Mehr Seele in der Tanzkunst
Tanztheater

Mehr Seele in der Tanzkunst

„Bernarda Albas Haus“ feiert Premiere am Tyl-Theater in Pilsen. Inszeniert hat es eine Deutsche: Anna Vita

7. 1. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelfoto: Tyl-Theater Pilsen

Für ihre erste Regiearbeit in Tschechien hat sie sich schwere Kost ausgesucht: „Bernarda Albas Haus“, eine Tragödie von Federico García Lorca. Fraglos Weltliteratur, aber eben auch düster. Das schreckt die deutsche Choreografin und Tanzdozentin nicht ab. „Mir gefällt die Intimität dieses Stücks“, sagt Anna Vita, „die Personen haben intensive Beziehungen zueinander, die ganze Zeit über liegt Spannung in der Luft.“

García Lorca, einer der bedeutendsten Dichter Spaniens, stellte sein Meisterwerk 1936 fertig, wenige Wochen später wurde er von Milizionären Francos im beginnenden Spanischen Bürgerkrieg ermordet. Seine letzte Arbeit ist ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, wie Menschen in einem repressiven System reagieren und verformt werden, wenn Körper und Geist eingesperrt sind und Lust und Freiheit verweigert werden.

Das Josef-Kajetán-Tyl-Theater beschreibt dieses Stück selbst als „Essenz dekadenter, moralischer Prinzipien, die unweigerlich zu einer Tragödie führen“. Seine Handlung spielt in einem andalusischen Dorf, dort behandelt Dona Bernarda Alba ihre fünf Töchter mit größter Strenge, nachdem ihr Ehemann gestorben ist.

Um den unerbittlichen Auflagen der katholischen Kirche gerecht zu werden, verhängt sie eine Trauerzeit von acht Jahren. Alle Bewohner tragen schwarz, sie dürfen das Haus nur für die nötigsten Dinge und unter Aufsicht verlassen. Kontakt zu Männern ist strikt und unter Strafe verboten. Da die älteste Tochter jedoch schon einem Mann versprochen wurde, soll diese Heirat durchgeführt werden. Alles verläuft nach den Vorgaben der herz- und mitleidlosen Mutter, bis dieser Mann das Haus betritt. Sein Besuch führt zu Missgunst und heimlicher Liebe und mündet schließlich in eine Katastrophe.

„Keine Beziehungen und kein Spaß mehr, über Jahre eingesperrt sein und nur noch ein ernstes Leben fristen, was junge Frauen nicht lange aushalten können, dazu die Spannungen mit der streng religiösen Mutter sowie untereinander, als ein Mann ins Haus kommt, auf den sich alle stürzen“ – Anna Vita findet viele Aspekte, die sie an Lorcas Stück reizen. Der Stoff sei geradezu ideal für ein Tanztheater: „Diese Spannung und die Extremsituationen lassen sich in und mit Bewegung sehr gut ausdrücken.“

Anna Vita und Tänzerinnen des Tyl-Theaters bei den Proben im Dezember | © DJKT

Anna Vita wurde an der John-Cranko-Schule in Stuttgart ausgebildet, erhielt ihr erstes Engagement 1983 am Staatstheater Saarbrücken und ging drei Jahre später an das Theater Dortmund. Weitere Stationen waren die Oper Bonn, das Theater in Basel und die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg. Zuvor war sie selbst Tänzerin und wirkte in mehr als 50 Balletten unter Choreografen wie Youri Vámos und John Neumeier mit. So tanzte sie die Odette/Odile in „Schwanensee“, die Jungfrau in „Carmina Burana“ und Mathilde de la Mole in „Julien Sorel“.

Seit mehr als 20 Jahren inszeniert die gebürtige Neusserin Opern- und Operettenprojekte. Von 2004 bis 2018 arbeitete sie als Ballettdirektorin am Mainfranken-Theater in Würzburg. Zu ihrem Abschied schrieb das Theatermagazin „Die deutsche Bühne“, dass sich Anna Vita auch nach 14 Spielzeiten „unbeirrbar“ zeige. „Der Qualitätsstandard nach der Vita-Ära liegt hoch“, so das Urteil der Fachleute.

