„Zeman hasst die Zivilgesellschaft“
Der angehende Professor Martin C. Putna über gefährliche Bündnisse, die Kirche in einem gar nicht so atheistischen Tschechien und den Präsidenten, der ihm den Kampf angesagt hat
22. 5. 2013 - Interview: Klaudia Hanisch
In der Gesprächsreihe „20 Jahre Tschechien – Eine Inventur“ lässt die „Prager Zeitung“ herausragende Meinungsführer Bilanz ziehen. Wo steht Tschechien 20 Jahre nach der Staatsgründung? Im vierten Teil der Reihe sprach PZ-Mitarbeiterin Klaudia Hanisch mit dem Literaturhistoriker Martin C. Putna. Gegen dessen Ernennung zum Professor hat sich in der vergangenen Woche der Präsident höchst persönlich gestellt. Nicht Putnas sexuelle Orientierung sei das Problem, sagt Zeman. Den Zorn des Staatsoberhauptes habe vielmehr ein Transparent entzündet, das Putna auf der Demo „Prague Pride“ im Jahr 2011 hochhielt. Ob auch Putnas Unterstützung für Karel Schwarzenberg, Zemans Gegner in der Präsidentschaftswahl, bei diesem Eingriff in die akademische Freiheit eine Rolle spielt, dazu schweigt sich der Links-Populist aus. Zemans Gebaren sei erschreckend, meint nicht nur die akademische Gemeinschaft. Putna hält sich mit Äußerungen zum Geschehen zurück. Im Interview mit der „Prager Zeitung“, das bereits vor mehreren Wochen geführt wurde, habe er sich in einer Sache bitter getäuscht, sagt der Literaturhistoriker heute: dass Zeman weniger homophob sei als Klaus.
Herr Putna, gibt es so etwas wie einen spezifisch tschechischen Nationalismus?
Martin C. Putna: Der tschechische Nationalismus erscheint mir ein wenig schmuddeliger und lokal begrenzter zu sein als in vielen anderen europäischen Staaten. Das will ich positiv deuten. Der tschechische Nationalist nimmt gerne den Mund zu voll. Auf die Straße aber traut er sich nicht. Die Hemmschwelle, physische Gewalt auszuüben, ist höher als in Ungarn oder Polen. Spezifisch für Tschechien ist jedoch auch, dass hier außer den Roma keine zahlenmäßig starken Minderheiten existieren.
Wie bewerten Sie die Situation der Roma?
Putna: Es ist ein Teufelskreis. Auf der einen Seite gibt es viele Vorurteile und Misstrauen. Das Misstrauen verstärkt die Isolation der Roma. Es ist schwierig für sie, Arbeit zu finden. Auf der anderen Seite sehe ich die Position vieler humanitärer Organisationen kritisch, die meinen, dass das Problem nur auf der Seite der tschechischen Mehrheitsgesellschaft liegt. Die Folge ist eine Romantisierung der Roma. Die Roma sind tatsächlich in einer sehr schwierigen Lage, aber das liegt auch daran, dass sie als Gruppe keine effektiven Mechanismen entwickelt haben, mit Problemen innerhalb der Community umzugehen. Es kam lange nicht zur Bildung von Eliten.
Gibt es in Tschechien überhaupt noch eine klassische Elite, die Visionen für die Zukunft ausarbeiten würde?
Putna: Mit den Eliten haben wir in Tschechien tatsächlich ein gewisses Problem. Vor allem aufgrund des weit verbreiteten Glaubens an eine plebejische Nation. Ein typischer Vertreter Polens oder Ungarns im 19. Jahrhundert war ein Adliger. Einen Tschechen stellt man sich hingegen in einer Hütte in der Provinz vor. Diese Vorstellung beeinträchtigt auch heute maßgeblich das politische Denken. Man nutzt dieses Muster bewusst zur Stilisierung der eigenen Person aus. Wenn man in Tschechien offenlegt, dass man ein gewisses Vermögen oder eine etwas kompliziertere Abstammung hat, dann hat das gleich den Hauch von etwas Verwerflichem. Man macht sich verdächtig. Während des Präsidentschaftswahlkampfes hat man dies gekonnt ausgespielt.
