„Wir brauchen klare Ziele“
Interview

„Wir brauchen klare Ziele“

Welche Zukunft haben die bilateralen Beziehungen für junge Deutsche und Tschechen? Damit beschäftigt sich das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum auf seiner Jahreskonferenz im November. Maximilian Röslmair (26) engagierte sich früher im Jugendforum und ist heute Vorsitzender des deutschen Trägervereins

5. 11. 2018 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Devin Avery

PZ: Warum interessieren und engagieren Sie sich gerade für Tschechien und die Tschechen?
Maximilian Röslmair: Ich wurde in Selb geboren, nahe an der Grenze zu Tschechien, und fand es vor dem Abitur befremdlich, dass wir dort Französisch lernten, obwohl Frankreich auf der anderen Seite von Deutschland liegt. Und dass man von Selb aus wie selbstverständlich in das Nachbarland Tschechien fährt und einkauft, der dortigen Kultur und Sprache aber keinen Wert beimisst. Das wollte ich für mich persönlich ändern. Es war anfangs ein Versuch, aber ein sehr guter, und ich bin dabei geblieben.

Sie gehörten dem Deutsch-Tschechischen Jugendforum von 2014 bis 2015 als aktives Mitglied an. Begegnen sich junge Deutsche und Tschechen heute mit ebenso viel Vertrauen wie etwa Deutsche und Franzosen?
Wer aufgeschlossen auf andere zugeht, erfährt große Herzlichkeit – auch wenn die Sprache immer noch ein großes Hindernis ist, vor allem auf deutscher Seite. Ich konnte damals noch kaum Tschechisch, habe aber diese große Aufgeschlossenheit erlebt. Mit besseren Sprachkenntnissen wurde auch der persönliche Kontakt gestärkt, ebenso das Verständnis für das Land, die Leute, ihre eigene Prägung. Man muss aber feststellen, dass das Jugendforum ein eigener Mikrokosmos ist – zeitintensive Projektarbeit, ähnliches Zielpublikum, nämlich zu einem Großteil Studierende, die das Projekt Jugendforum ‚nebenbei‘ bewältigen können. Aber zu Frankreich fehlen einfach gut 50 Jahre.

Wie macht sich das bemerkbar?
Es ist einfach nicht selbstverständlich, dass man Tschechisch lernt, selbst wenn man nur ein paar Kilometer von der Grenze entfernt lebt. Während meiner Zeit am Gymnasium gab es nicht einmal einen Wahlkurs dafür. Da hinken bayerische Gymnasien hinterher, während Berufs- oder Realschulen deutlich breitere Angebote haben. Man bräuchte mehr Lehrkräfte, müsste mehr Interesse wecken als nur für eine Klassenfahrt nach Prag. Wer hinter die Kulissen blicken möchte, braucht einfach mehr Sprachkenntnisse als Deutsch oder Englisch. Dafür ist allerdings eigener Antrieb nötig, um Angebote zu nutzen, die bei entsprechender Nachfrage sicher auch erweitert würden.

Wie sehen Sie die deutsch-tschechischen Beziehungen heute, sind dies tatsächlich die „besten Beziehungen ever“, wie die Politik gerne behauptet?
(lacht) Ich bin bereits in einem wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen und kenne es nicht anders. Das Problem ist, dass Akteure und politische Entscheidungsträger der deutsch-tschechischen Beziehungen noch in gewisser Weise von der Zeit davor geprägt waren und sind. Ich hoffe, dass die Zeit dies richtet, aber ich glaube, der Kurs geht vorwärts. Es sind insofern „beste Beziehungen ever“, da sich diese Beziehungen beständig entwickeln.

Die Teilnehmer am Jugendforum sollen sich aktiv am Dialog beider Länder beteiligen. In einem Dialog werden gemeinsame Interessen definiert, jetzt und für die Zukunft. Wie wünschen Sie sich die deutsch-tschechischen Beziehungen in, sagen wir, zehn Jahren?
Ich finde, dass man bilaterale Beziehungen immer im Kontext einer gesamteuropäischen Perspektive sehen sollte. Ich bin kein Freund von einem Europa der Nationalstaaten, auch wenn gute Beziehungen gerade zu Nachbarn wichtig sind. Aber man sollte klare Ziele für das gesamte Europa definieren. Sich darauf zu beschränken, dass man gewisse Übereinstimmungen und eine relativ ähnliche kulturelle Prägung hat, ist zu wenig. Ich hoffe, eine starke deutsch-tschechische Partnerschaft ist in zehn Jahren so relevant wie jede Partnerschaft von Deutschland zu seinen Nachbarländern – dies aber im Kontext einer gesamteuropäischen Entwicklung.

