„Wie ein Würstchen auf dem Grill“

„Wie ein Würstchen auf dem Grill“

Immer mehr Busreisende klagen über Kontrollen an der deutsch-tschechischen Grenze

7. 1. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Polizeipräsidium Rheinland-Pfalz

Gabriela Dočkalová sieht man ihren Schrecken noch immer an. Anfang November fuhr sie mit einem Bus der Deutschen Bahn von Prag nach Nürnberg, doch am frühen Nachmittag wurde ihre Reise jäh unterbrochen. Kurz nach der Grenze forderten deutsche Beamte den Busfahrer auf, die Autobahn zu verlassen und ein großes Gelände bei Wernberg-Köblitz anzusteuern. Dort warteten Zöllner auf den Bus, um Insassen und Gepäck genau unter die Lupe zu nehmen.

Die Umstände, unter denen diese Kontrolle durchgeführt wurde, weckten bei der Tschechin unliebsame Erinnerungen. „Wir wurden umstellt wie früher in der kommunistischen Zeit“, findet die 51-Jährige drastische Worte. Sie zählte „etwa 25 Beamte, Frauen und Männer, in Uniform und dazu einen Hund“, die sie empfingen. Der Bus wurde in eine Halle geleitet. „Sie war wie ein großer Hangar“, berichtet die Frau, „und dann wurden alle Tore geschlossen.“ Anschließend mussten alle Mitreisenden ihre Ausweise abgeben. „Wie einst Havel“, führt Gabriela Dočkalová (Name von der Redaktion geändert) ihren Vergleich weiter.

Besonders schlimm empfand sie die Atmosphäre bei dieser Begegnung. „Keiner sagte ein Wort“, erinnert sich die Tschechin, „es gab keinerlei Hinweise darauf, worum es sich genau handelte. Ob es eine Routinekontrolle war oder nach etwas Konkretem gesucht wurde.“

Dočkalová war bis dahin immer mit ihrem Auto nach Deutschland gefahren. Diesmal nahm sie den Bus, weil sie gelesen hatte, dass ein tschechischer Konsul in Deutschland dieses Verkehrsmittel besonders empfahl. Diesen Rat hatte sie in Prag zudem noch selbst weitergegeben.

Eisige Atmosphäre
Nachdem das gesamte Gepäck ausgeladen worden war, wurden alle 16 Passagiere – Deutsche wie Tschechen – aufgefordert, sich in einer Reihe aufzustellen. „Ich kam mir vor wie ein Würstchen auf einem Grill“, so Dočkalová. Dann schnüffelte der Hund an Menschen und Koffern vorbei.

„Dabei herrschte eisiges Schweigen, wir wussten nichts und blickten nur in ernste Gesichter“, erinnert sich Dočkalová. Sie machte Fotos von der Aktion, wurde aber aufgefordert, die Bilder sofort wieder zu löschen.
Eine Socke schien dem Hund verdächtig, dessen Träger – ein junger Mann – wurde in ein Büro gebeten.

Dočkalová musste ihre Tasche leeren. Für sie war die Busfahrt der Start in den Urlaub. „Der erste seit drei Jahren, und dann ein solcher Beginn“, schüttelt sie mit dem Kopf. Die Kontrolle der Beamten blieb ohne Erfolg, bei keinem Passagier wurde irgendetwas gefunden. „Daraufhin entspannte sich die Atmosphäre“, erzählt Dočkalová weiter, „plötzlich waren alle freundlich.“ Sie glaubte, sogar eine Entschuldigung vernommen zu haben. Nur Fotografieren war weiterhin verboten. Die Tschechin konnte sich eine Bemerkung dennoch nicht verkneifen: „Ich habe nur noch darauf gewartet, dass man sich ausziehen muss, wie vor 30 Jahren in der DDR.“ „Das kann es durchaus auch geben“, erwiderte eine Beamtin.