In Pilsen will sie Lorcas Werk nun „durch starke Bilder“ eine eigene Handschrift verpassen. Vor allem dadurch, dass es „keine abstrakte Bewegung gibt, sondern die Handlung durch Bewegung dargestellt wird.“ Denn für sie „hat jede Bewegung einen Sinn“, wie die 54-Jährige erläutert. Sie bevorzuge einen „erzählenden Bewegungsstil“ und keinen pantomimischen.

Als das F.-X.-Šalda-Theater Liberec im vergangenen Herbst „Bernarda Albas Haus“ bei den Tschechisch-Deutschen Kulturtagen in Dresden präsentierte, wählte es Flamenco-Klänge für die musikalische Begleitung der Tanzszenen aus. Auch Anna Vita setzt Gitarrenmusik von Isaac Albéniz ein, um dem Pas de deux „Erotik und Feuer“ zu verleihen.

Doch hauptsächlich werden Kompositionen von zeitgenössischen polnischen Autoren wie Krzysztof Penderecki und Witold Lutosławski die spannungsgeladene Geschichte von Bernarda und ihren Töchtern untermalen. Prinzipiell liebe sie „filmische Musik, nicht unharmonisch, aber ungewöhnlich schräg“, sagt Anna Vita.

Außerdem wichtig für sie: Bühne und Kostüme müssen „eine Einheit bilden und zusammen das Stück tragen.“ Wie in manch deutscher Inszenierung wird ein schlichtes Bühnenbild in Schwarz-Weiß die Aufführung in Pilsen prägen: Weiß für die Jungfräulichkeit der Töchter, Schwarz für Trauer und Härte. Gegensätze symbolisieren auch die Kostüme. In Kontrast zum üblichen Schwarz trägt eine jüngere Tochter ein rotes Kleid, als sie aus der Tristesse ausbricht. „Sie ist eine erotische Frau und will es bleiben“, so Vita. Eine große Aufgabe für jeden Regisseur ist die Besetzung der Dona Bernarda. Sie ist im Roman bereits 65 Jahre alt und daher schwer mit jungen Tänzerinnen zu besetzen. Zumal in Pilsen, wo die Darsteller im Schnitt erst 23 sind. In Deutschland ließ man Mutter Bernarda daher schon von Männern darstellen, um ihrem Gesicht besondere Härte zu verleihen. Anna Vita ist jedoch ein besonderes Engagement gelungen. „Wir konnten dafür Nelly Danko gewinnen, eine ehemalige Solistin des Prager Nationalballetts, die im gleichen Alter wie Bernarda ist.“ Da man mit 65 nicht mehr so viel tanzt, sei dies vor allem eine Charakterrolle, müsse sie eine starke Persönlichkeit betonen.

Nelly Danko verkörpert Mutter Bernarda. | © DJKT

Nur eine Stunde ohne Pause dauert die Aufführung in Pilsen. Damit sei sie zwar „sehr intensiv, doch wenn sie länger wäre, würde sie an Spannung verlieren“, erläutert die Choreografin. In oder gerade wegen dieser Kürze ist sie eine Herausforderung für alle Teilnehmer. Zumal von den sieben jungen Tänzerinnen und Tänzern „niemand solch eine Situation wie im Roman geschildert schon mal persönlich erlebt hat.“ Deshalb achtete Anna Vita bei der Vorbereitung auf jedes Detail. Das umso mehr, da die Tänzer auch wegen ihres Alters noch keine große berufliche Erfahrung haben können, wie sie Rollen intensiv gestalten müssen.

In den Proben seit Anfang Dezember vermittelte ihnen Anna Vita daher, wie Härte, Trauer und Tragik am Ende, als sich eine Tochter umbringt, darzustellen und in Tanz umzusetzen sind. Die enge Zusammenarbeit machte ihr Mut. „Ich glaube, die Tänzer mögen das Stück, sie haben sehr viel Spaß daran, mit sich und Situationen zu experimentieren.“

Prinzipiell gewann sie einen hervorragenden Eindruck von der (internationalen und insgesamt 35 Personen umfassenden) Kompanie in Pilsen. „Die Tänzer sind sehr gut geschult, zwar klassisch trainiert, haben aber oft mit Choreografen von modernen Tanztheatern gearbeitet.“ Daher seien sie sehr flexibel.

