Putins Sprachrohr oder gedanklicher Brückenbauer?

Putins Sprachrohr oder gedanklicher Brückenbauer?

Staatspräsident Miloš Zeman provoziert mit Aussagen zur Ukraine

26. 11. 2014 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: čtk/pap/Jacek Turczyk

Er wollte Präsident aller Tschechen werden. Nach gut eineinhalb Jahren ist Miloš Zeman von diesem Ziel weit entfernt. Kaum eine Aussage oder ein Auftritt des Staatsoberhaupts vergeht ohne kontroverse Debatte. Zuletzt waren es vor allem russlandfreundliche Aussagen zum Konflikt in der Ukraine und Zemans vulgäre Ausdrucksweise, die öffentliche Kritik hervorriefen. Am Mittwoch vergangener Woche demonstrierten erneut über 200 Menschen vor der Prager Burg gegen den Präsidenten. Am Staatsfeiertag zwei Tage zuvor hatten mehrere Tausend in Prag und gut 500 in Brünn Zeman symbolisch die rote Karte gezeigt.

In der Hauptstadt waren bei den Protesten auch Eier geflogen; seitdem wird diskutiert, ob die Form des Protestes angemessen gewesen sei. Der Rektor der Prager Karls-Universität Tomáš Zima zum Beispiel kritisierte, dass die Demonstranten die Gedenkveranstaltung gestört hätten – und rief damit selbst Kritik hervor: Etwa 80 Akademiker und Studenten seiner Hochschule unterzeichneten einen öffentlichen Brief, in dem sie die Demonstranten verteidigten. „Unserer Meinung nach ist es in einem demokratischen Land sehr wohl angebracht, dass die Öffentlichkeit gegen das Verhalten eines Präsidenten protestiert, der seines Amtes nicht würdig ist“, heißt es in dem Schreiben an die Adresse des Rektors.

Zima ist allerdings nicht er einzige, der die Form der Proteste für unangemessen hält. Im Internet kursieren sowohl Petitionen gegen als auch für Zeman. Der Politologe Lukáš Novotný von der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität in Ústí nad Labem verurteilt die Eierwürfe ebenfalls – und hält die Bedeutung der Demonstrationen gegen den Präsidenten für gering. „Ich sehe keine Gefahr, dass Zeman gestürzt wird“, sagte er der „Prager Zeitung“. Zeman genieße noch immer großen Rückhalt in der Bevölkerung, darüber würde in den Medien aber nicht geschrieben, so Novotný.

Einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts CVVM zufolge haben derzeit 37 Prozent der Tschechen Vertrauen in Zeman – der niedrigste Wert seit seinem Amtsantritt. Glaubt man einer Befragung, die im Auftrag des Tschechischen Rundfunks durchgeführt wurde, stört sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung am Verhalten des Präsidenten. Mehr als zwei Drittel glauben, dass er das Land spalte, genauso viele kritisieren, wie er Tschechien im Ausland vertritt. Mehrheitlich auf Unverständnis stoßen der Umfrage zufolge auch Zemans vulgäre Beschimpfungen in einem Radiointerview und seine Aussagen, dass sich auf ukrainischem Boden keine russische Invasionsarmee befinde.

Wiederholt hat Zeman von einem „Bürgerkrieg“ in der Ukraine gesprochen und die westlichen Sanktionen als „ineffektiv“ bezeichnet – ein Widerspruch zur Position der meisten anderen Vertreter westlicher Staaten und der tschechischen Regierung. Dazu äußerte sich in der vergangenen Woche auch der Premierminister: Zeman sollte manche seiner Standpunkte absprechen, erklärte Bohuslav Sobotka (ČSSD). Außenminister Lubomír Zaorálek (ČSSD) will sich noch öfter mit dem Präsidenten treffen als bisher, um Positionen abzustimmen.

Während tschechische Politologen wie Petr Just den Ruf des Landes im Ausland durch Zemans Auftreten geschädigt sehen, könnten die Reaktionen in Ost und West kaum unterschiedlicher sein: Die „Washington Post“ bezeichnet Zeman als „faktischen Sprecher des Kreml“, der nur vom ungarischen Premier Viktor Orbán übertroffen werde. Hingegen jubelte die russische Presse, als der tschechische Präsident im dortigen Staatsfernsehen erklärte, westliche Sanktionen gegen Russland seien nicht gerechtfertigt.