Maximilian Röslmair, Vorsitzender des deutschen Vereins „Freunde des Deutsch-tschechischen Jugendforums“ | © privat

Seit 2001 gibt es dieses Jugendforum. Ganz ohne Floskeln: Was tat und tut dieses Forum konkret für die Beziehungen zwischen beiden Ländern?
Die Arbeit des Jugendforums ist wichtig, weil es Begegnung zwischen jungen Menschen ermöglicht und ihnen Angebote aufzeigt. Weil es ihnen Info- und Vernetzungstage im Rahmen der internationalen Jugendarbeit anbietet, wo sie vorher keine Anknüpfungs- und Berührungspunkte hatten. Das Forum gibt einen Einblick in Projektarbeit generell und bilaterale speziell, fördert persönliche Kontakte – und hält dadurch natürlich auch den Gedanken an die deutsch-tschechischen Beziehungen in jungen Menschen aufrecht. Wer in diesem Jugendforum mitarbeitet, ist später meist auch ein Multiplikator für die Beziehungen.

Dem Forum gehören junge Leute im Alter von 16 bis 26 Jahren an. Wer nimmt teil und wird wie dafür ausgewählt?
Bei diesem Altersrahmen geht es um die Finanzierung, dafür muss er den Bestimmungen des Kinder- und Jugendplanes des Bundes entsprechen. Jedes Jugendforum definiert ein spezielles Thema für die Amtszeit seiner Nachfolger. Die Trägervereine verbreiten anschließend dieses Thema, dann bewerben sich Jugendliche. Es gibt mehr Bewerber als Plätze, die Mitglieder der Vereine und die Förderer wählen aus, wer im Forum mitmachen darf.

Sind gegenseitige Sprachkenntnisse eine Voraussetzung für die Teilnahme und in welcher Sprache erfolgt die Verständigung?
Nein, Sprachkenntnisse sind keine Voraussetzung. Als ich damals ins Jugendforum kam, konnte ich gefühlt drei Wörter. Im Plenum, bei dem sich alle Teilnehmer treffen, wird simultan gedolmetscht. Jeder hat das Recht, in seiner Muttersprache zu kommunizieren. Schwieriger ist es in den einzelnen Arbeitsgruppen. Es ist Aufgabe der Koordinator/innen beim ersten Treffen darauf zu achten, Gruppen so zu bilden, dass sie paritätisch besetzt sind, aber auch eine Zusammenarbeit auf der kommunikativen Ebene möglich wird.

Eine Amtszeit im Deutsch-Tschechischen Jugendforum dauert nur zwei Jahre. Was soll in dieser knappen Zeit erreicht werden?
Das ist individuell sehr verschieden. Es geht darum, das gewählte Oberthema in einem Projekt umzusetzen. Dafür wird zum Beispiel ein Blog erstellt, oder Planspiele, oder es entsteht eine interaktive Karte. Die Projekte sind vom Aufwand her nicht unerheblich, bilden aber den Rahmen, um den Austausch sowie Begegnung und Zusammenarbeit von jungen Menschen zu ermöglichen – und eventuell eine weitere Professionalisierung.

Ist das Jugendforum also eine Art Sprungbrett für professionellen Nachwuchs und künftige Leistungsträger der Beziehungen?
So würde ich das nicht sagen. Aber, vergleichbar mit jeder ehrenamtlichen Tätigkeit kann es den beruflichen Einstand erleichtern. Tatsächlich haben einige dieses Umfeld zu schätzen gelernt, ihre Erfahrungen und persönlichen Begegnungen. Ich freue mich immer, wenn ich ehemalige Mitglieder bei deutsch-tschechischen Begegnungen treffe.

Mitglieder des Jugendforums bei der Feier zum Tag der Deutschen Einheit in der Prager Botschaft

Die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 wollte die Beziehungen entkrampfen und sparte deshalb bewusst die historische Vergangenheit aus. Welche Rolle spielen Besatzung wie Vertreibung bei Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Tschechen heute?
Keine leichte Frage. Ich persönlich finde es wichtig, diese historischen Themen, ihre Prozesse und Mechanismen auch 2018 noch aktuell zu halten. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob sie für jeden heute noch relevant sind.

Im Deutsch-Tschechischen Jugendforum sollen junge Menschen aus beiden Ländern eigene Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Wen interessieren solche Vorschläge?
Schon innerhalb des Jugendforums werden Projekte und Ergebnisse der Arbeitsgruppen intensiv diskutiert. Da wird auch gefragt, ob gewisse Perspektiven möglicherweise nicht beachtet wurden. Kommt es zu einer Aussage, die gesellschaftlich relevant ist, dann sind wir natürlich bemüht, diese auch weiter zu verbreiten.