Und sehr motiviert. Von keinem habe sie in der Vorbereitung gehört, es würde ihm zu viel oder gefalle ihm nicht, zeigt sich Anna Vita dankbar. Professionell sei in ihrem Job, einfach mitzuarbeiten. „Und das machen sie in Pilsen. Es macht Spaß mit ihnen, weil sie einfach gut sind.“ Gleichwohl hat sie Unterschiede zwischen Tschechien und ihren anderen Stationen bemerkt. „Die Tschechen sind ein lustiges Volk, weniger verbissen, mir gefällt ihre Mentalität, sie verstehen zu leben.“ Das sei auf den Tanz übertragbar. „In Tschechien liegt mehr Seele in der Tanzkunst, während sie in Deutschland sehr verkopft und intellektuell ist.“

Weil Herz und Leidenschaft eine große Rolle spielen, geht manches in Pilsen dafür etwas langsamer und braucht länger, ist weniger perfektioniert, dafür aber fröhlicher. Öfter gebe es Nachfragen. Speziell im Technikbereich. Dies will sie nicht als Vorwurf verstanden wissen, schließlich hätten die Mitarbeiter in dem Viersparten-Theater alle Hände voll zu tun.

Das Gebäude dort hat es ihr angetan. Der helle Neubau mit dem tollen Ballettsaal und großzügigen Garderoben ermöglichen ausgezeichnete Arbeitsbedingungen. Was Anna Vita überraschte: „Es gibt sogar einen Fitnessraum für die Tänzer.“ Besonders wichtig: Stets bekam sie die Probenzeiten, die sie brauchte.

Das Neue Theater in Pilsen wurde 2014 eröffnet. | © Hadonos, CC BY-SA 4.0

Bis Ende des Jahres sind mehr als ein Dutzend Vorstellungen auf der Kleinen Bühne am Palacký-Platz (Palackého náměstí) geplant. Anna Vita hat mit der Premiere ihre Arbeit größtenteils erledigt. „Dann gehört das Stück dem Theater und der Kompanie, sie müssen es jedoch in meinem Sinn fortführen und bei Änderungen, etwa in der Besetzung, noch einmal Rücksprache mit mir halten.“

Vor vielen Jahren tanzte sie unter der Regie des schwedischen Choreografen und Regisseurs Mats Ek die Rolle der Michaela in „Carmen“. Ek war einer der Ersten, der „Bernarda Albas Haus“ in Europa als Tanztheater auf die Bühne brachte. „Er hat mich dazu animiert, dieses Stück zu machen“, erinnert sie sich. Allerdings habe Eks Inszenierung vor längerer Zeit nur geringen Einfluss auf ihre eigene Arbeit in Pilsen. „Es war genial, wie er es gemacht hat, aber ich bin überzeugt davon, dass ich es auf meine Weise auch gut machen kann“, erklärt sie selbstbewusst. Wie er indes Härte und Spannung innerhalb der Familie dargestellt hat, bleibt für sie vorbildlich.

Nach Pilsen kam sie durch Empfehlung von ehemaligen Kollegen, die sie noch aus ihrer Zeit als Tänzerin kennt und die mittlerweile in Prag arbeiten. Auch wenn sich Anna Vita zum Ziel gesetzt hat, selbst bald wieder irgendwo als Ballettdirektorin zu arbeiten, hofft sie darauf, nicht zum letzten Mal in Tschechien Regie geführt zu haben. „Ballettdirektor Jiří Pokorný schätzt meine Arbeit und wir haben schon über weitere Aufträge in Pilsen gesprochen.“

Aber auch in Brünn oder Ostrava wäre Anna Vita gerne einmal als Gastchoreografin tätig. Denn sie freue sich immer, „wenn ich meine Arbeit irgendwo präsentieren und mit einer Kompanie arbeiten kann“.

Bernarda Albas Haus
Tyl-Theater Pilsen – Kleine Bühne
Premiere: 12. Januar 2019
nächste Aufführungen am 7. und 23. März sowie am 12. April, jeweils 19 Uhr

Eintritt: ab 229 CZK

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