Manche sehen im Ergebnis der Wahl den Sieg des Postkommunismus gegen den Post-Postkommunismus, dieses diffuse Neue für das Schwarzenberg stand. Was halten Sie von dieser Interpretation?
Putna: Da ist etwas dran. Ich würde dem noch eine andere Interpretation hinzufügen: Man sieht hier einen Zusammenstoß zweier mental grundsätzlich unterschiedlicher Welten: Für die erste steht symbolisch Václav Havel, für die andere Václav Klaus. Miloš Zeman steht eindeutig in der Kontinuität von Klaus. Die beiden bedienen sich zwar einer anderen Rhetorik: Zeman zeigt sich weniger euroskeptisch oder homophob als Klaus (angesprochen auf die Aussage, dass Zeman weniger homphob sei, bekennt Putna heute: „Da habe ich mich bitter getäuscht“, Anmerkung der Redaktion). Hinter beiden stehen aber die gleichen wirtschaftlichen Interessen, die gleiche Gruppe von Menschen. Es war absurd, dass Zeman zum Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft aufgerufen hat. Dabei hat seinen Wahlkampf Miroslav Šlouf, einer der zwielichtigsten tschechischen Lobbyisten, organisiert. Bis zum Ende der Wahlkampagne beteuerte Zeman, er stünde mit ihm in keinem direkten Kontakt. Zeman ähnelt Klaus auch in seinem Hass auf die Zivilgesellschaft – etwa auf Intellektuelle, Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen.
Die Gewerkschaften haben Zeman unterstützt. Die sind auch ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft.
Putna: Da haben Sie recht. Allerdings haben die Gewerkschaften nicht aktiv für Zeman mobilisiert oder öffentlich agitiert. Zeman wurde auch von Persönlichkeiten aus dem Showbusiness gestützt. Bei Schwarzenberg waren es oft die jungen Vertreter dieser post-postkommunistischen kulturellen Elite. Bei Zeman waren es Stars der Fernsehkultur aus der Ära der Normalisierung, wie Helena Vondráčková oder Jiřina Bohdalová.
Wie haben sich die Kirchen positioniert?
Putna: In der Regel pro Schwarzenberg. In der katholischen Gemeinschaft war die Unterstützung eindeutig. Die protestantische Gemeinschaft ist stärker links orientiert. Aber auch sie hat im zweiten Wahlgang mehrheitlich für Schwarzenberg gestimmt. Auch wenn in den letzten 20 Jahren vieles passiert ist, wofür man die Kirchen kritisieren könnte, gibt es doch eine Sache, die ich gut an ihnen finde: Sie sprechen sich eindeutig gegen den Nationalismus aus. Als Zeman den antideutschen Aspekt in seiner Rhetorik verstärkte, war es klar, wie die Kirchen reagieren werden.
Was für einen Einfluss kann ein Wahlsegen der Kirchengemeinschaften denn haben? Ist Tschechien nicht eine atheistische Nation?
Putna: Das stimmt so nicht. Das Misstrauen gegenüber der kirchlichen Hierarchie ist weit verbreitet. Trotzdem gibt es ein großes Bedürfnis nach Metaphysischem und nach ethischen Grundsätzen. Eben das, wofür Havel und Masaryk standen. Ich glaube, Tschechien kann man keineswegs als atheistisch bezeichnen. Der Erzbischof von Prag Dominik Duka ist zudem ein kluger Mensch, der geschickt in den Medien agiert. Er hat es geschafft, ein offenes und konstruktives Verhältnis zwischen Staat und Kirche aufzubauen. Das hat sein freundschaftliches Verhältnis zu Václav Klaus begünstigt. Seit dieser Kehrtwende kann man von einem symbiotischen Verhältnis zwischen Kirche und Staat sprechen.