Zeman selbst ist derzeit auf Staatsbesuch in Kasachstan. Wie in China wird er auch hier von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, tschechische Firmen haben auf der Reise bereits Abkommen über Geschäfte im Wert von etwa 450 Millionen US-Dollar unterzeichnet. Am Rande des Besuchs äußerte Zeman sich zur Ukraine: Er stimme mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) überein, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied werden solle. Stattdessen forderte er eine „Finnlandisierung“ des Landes, soll nach Zemans Worten heißen, eine neutrale Position der Ukraine. Doch Zeman wäre nicht Zeman, wenn nicht auch diese Aussage Raum für Diskussionen bieten würde: In der Politikwissenschaft beschreibt das Wort die Bemühungen eines Landes, Neutralität zu wahren und gute Beziehungen zu einem mächtigen Nachbarstaat zu pflegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf die Beziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion bezogen. Dem Sprecher des Präsidenten zufolge steht „Finnlandisierung“ dagegen schlicht für einen neutralen Status, eine „gedankliche Brücke“.

Zehn Zitate des Präsidenten über den Ukraine-Konflikt

Präsident Miloš Zeman hat in den vergangenen Monaten häufig mit umstrittenen Aussagen für Aufregung gesorgt – und zwar nicht nur in Tschechien. Kritik kam zuletzt unter anderem von US-Senator John McCain: Man sei beunruhigt, sagte der US-Politiker, die Äußerungen Zemans bezeichnete er am Mittwoch vergangener Woche als „sehr erstaunlich“. Einen Tag später lud das ukrainische Außenministerium in Kiew den tschechischen Botschafter vor, um gegen „inakzeptable Äußerungen“ von Tschechiens Präsident Miloš Zeman zu protestieren. Zemans Aussagen in chronologischer Reihenfolge:

„Tschechien unterstützt nicht nur die Bemühungen der Ukraine um ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, es unterstützt auch weitere außenpolitische Aktivitäten der Ukraine, wie ihre Kandidatur für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.“   Oktober 2013

„Auch wenn ich die Interessen der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung der Krim, die im Jahr 1954 durch eine sinnlose Entscheidung Chruschtschows an die Ukraine angegliedert wurde, einfach verstehe, so haben wir unsere Erfahrungen mit der Militärintervention im Jahr 1968 gemacht. Ich glaube, dass jede Militärintervention einen tiefen Graben schafft, der über Generationen nicht überwunden werden kann. (…) Ich glaube, dass die russische Regierung die nötigen Schritte unternehmen wird, um die Situation zu beruhigen.“   1. März 2014

„Wenn man mit der Problematik von russischsprachigen oder irgendwelchen anderen Minderheiten argumentiert, löst man eine Kettenreaktion aus, und ad absurdum geführt könnten die Russen dann auch den Schutz ihrer Bürger in Karlovy Vary fordern und das würde sich wahrscheinlich niemand von uns wünschen.“   9. April 2014

„Ich möchte mit einer gewissen Portion politischen Zynismus‘ sagen, dass die Krim verloren ist und dass sie letzten Endes nie zur Ukraine gehört hat, außer nachdem ihr etwas seltsamer Anführer Nikita Chruschtschow (…) die Krim der Ukraine geschenkt hat.“   11. April 2014

„Die Sanktionen gegenüber Russland sind ineffektiv. Wenn es zu einer russischen Invasion in der Ukraine kommen sollte, sind Sanktionen nötig, einschließlich militärischer Maßnahmen.“   5. September 2014

„Noch wurde nicht bewiesen, dass sich in der Ukraine eine russische Invasionsarmee befindet und ich nehme die Erklärung von Außenminister Lawrow ernst, dass dort keine russischen Soldaten sind. (…) Der Premierminister sollte warten, bis sich zeigt, ob Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschiert ist. Wenn ich etwas nicht sicher weiß, dann äußere ich mich nicht dazu und schweige. Eine Invasionsarmee setzt sich nämlich nicht aus ein paar hundert Freiwilligen zusammen, die würde auch unsere tschechische Armee innerhalb einer Woche zusammenschießen.“   5. September 2014

„Ein Bekannter von mir sagte, dass der Ukraine-Konflikt und der Bürgerkrieg wie eine Grippe sind. Aber es gibt hier eine Krankheit, über die fast niemand spricht. (…) Die wirkliche Gefahr stellt der Islamische Staat dar.“   26. September 2014

„Diejenigen, die die Sanktionen unterstützen, werden als Mittel der politischen Kriegsführung benutzt und treten gegen die Aufnahme eines zivilisierten Dialogs auf.“   26. September 2014

„In Spanien gab es auch einen Bürgerkrieg und dabei haben auf einer Seite Russen und Franzosen interveniert und auf der anderen Deutsche und Italiener. Und trotzdem sagt niemand, dass es kein Bürgerkrieg war, niemand behauptet, dass es sich um eine deutsche, italienische, russische oder französische Aggression handelte.“   9. Oktober 2014

„Wir dürfen uns nicht mit Träumen von irgendeiner Unterstützung beschäftigen, auch nicht von einer wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine, denn unter den Bedingungen des Bürgerkriegs ist eine wirtschaftliche Unterstützung einfach Unsinn.“   17. November 2014