Im Jugendforum gibt es AGs und sogar ein Plenum. Das klingt sehr bürokratisch und vor allem nach viel Gelaber. Ist das falsch?
Das ist grundfalsch! Plenum heißt nur, dass alle Mitglieder zusammenkommen und diese 30 Leute Kontakte untereinander knüpfen. Die Teilnehmer sollen nicht nur primär an ihre Arbeitsgruppen gebunden sein. Außerdem werden dort Fragen wie der Schulungsbedarf, konkrete Projektarbeit oder Kommunikationskanäle geklärt. Diskussionsbedarf besteht bei den Teilnehmern immer, gerade auch bei der handfesten Projektarbeit. Vor allem will das Jugendforum jedoch den kleinen Arbeitsgruppen, die unterschiedliche Projekte bearbeiten, Zeit und Raum für die Projekte wie auch den individuellen Austausch geben.

Auf Facebook schreibt das Forum zum Beispiel: „Habt ihr schon das Interview mit dem deutschen Botschafter in Tschechien gesehen?“ Oder: „Wusstet ihr schon, dass unser Projekt Do Německa na zkušenou einen eigenen Blog hat?“ An wen richten sich solche Fragen?
Grundsätzlich natürlich an alle, die sich dafür interessieren. Unsere Zielgruppe sind jedoch vor allem Menschen unter 30, die keine Berührungspunkte mit politischen Prozessen haben. Sie sind so wichtig, weil sie in einem relativ stabilen Rahmen aufgewachsen sind und wenig Konfliktpotenzial kennen. Wir wollen gerade sie zum Nachdenken und zu aktiver Teilhabe einladen.

Ist das Interesse an den deutsch-tschechischen Beziehungen nach Ihren Erfahrungen gewachsen oder auf gleichem Niveau wie vielleicht vor 20 Jahren geblieben?
Ich habe seit meiner Zeit im Jugendforum das Gefühl, dass das Interesse gewachsen ist. Das sehe ich bei Veranstaltungen wie zum Beispiel bei Info- und Vernetzungstagen. Dort gibt es mehr Leute und mehr Angebote als früher – und das gäbe es nicht, wenn nicht auch mehr Interesse da wäre. Dabei bewähren sich auch Kooperationen und gemeinsame Plattformen, etwa mit dem Deutsch-Französischen oder dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk. Dieses gestiegene Interesse trifft auf junge Leute zu, bei der Generation meiner Eltern bin ich mir allerdings nicht so sicher.

Zur Unterstützung des Forums gibt es Trägervereine auf deutscher und tschechischer Seite. Sie sollen vor allem Fördergelder für das Jugendforum beantragen und verwalten. Wie schwierig ist es, diese Gelder zu bekommen?
Grundsätzlich sind Fördermittelanträge nicht gerade unbürokratisch. Das Jugendforum hat etablierte Förderer zum Beispiel das Koordinierungszentrum „Tandem“ oder den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, wo sich personelle Kontinuität für uns positiv auswirkt und wir auch aktiv den Austausch suchen. Auf der anderen Seite können wir natürlich auf bereits erfolgreiche Amtsperioden und Projekte zurückblicken, aus denen der Wert des Jugendforums erkennbar ist.

Und wie viel Geld bekommt man konkret?
Gute Frage, denn das schwankt, weil Gelder etwa beim Fonds pro Amtszeit und mit einem festen Wechselkurs beantragt werden. Das kann ein Vorteil sein, ist manchmal aber auch ein Nachteil. Von den Geldern schöpfen wir nur etwa 80 Prozent aus, der Rest wird gemäß der Förderrichtlinien zurückgezahlt.

Gibt es etwas, worauf Sie im Rückblick auf Ihre Zeit im Forum bis heute stolz sind?
Meine Arbeitsgruppe hat sich damals mit einer sehr komplexen Thematik auseinandergesetzt, nämlich mit der Flüchtlingsfrage. Noch bevor es in Deutschland hieß, wir akzeptieren eine Million Flüchtlinge. Ich finde es heute spannend, dass wir damals auf ein Thema vorgegriffen haben, das erst im Laufe des Projekts brandaktuell wurde. Für mich persönlich sind die Kontakte, die ich in dieser Zeit geknüpft habe, für meine Arbeit im Vorstand des Trägervereins heute sehr hilfreich – aber ebenso möchte ich auch die entstandenen Freundschaften in meinem Privatleben nicht missen.

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