Wenn wir schon bei der Metaphysik sind – was macht Ihnen am öffentlichen Leben in Tschechien die größte Angst?
Putna: (denkt eine Weile nach) Was mich am meisten betrübt: der Aufstieg des Nationalismus und das mögliche Zusammenspiel zwischen der extremen Rechten, dem Klaus’schen Euroskeptizismus und die Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft, die in Zeman ihre Kontinuität findet. Auch Zeman bediente sich in seiner Wahlkampagne Informationen des antisemitischen Journalisten Adam B. Bartoš. Es ist gefährlich diese Menschen und ihre „Entdeckungen“ ernstzunehmen, sie zu zitieren. Bereits Klaus hat sich in dieser Hinsicht keineswegs mit Ruhm bekleckert. Einer seiner engsten Mitarbeiter auf der Burg war ein Verfechter der Theorie, dass die amerikanischen Geheimdienste den Anschlag auf das World Trade Center verübt haben.
Sie meinen Petr Hájek?
Putna: Genau. Noch ist unklar, welche Position Zeman zu ähnlichen Thesen beziehen wird. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Klaus versuchen wird, die ultrarechten katholischen Kreise mit dem euroskeptischen Teil der ODS zu vereinigen. Klaus’ Charisma steht außer Frage. Doch die Gefahr eines vereinigten nationalistischen Lagers wird bislang stark unterschätzt.
Könnte diese Formation tatsächlich auf fruchtbaren Boden stoßen, gar Wahlerfolge einfahren?
Putna: Unter den Gebildeten in den größeren Städten eher weniger. Aber in kleinen Städten im Norden des Landes, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, sieht die Welt ganz anders aus. Wenn sie dort auf einen Marktplatz blicken, sehen sie eine billige Večerka (Lebensmittelgeschäft, das auch am späten Abend geöffnet hat; Anm. d. Red.), ein Spielkasino, eine Kneipe, ein Pfandhaus und das Arbeitsamt. Sie wissen sofort: Die Menschen dort leben kein gutes Leben.
Glauben Sie, dass es eine alternative Vision gibt, eine Art Gegengift gegen das nationale Narrativ?
Putna: Es hält sich die Vision einer liberalen pluralistischen Zivilgesellschaft. Traditionen, denen sich Havel und Masaryk verbunden fühlten, die die Verantwortung jedes Bürgers unterstreichen. Andere Ideen als diese haben wir nicht. Eine Chance sehe ich in einer größeren Amerikanisierung. Damit meine ich keine weiteren Starbucks-Filialen, sondern eine Gesellschaft, die aus unterschiedlichen gleichberechtigten Communities besteht, seien sie ethnisch, religiös oder anders definiert. Das Essenzielle ist, dass all diese Communities imstande sind, friedlich nebeneinander zu leben. Die Idee einer homogenen Nation hingegen schließt viele Menschen automatisch aus.
ZUR PERSON
Martin C. Putna wurde am 30. Mai 1968 im südböhmischen Písek geboren. Er studierte Russisch und Latein an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag. 1987 wurde er praktizierender Katholik und zur führenden Persönlichkeit in der antikommunistischen Studentenbewegung. Er gilt als einer der wichtigsten katholischen Intellektuellen Tschechiens und kommentiert das gesellschaftliche Geschehen in den Medien. Für seine Bücher erhielt er mehrere Preise. Putna erforscht unter anderem die tschechische katholische Literatur und geistliche und kulturelle Tendenzen im Tschechien der neunziger Jahre. In den Jahren 2004/2005 vertrat er eine Professur an der Universität Regensburg. 2012 entschied der wissenschaftliche Rat der Karls-Universität in Prag, dass Putna alle Bedingungen für eine Professur erfüllt.
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