„Tiefgreifende Unterschiede“

Günther Beckstein spricht in Prag über Migration

10. 11. 2016 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: HSS

Günther Beckstein, von 2007 bis 2008 erster evangelischer Ministerpräsident und davor langjähriger Innenminister des Freistaates Bayern, ist auch nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag im Jahr 2013 weiterhin politisch aktiv – vor allem als Vortragsredner oder als Teilnehmer an Podiumsdiskussionen und Konferenzen. So trat er vor kurzem in Prag bei einer Sicherheitskonferenz des Netzwerks „European Values“ sowie bei einer Migrationskonferenz auf, die von der Hanns-Seidel-Stiftung und der privaten Hochschule CEVRO veranstaltet wurde. Bei dieser Gelegenheit stellte sich Beckstein bei einem Pressegespräch in der vergangenen Woche auch den Fragen der Journalisten.

In seinen Einleitungsworten erinnerte Beckstein an die frühen neunziger Jahre, als er – ­damals noch als Staatssekretär im bayerischen Innenministerium – mit der tschechischen Seite über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei verhandelte, um ganz pragmatisch zuverlässige Kontakte zur besseren Bekämpfung der Kriminalität zu schaffen. Und damals, so erinnerte er sich mit verschmitztem Lächeln, sei auf seinem Tisch in München ein förmliches Schreiben aus Bonn gelandet, das mit Nachdruck auf die Zuständigkeit der Bundesregierung für Vereinbarungen mit Drittstaaten hinwies. Zu ­einem funktionierenden Verwaltungsabkommen zwischen ­Bayern und Tschechien sei es aber schließlich doch gekommen.

Dies war nur ein Vorspann zu Bemerkungen darüber, wie nützlich für Bayern heute, vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise, eine engere Zusammenarbeit mit den vier Visegrád-Staaten sein könnte. Dort habe man inhaltliche Positionen entwickelt, die ebenso von Realismus geprägt seien, wie diejenigen der bayerischen Regierung. Laut Beckstein arbeite Österreich ja auch schon eng mit den Visegrád-Ländern zusammen. „In der Flüchtlingskrise ist alles etwas durcheinandergekommen, wir wissen bis heute nicht, wer und was da alles ins Land kam, da es weder Personen- noch Gepäckkontrollen gab.“ Erst die Grenzschließung auf der Balkanroute habe eine Wende herbeigeführt.

Ursachen bekämpfen
Doch ist es aus Becksteins Sicht noch ein weiter Weg bis zu einer Änderung der Politik auf Bundesebene. Es gebe weiterhin „tiefgreifende Unterschiede“ zwischen den beiden Unionsparteien, vor allem sei die Frage einer konkreten Obergrenze noch offen. Da aber die Zusammenarbeit mit der Türkei auf wackeligem Boden stehe, sei die Kooperation mit Ost- und Südosteuropa ein ganz wichtiger Punkt. Das Abkommen mit der Türkei sei auch deshalb problematisch, weil es von Ankara verlange, das Recht auf Freizügigkeit zu beschneiden und es somit im Grunde gegen europäische Werte verstoße. Zudem hält es Beckstein auch für fragwürdig, immer mehr Länder – zum Beispiel Marokko oder Algerien – zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, weil die tatsächlichen Verhältnisse dort eine solche Qualifizierung nicht hergäben.

Auf Nachfrage nannte Beckstein zwei Maßnahmen, die zu einer effektiven und nachhaltigen Lösung der Flüchtlings- und Migrationskrise beitragen könnten: Erstens gelte es, vor Ort, in den Herkunftsländern, die Flucht­ursachen zu bekämpfen. Also diese Länder durch ­Zusammenarbeit und Investitionen ­dabei zu unterstützen, ihre friedliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung voranzubringen. Und zweitens sollten in Nordafrika Auffanglager eingerichtet werden, in denen die Menschen, vor allem die jüngeren unter ihnen, durch Bildungs- und Ausbildungsprogramme in die Lage versetzt würden, nach der Rückkehr in ihre Heimat aktiv an der Entwicklung beziehungsweise am Wiederaufbau ihrer Länder mitzuwirken. Das sollte nach Beckstein durch gezielte Rückführungsprogramme umfassend gefördert werden.