Wortfetzen und Farbspiele

Wortfetzen und Farbspiele

Das Museum Kampa widmet dem deutsch-tschechischen Künstler Karel Trinkewitz eine Werkschau

9. 3. 2016 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Fotos: Museum Kampa, privat und Galerie Maldoror Praha

Ein besessener Künstler sei er gewesen. Poet, Briefschreiber und Sammler, ein Karikaturist und Journalist, der von Buchstaben so fasziniert war, dass sie zu seinem Fetisch wurden. Wenn sie das Werk von Karel Trinkewitz in wenigen Sätzen beschreiben soll, kommt Klara Burianová ins Schleudern. „Das ist sehr schwierig. Man kann aber wohl sagen, dass am Anfang seiner Arbeit das Wort war“, so die Kuratorin der Trinkewitz-Werkschau, die zwei Jahre nach dem Tod des Künstlers im Museum Kampa zu sehen ist.

Gedruckt auf Zeitungspapier, geschrieben, gemalt, ausgeschnitten, zusammengesetzt und wieder auseinandergenommen, im Satz oder allein – in nahezu jedem Werk Trinkewitz’ spielen Worte und Wortfetzen eine tragende Rolle. Viele der Arbeiten entstanden im Geiste des Lettrismus, einer literarischen Bewegung, die ausgehend von Dadaismus und Surrealismus Wörter zerlegte und deren Vokale und Konsonanten zu sinnfreien Lautgebilden zusammensetzte. Im Museum Kampa liegen sie als Papierbälle auf dem Boden, hängen in Rollen von der Decke, füllen leere Flaschen, beschreiben Postkarten und fügen sich zu großen Collagen zusammen.

Immer wieder hinterfragte Trinkewitz auch das Medium Kunst, etwa in seinen „Decollagen“: Was eigentlich zu einer Collage zusammengesetzt wird, hat er wieder demontiert und seine Arbeitsspuren deutlich sichtbar gemacht. Andere Werke wie „Hommage an Andy Warhol“, „Hommage an Francisco de Goya“ und „Ikonen der Moderne“ verweisen auf seine Vorbilder.

Karel Trinkewitz lebte die Kunst.

Flucht in Bücher
So abwechslungsreich sich das Werk zeigt, so wechselhaft war auch das Leben des Künstlers. Karel Trinkewitz wurde 1931 in Mečeříž zwischen Prag und Mladá Boleslav geboren. Sein Vater stammte aus Ostpreußen, seine Mutter war Tschechin mit jüdischen Wurzeln. „Mein ganzes Leben verlief nach den Gesetzmäßigkeiten der Judenverfolgung“, sagte Trinkewitz später.

Während des Zweiten Weltkriegs durfte er nicht die Schule besuchen; seine Mutter unterrichtete ihn zuhause. Seine Liebe zur Kunst und zum Sur­realismus entdeckte er nach dem Krieg als Schüler der Keramikschule in Teplice, wo er erstmals Bilder von Salvador Dalí sah. 1954 wurde er nach drei Semestern Jurastudium an der Prager Karls-Universität wegen seiner jüdischen Herkunft exmatrikuliert. In einem Schauprozess war kurz vorher Rudolf Slánský wegen Hochverrats zu Tode verurteilt worden, der wie viele seiner Mitstreiter jüdischer Herkunft war. Sein Studium konnte Trinke­witz nicht abschließen.

Über Wasser hielt er sich als Bauarbeiter und Postangestellter. Privat flüchtete er sich in die Gestaltung eigener Bücher. Er schrieb und illustrierte Hunderte Gedichte, die er unter dem Pseudonym Erich Gracher verfasste. Im politischen Tauwetter der sechziger Jahre arbeitete Trinkewitz als Grafiker für den Verlag Orbis und das Magazin „Im Herzen Europas“. Im Jahr 1965 schloss er sich einer Gruppe von Experimentalkünstlern um Jiří Kolář an. Künstlerisch wandte er sich der Écriture automatique, dem automatischen Schreiben nach der Methode André Bretons zu. Es entstanden zahlreiche abstrakte let­tristische Bilder. Außerdem beschäftigte er sich mit Kalligrafie und schrieb Haikus, japanische Kurzgedichte.

„Visuelles Gedicht Rio“

Drang und Bedürfnis
„Als dann die Panzer rollten, war der Traum vorbei“, schrieb Trinkewitz Jahre später. Da er aktiv am Prager Frühling teilgenommen und das kommunistische Regime offen kritisiert hatte, erhielt er Berufsverbot als Journalist und wurde aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen. Sein Telefon wurde von der Geheimpolizei abgehört, seine Post geöffnet. Nachdem er das Logo für die Charta 77 entworfen und diese unterzeichnet hatte, wurde er gezwungen, das Land zu verlassen. 1979 ging Trinkewitz nach Deutschland, wo er sich in Hamburg dauerhaft niederließ. Gleichzeitig legte er die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft ab. Trinkewitz schrieb für Zeitungen, arbeitete als Illustrator und veröffentlichte ein Buch mit Haikus über Prag. Die restriktive Politik in seiner Heimat kritisierte er weiterhin, indem er satirische Postkarten an seine Freunde in der Tschechoslowakei schickte.

In Deutschland stand er in engem Kontakt zu dem künstlerischen Kreis um den Philosophen und Publizisten Max Bense. Für die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover schuf er die Collage „Emder Kuh“.

Nach der Samtenen Revolution begann Trinkewitz, wieder in seine Heimat zu reisen. Im Jahr 2004 zog er mit seiner Frau Helga in das westböhmische Dorf Rabí. Obwohl er in den letzten Jahren seines Lebens im Rollstuhl saß, hörte Trinkewitz nicht auf zu arbeiten. Die Kunst war für ihn nicht nur Überlebensstrategie, Drang und Bedürfnis. Trinkewitz selbst brachte es auf den Punkt: „Meine Absicht ist nicht, Kunst zu schaffen, sondern Kunst zu leben.“

Karel Trinkewitz (1931–2014). Museum Kampa (U Sovových mlýnů 2, Prag 1), geöffnet: täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 15. Mai, www.museumkampa.cz