„Markus von Liberec“
Maler

„Markus von Liberec“

Markus Lüpertz ist einer der einflussreichsten deutschen Künstler. Im hohen Alter denkt er an eine Rückkehr in seine Heimatstadt

6. 1. 2022 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Marie Liebig

PZ: Sie wurden im vergangenen April 80 Jahre alt, doch am Theater in Meiningen führten Sie zum Jahresende 2021 erstmals Regie, waren zudem für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Eine Inszenierung als Ihr Gesamtkunstwerk sozusagen. Klingt nicht nach Altersmüdigkeit …
Markus Lüpertz: Nein, die spüre ich noch nicht. Ich habe sogar völlig vergessen, dass ich 80 geworden bin. Allerdings mag ich das Wort Gesamtkunstwerk nicht. Ich hatte an vielen Abenden, an denen ich mir Opern angeschaut habe, Änderungs- und Verbesserungsvorschläge im Kopf. Jetzt versuche ich dies umzusetzen. Aber ich bin kein Opernregisseur, kein Kostüm- oder Bühnenbildner – alles ehrenwerte Berufe, für die es hervorragende Leute gibt. Ich gehe von einem anderen Aspekt aus, aus der Sicht eines Malers. Ich male in der Oper quasi mit der gesamten Besetzung, also mit Sängern und Kulisse, ein Bild.

In Meiningen inszenierten Sie „La Bohème“ von Puccini. Mancher sieht Sie eher bei Wagner, durch die kraftvolle und monumentale Art Ihrer Gemälde. Und auch, weil Sie Mitte der 1990er Jahre schon eine Bildfolge zu Wagners Oper „Parsifal“ malten. Warum also Puccini?
Wagner gehört für mich nach Bayreuth. Ich verehre Puccini sehr, er ist für mich einer der großartigsten Opernkomponisten, die Oper schlechthin. Deshalb macht dies für mich in Meiningen Sinn.

Vor fünf Jahren wurden Sie Ehrenbürger von Liberec. Wie sehr passt der Bohemien Markus Lüpertz zu Böhmen?
Ja, ich bin geborener Böhme. Ich behaupte immer gerne, dass ich der letzte Bohemien bin. Und jetzt machte ich „La Bohème“ als Oper – einen schöneren Dreiklang gibt‘s eigentlich nicht.

Wie sehr prägte Sie Ihre Herkunft? Gibt es gewisse Ähnlichkeiten in der Mentalität?
Ich spüre das, auf alle Fälle. Ich fühle mich dem Östlichen, speziell auch dem Böhmischen verbunden. Als ich in Liberec war, war das für mich Heimat. Ich überlege ernsthaft, ob ich in meinem hohen Alter wieder dorthin zurückkehren sollte.

Markus Lüpertz im PZ-Interview | © PZ

Was gefällt Ihnen an Böhmen so gut?
Schwer zu sagen. Es ist eine Stimmung, bezieht sich rein auf das Mentale. Ich mag Prag sehr, mir gefällt Liberec. Ich habe einen sehr großen Zugang zu dieser etwas ruppigen, aber dann doch harmonischen Landschaft in Nordböhmen. Ich fühle mich dort sehr wohl. Das sind Affinitäten, die sich entwickeln, immer mit der Frage: Was will man eigentlich und wo fühlt man sich wohl?

Finden Sie auch einen Zugang zu den Menschen dort?
Ja, und trotz des Handicaps, dass ich nie Tschechisch gelernt habe. In meiner Familie wurde Deutsch gesprochen. Ich kann es schwer in Worte fassen, aber immer, wenn ich dort bin, fühle ich eine mentalitätsbedingte Zuneigung.

Der Schauspieler Maxi Böhm, eigentlich in Teplice aufgewachsen, erzählte in der TV-Serie „Hotel Sacher“ gerne Anekdotisches und begann stets mit dem Satz „Bei uns in Reichenberg“. Welche Erinnerungen haben Sie noch an Ihre Geburtsstadt und Ihre ersten Lebensjahre dort?
Ich war einmal mit einem Fernsehteam in Liberec und suchte mein Elternhaus, fand dort aber nur ein riesiges Kaufhaus. Die Wassergasse gab es nicht mehr, alles war weg. Da fühlte ich mich auch meiner Jugend beraubt. Mein Vater war sehr kunstaffin und führte ein gastfreundliches Haus, der Schauspieler Paul Hörbiger war hier ebenso zu Gast wie viele Sänger, immer war irgendetwas los. Ich sehe auch noch die großen Töpfe der Färberei, mein Vater war ein Tuchspezialist und wir hatten eine Appretur in Liberec und eine Tuchfabrik in Leitmeritz.

