Zerbrechliches Glück

Zerbrechliches Glück

Jochen Rehm erzählt eine deutsch-jüdische Liebesgeschichte in München, Prag und Tel Aviv

28. 1. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton

Tel Aviv im Februar 1955. Maria feiert mit ihren Eltern ihren 16. Geburtstag. Vater, Mutter, Kind, eine glückliche Familie. Nur wenn es um die Vergangenheit geht, dann werden Marias Eltern immer so komisch, schauen sich schweigend an, weichen aus. „Wir sind doch jetzt glücklich, und manches Vergangene sollte man einfach ruhen lassen, vor allem wenn es nicht so schön war und einem nur die Gegenwart verderben würde“, sagt Marias Vater. Doch die Tochter will es endlich wissen, will den Ort sehen, an dem sich ihre Eltern das erste Mal begegnet sind. Das geht nicht, entgegnen diese, „wir haben uns nämlich schon 1934 in München kennengelernt“.

Damit beendet Jochen Rehm die Einleitung zu „Liebe, Hoffnung, Tod. Das Leben meiner Eltern“. Es ist nach „Ideal“ der zweite Roman, den der 1965 geborene Münchner vorlegt. Auch wenn der Untertitel es nahelegen könnte: autobiographische Züge trägt er nicht. Die Idee zu einer deutsch-jüdischen Liebesgeschichte, die ihre Protagonisten „mit dem politischen Wahnsinn der dreißiger Jahre konfrontiert“, wie der Autor selbst sagt, sei bei mehreren Studienaufenthalten in Israel entstanden.

Den Leser holt Rehm aber erst von Tel Aviv zurück nach München, ins nationalsozialistische Deutschland des Jahres 1934, an den Anfang einer Liebes­geschichte, die immer wieder an schier unüberwindbaren Hindernissen zu scheitern droht. Die Ausgangslage ist denkbar ungünstig: Sarah und Ludwig sind beide Münchner, aber während Ludwigs Bruder ein „glühender Nationalsozialist und inzwischen ein recht hohes Tier in der SA“ ist, entstammt Sarah einer jüdischen Familie. Ludwig hört nicht auf die Warnung seines Bruders, sich von Sarah fernzuhalten. Er prügelt sich mit drei SA-Männern, um Sarah und deren Bruder zu verteidigen. Sie treffen sich einige Male.

Doch das Glück hält nur einen kurzen Augenblick. Schon bricht das nächste Unheil über die beiden sympathischen Hauptfiguren herein, denen der Leser nichts sehnlicher wünscht, als dass sie endlich zusammen sein können.
Als Ludwig überstürzt nach Prag fliehen muss, könnte auch Sarah ihm folgen. Sie besucht ihn mehrmals in seiner neuen Heimat, in der er sich inzwischen recht wohl fühlt, auch wenn ihm ein befreundeter Journalist erklärt, „daß die politische Lage in der Tschechoslowakei, diesem Österreich-Ungarn im Kleinen mit seinen Tschechen, Slowaken, Deutschen, Ungarn, Polen, Ukrainern, Ruthenen und und und nicht so ruhig und einfach war, wie er am Anfang gedacht hatte“. Dennoch macht sich Ludwig wenig Sorgen: „Von einer Übernahme des politischen Systems des Dritten Reiches oder gar einem Anschluß an Deutschland war nie die Rede gewesen.“

Sarah ist zunächst ebenfalls begeistert von der Stadt, von den „Kuchen und Kolatschen“, der Karlsbrücke, der Kleinseite und dem jüdischen Viertel. Sie genießt die Freiheit, die sie in der Tschechoslowakischen Republik förmlich spüren kann, „die unterschiedlichen Meinungen in den Zeitungen, die Plakate der vielen Parteien, das Angebot an Schriftstellern, die in Deutschland bereits nicht mehr verkauft wurden“.

Aber auch sie merkt, dass der Schein trügt, die Gefahren heraufziehen: „Du hast doch vorhin selber diesen Aufmarsch gesehen, das sind genau dieselben Typen wie die Nazis bei uns, über kurz oder lang werden sie den Anschluß des Sudetenlandes an Deutschland fordern, dann von immer größeren Teilen der Tschechoslowakei und ich stecke wieder in der Falle, muß wieder weiterziehen“, sagt Sarah zu ihrem Geliebten, kurz bevor sie sich am Prager Hauptbahnhof womöglich für immer von ihm verabschiedet. Sie wird mit ihrem Bruder nach Palästina auswandern. Ludwig ist die Einreise dorthin verwehrt. Er zieht, nach einem tragischen Unglück in Prag, weiter nach Spanien, um dort gegen Franco zu kämpfen. Als Sarah einige Zeit später eine Nachricht erhält, derzufolge Ludwig gefallen sei, weiß der Leser mehr als sie: Es muss sich um einen Irrtum handeln, so schwant ihm, da Ludwig in der Einleitung, die im Jahr 1955 spielte, ja mit Sarah und Tochter in Palästina lebte.

Ob es dramaturgisch geschickt war, das glückliche Ende in der Einleitung vorwegzunehmen, ist fraglich.
Andererseits schafft es Jochen Rehm dennoch, den Leser bei Laune zu halten. Zu gut sind die Protagonisten, zu gemein die Umstände, mit denen sie zu kämpfen haben, als dass man den Roman einfach beiseite legen könnte, ohne sich ihre Geschichte anzuhören. Schließlich will man wissen, wie es Ludwig doch noch nach Palästina geschafft und was es mit seinem Tod in Spanien auf sich hat. Dass im ganzen Roman, der übrigens den Regeln der alten Rechtschreibung folgt, immer wieder Begebenheiten nacheinander aus der Sicht verschiedener Figuren erzählt werden, ist manchmal gewinnbringend, weil es eine neue Perspektive offenbart, an anderen Stellen sorgt es für leichte Längen, weil die Blickwinkel doch recht identisch sind.

Jochen Rehm: Liebe, Hoffnung, Tod. Das Leben meiner Eltern. Roman. Shaker Verlag, Aachen 2014, 330 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-95631-176-5