen seiner künstlerischen Ausbildung. Die Objekte sind frontal und in einer einzigen Linie abgebildet und konfrontieren somit direkt den Betrachter. Es sind zwar durchweg simple Dinge wie eine Brieftasche, alte Bücher oder ein Glas Wodka zu sehen; sie alle stehen für Pivovarov allerdings in Verbindung mit seiner russischen Heimat und nehmen daher für ihn einen heiligen Status an.

In der subtilen einfachen Schönheit eines Stilllebens sieht Ged Quinn das Potential, die provokativsten Ideen zu integrieren. Seine Reihe mit Kuchenstücken zeigt konsequenterweise nicht nur bloße Stillleben. Sie tragen überwiegend architektonische Züge und weisen die Form militärischer Bunker auf. Quinn ließ sich hier von dem französischen Philosophen Paul Virilio und seiner „Bunker-Architektur“ des Atlantikwalls der Nazis inspirieren. Die Form dient in diesem Zusammenhang als Relikt der Vergangenheit und als Mahnung an die Zerstörung. Quinn präsentiert die utopischen Ideen der deutschen Faschisten als Vanitas-Objekte in Form von Süßspeisen. Ihre Brutalität verschwimmt in Milch, Zucker und Mehl, eine eindeutige Deutung des Abgebildeten ist nicht mehr möglich.

Interpretation offen
Auch für die Ölgemälde auf Leinwand zu Beginn der Ausstellung arbeiteten beide Künstler mit Metaphern, Allegorien und Historie. In seinem Zyklus „Lemon Eaters“, eine Referenz zu van Goghs „Die Kartoffelesser“, verwendet Pivovarov Motive von der Renaissance bis zur Moderne. Das zentrale Objekt, die Zitrone, ist sowohl in „Saint Sebastian“ als auch in „Girl with Lemon“ der Trost des Leidenden und Alten, die Vitalisierung seiner trägen Lebensgeister. Bevorzugt spielt der russische Künstler auch mit antiken nordischen Mythen. Der Titel der Reihe, „Children of Gods“, macht unverständlich klar, welchen Wert Pivovarov der Mythologie beimisst: Legenden und Sagen sind keine eingestaubten Ammenmärchen, sondern leben auch heute noch in uns weiter. Die Bilder der fratzenhaften Gestalten wirken dabei abstoßend, allenfalls lässt sich ihnen eine Ästhetik des Grauens abgewinnen.

Ged Quinn verwendet in seinen Werken zwar keine antiken Gottheiten, greift aber mit der Gedankenwelt von Traum und Erinnerung ebenfalls die Bilder einer verschleierten Vergangenheit auf. Persönlichkeiten der Geschichte wie Billy the Kid und Adolf Hitler werden durch Verweiblichung verfremdet, die Zeichen der eigenen Seele in den nackten Oberkörper geritzt, die Gesichter verflossener Liebschaften, in Zigarettenqualm gehüllt, ausgestoßen.

Pivovarovs und Quinns Kunst greift Jahrhunderte des europäischen Kulturerbes auf, richtet sich aber an die Gegenwart. Ihre Werke sollen zeigen, dass Kunstgeschichte nicht ausschließlich an Geschehenes gebunden ist. Stattdessen unterstreichen sie vielmehr die Möglichkeit, diese jederzeit zu verändern. Die allegorischen Bilder geben keine kanonisierte Interpretation vor; der Besucher ist somit nicht nur als bloßer Rezipient, sondern als aktiver Teil der Entschlüsselung ihrer Bedeutung gefragt.

„Cake and Lemon Eaters“. Galerie Rudolfinum (Alšovo nábřeží 12, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr (Do. bis 20 Uhr), Eintritt: 90 CZK (ermäßigt 50 CZK), bis 20. April, www.galerierudolfinum.cz