Blick auf Liberec | © Lukáš Vaňátko, CC0

Sie erklärten zuweilen, dass sich Ihr Name Lüpertz im Tschechischen von Liberec ableite – wie Teltschik der Mann aus Telč ist. Wie kamen Sie darauf?
Das war ein Scherz. Lüpertz ist ein ur-rheinischer Name. Meine Familie ist im 18. Jahrhundert nach Böhmen ausgewandert. Ich kam durch die Vertreibung über Sachsen ins Rheinland. Dieses Wortspiel kann ich auch nur jemandem aufbinden, der keine Ahnung von Sprache hat. Obwohl: Markus von Liberec – hört sich eigentlich gar nicht schlecht an.

Der Oberbürgermeister von Liberec würdigte Sie als einen bedeutenden Sohn der Stadt. Dass Sie persönlich zur Ehrung kamen, zeigte ihm, dass das gegenseitige Unrecht zwischen beiden Nationen vergessen sei. Sehen Sie es auch so?
Ich kann völlig verstehen, wie mit uns nach Kriegsende umgegangen wurde. Mein Vater hatte aufs falsche Pferd gesetzt – und das war ein verheerendes Pferd.

Liberec ist nach den Worten des Stadtoberhauptes stolz auf Sie und Sie äußerten sich ebenfalls stolz über die Auszeichnung. Sind Flucht und Vertreibung für Sie heute vor allem Geschichte?
Ich empfinde es zumindest nicht als Trauma. Als Kind war es für mich eher eine abenteuerliche Geschichte, wie ich sie später in Filmen gesehen habe. Ich habe Bomber gesehen, auch Tote und brennende Autos, saß in Eisenbahnwagen, ging dann zu Fuß, auf Kinderwagen waren unsere Sachen untergebracht, mein Bruder und ich hielten uns daran fest.

Ihr Vater hat später viel von der alten Heimat gesprochen und Ihre Mutter böhmisch gekocht. Haben Sie sich nach der Vertreibung noch für die Stadt und deren weitere Entwicklung in der ČSSR interessiert?
Ja, vor allem, weil ich mich für Fußball interessiere und der Klub aus Liberec öfter genannt wurde. Es gab ja sonst kaum Informationen von dort während des Kommunismus, außer eben zum Beispiel über Fußball. Ich hatte immer eine Sonderstellung, weil ich aus Böhmen kam. Und dorthin bin ich nach der politischen Wende auch ein paar Mal gefahren. Einmal ohne Auto-Plakette, weshalb ich von der Polizei gestoppt wurde. Nach einem Blick in meinen Ausweis fingen sie gleich an, mit mir Tschechisch zu reden. Als „Landsmann“ musste ich keine Strafe bezahlen. Ich habe mir damals schon überlegt, ein Haus in Liberec zu kaufen.

Das klingt nach einer sehr innigen Verbindung mit Ihrer Geburtsstadt. Vor zehn Jahren kehrten Sie bereits mit einer Ausstellung nach Liberec zurück. Damals wurden 51 Werke von Ihnen gezeigt – und erstmals ein Katalog in tschechischer Sprache zu Ihren Werken herausgegeben. Werden Sie Liberec eines Tages sogar in Ihrem Testament bedenken?
Das ist durchaus denkbar. Es gibt dort ein Museum und es kann sein, dass ich etwas dafür stifte. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich auch schon eine Spende gegeben.

Lüpertz arbeitet am Bühnenbild für „La Bohème“. | © Christina Iberl

Hatten Sie als Professor an den Kunstakademien in Karlsruhe oder Düsseldorf auch mit tschechischer Kunst zu tun, etwa mit dem Kubismus und Filla oder mit Mucha und seinem Jugendstil?
Ich habe Kunst nie national gesehen, sondern immer regional. Alles andere ist Quatsch. Wenn ein Künstler von München aufs Land gezogen ist, dann malte er dort andere Bilder als in München. Ebenso die französischen Impressionisten, als sie aus Paris weg und in die Camargue gingen. Diese regionalen Einflüsse müssen an Bedeutung gewinnen und dann international bekannt gemacht werden. Das ist wie mit der Küche: internationale Küche ist selten gut.

Ist der tschechische Kubismus also nicht Weltkunst, sondern regionale tschechische Kultur?
Der Beitrag der Tschechen dazu ist regional tschechisch und nicht national tschechisch. Der Kubismus an sich war eine Weltbewegung. Und darin gibt es erstaunliche individuelle und regionale Leistungen. Und zu Mucha: Er fällt einfach unheimlich auf, auch weil er mit seiner Kunst ganz anders war.

Es heißt oft, Sie seien einer der einflussreichsten deutschen Künstler unserer Zeit – und dann werden auch noch ein paar andere Namen genannt. Von einem Wettbewerb um den Platz des Besten hört man öfter bei Schauspielern, ebenso von Neid und Eifersüchteleien. Wie stark ist dies unter Malern verbreitet?
Sagen wir es so: Ich habe das Glück, heute noch mit fast allen nationalen und internationalen großen Malern meiner Generation Freundschaften zu pflegen. Auch mit jüngeren. Ich habe viel von meinen Freunden gelernt: Baselitz, ein hochgebildeter Künstler. Penck, ein Philosoph par excellence. Immendorff, den ich wie einen Bruder geliebt habe. Egal, ob ich in Berlin oder in New York, mit Deutschen oder Italienern zusammen war: man hatte miteinander zu tun und dies mit Zuneigung betrieben. Aber natürlich gab es immer Konkurrenz.

Wie hat sich diese Konkurrenz ausgewirkt?
Sie war ein Ansporn: Was ein anderer geschafft hat, kann man auch schaffen. Insofern ist Konkurrenz positiv. Wenn du sicher bist in deinem Metier und dich für einen Meister hältst, dann musst du mit Erfolg ebenso fertig werden wie mit Zurücksetzung. Künstlerische Vergleiche oder Kämpfe gibt es nur mit alten Meistern, also mit Goya, Manet, Frans Hals oder wem auch immer. Die Zeitgenossen sind dagegen vertraut, sie haben die gleichen Probleme. Und mit denen gibt es einen normalen sportlichen Wettbewerb zur Frage, wer der erfolgreichste ist. Da muss man auch Rückschläge hinnehmen – unbegreiflicherweise.

Und das tut dann weh.
Das ist mehr Amüsement. Wenn du von dem, was du machst, nicht überzeugt bist oder dich in irgendeiner Hierarchie zurückgesetzt fühlst, weil du nicht den Erfolg hast wie ein Kollege, dann solltest du darüber nachdenken, ob du als Künstler wirklich geeignet bist. Wer das Gefühl seiner eigenen Bedeutung nicht besitzt, die eigentlich konkurrenzlos ist, der sollte es lieber lassen.

Lüpertz im Malersaal des Meininger Staatstheaters | © arifoto

Auch Corona kann Sie in Ihrem Schaffensdrang nicht stoppen. Wie erleben Sie gerade diese Zeit?
Ganz einfach: Ich bin 80 und diese Corona-Krankheit stiehlt mir meine Jahre, die ich noch habe. Ich kann nicht leben, wie ich es gewohnt bin – und das nehme ich dieser Krankheit furchtbar übel. Ich führe ein kommunikatives offenes Leben, mit vielen Freunden und Feiern und könnte das Leben noch in vollen Zügen genießen, aber ich werde durch sie reglementiert. Wenn ich ihr begegne, trete ich ihr in den Allerwertesten.

Was wünschen Sie sich persönlich – außer der obligatorischen Gesundheit – für das neue Jahr 2022?
Ich habe keine Wünsche, weil ich normalerweise alle meine Wünsche lebe. Ich bin geworden, was ich wollte und hoffe, dass ich weiter malen kann wie bisher. Aber das ist kein Wunsch, sondern selbstverständlich. Bleibt eigentlich nur übrig, dass diese verdammte Krankheit endlich aufhört. Denn sie verändert die Menschen, den Umgang miteinander, lässt Polarisierung entstehen. Ich habe mich quasi als Erster impfen lassen, jetzt schon meine Booster-Impfung hinter mir. Zuweilen habe ich das Gefühl, dass keiner genau darüber Bescheid weiß. Aber ich mache alles, was von mir verlangt wird, in dieser Hinsicht bin ich ein folgsamer Bürger. Denn ich will niemandem damit schaden. Deshalb habe ich auch meinen 80. Geburtstag nicht gefeiert, denn unter diesen Bedingungen macht das keinen Sinn.

Es wäre jetzt auch eine gute Zeit dafür, dass Sie mit 80 Lebensjahren Ihre Autobiografie verfassen.
Das habe ich nicht vor.

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