Nach einer Stunde durfte der Bus weiterfahren. „Wir hatten Glück“, sagte der Fahrer zu Dočkalovás Erstaunen, „wenn wir mehr Leute gewesen wären, hätte diese Prozedur auch zwei Stunden dauern können.“
Trotzdem verpassten Reisende in Deutschland ihre Anschlüsse. „Hätten sie wenigstens einen Grund dafür genannt, dann wäre alles vielleicht verständlicher gewesen“, bekräftigt Dočkalová ihren entscheidenden Vorwurf.
Was die Tschechin und andere Passagiere entsetzte, erklären deutsche Behörden zu ganz normaler und gängiger Praxis. „Eine Kontrolle ist eine ernste Situation“, sagt Georg Wilfling, „unsere Beamten wissen vorher nie, mit wem sie es zu tun bekommen.“ Es könne sein, dass ein Passagier eine Waffe besitze oder unter dem Einfluss von Drogen stehe und nicht normal reagiere. „Deshalb besteht Anspannung auf beiden Seiten“, so der Sprecher des Hauptzollamts Regensburg.

Trotz solcher „Kleinaufgriffe“ hält Wilfling den hohen Personalaufwand wie Anfang November für gerechtfertigt. „Solche Kontrollen werden angesetzt, wenn ausreichend viele Beamte zur Verfügung stehen“, führt er aus. Nie sei vorher klar, auf wie viele Passagiere sie dann treffen. Daher gehe es auch um eine „Eigensicherung“.

Dies schätzt die Polizei anders ein. Ihr genügen oft schon wenige Beamte für derartige Kontrollen. Denn nicht nur der Zoll stoppt Busse zwischen Prag und Nürnberg, sondern auch Bundes- und Landespolizei. Und deren Beamte winken Fahrzeuge immer öfter auf Parkplätze an der Autobahn. „Das bayerische Innenministerium wünscht, dass vermehrt Kontrollen im grenznahen Bereich durchgeführt werden“, bestätigt Albert Brück, Sprecher des Polizeipräsidiums Regensburg. Auch seine Behörde wolle dies.

Davon sei, wie beim Zoll, „kein Verkehrsmittel ausgenommen“. Allerdings bestreitet der Zoll solch eine Vorgabe aus dem für ihn zuständigen Finanzministerium. „Es gibt für uns keine Weisung, mehr Kontrollen anzusetzen oder speziell Busse zu kontrollieren“, bekräftigt Georg Wilfling, „wir kontrollieren alles und wir kontrollieren nicht mehr als früher.“ Die Nationalitäten der Fahrzeuge und ihrer Insassen spielten dabei keine Rolle.

Dass die Polizei in Bayern in der zweiten Jahreshälfte 2014 deutlich mehr prüfte als früher, lag neben der Crystal-Problematik auch an der wachsenden Zahl von Einbrüchen in Regensburg und der Oberpfalz. Diese Täter seien schwer zu identifizieren. Und die Aufklärungsquote liege im Regierungsbezirk unter 20 Prozent, führt die örtliche Polizei aus. „Die Erfolge geben uns recht“, behauptet Brück. In Autos und Zügen seien Beamte fündig geworden.
Aber: „In Bussen haben wir nichts gefunden“, räumt der Polizeisprecher unumwunden ein. Tatsächlich würde es nicht nur den Zoll wundern, wenn Einbrecher ausgerechnet einen Bahnbus nutzen, um sich und ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Trotzdem will die Polizei sie auch weiterhin nicht außer Acht lassen. „Selbst wenn dies zu Unannehmlichkeiten für Reisende führen kann“, so Brück, „weil ein Bus für eine Kontrolle eben stehen bleiben muss, während ein Zug auch dann einfach weiterfahren kann.“

Solch zeit- und personalintensiven Kontrollen wie der Zoll Anfang November führt die Polizei allerdings selten durch. „Dafür fehlt uns einfach eine entsprechend große Halle in Grenznähe“, erläutert Brück.

Unkoordinierte Kontrollen
All diese Aktionen sind für die Deutsche Bahn ein Ärgernis. „Wir halten diese häufigen Kontrollen nicht für wünschenswert und auch für unangemessen“, erklärt ein Bahnsprecher in München gegenüber der „Prager Zeitung“. Besonders stößt ihm auf, dass keine einzelne Behörde dafür zuständig ist, sondern wechselweise kontrolliert wird. Und dies, „obwohl keine Funde oder Aufgriffe vorgewiesen werden können“.  

Mangelnde Absprachen der Behörden führten bereits zu skurrilen Momenten. „Einer unserer Busse wurde auf einer Fahrt gleich zweimal nacheinander kontrolliert“, so der Bahnsprecher, „zunächst vom Zoll und dann von der Polizei.“ Daraufhin suchte die Deutsche Bahn das Gespräch mit den Dienststellen. „Wenn schon Kontrollen, dann bitte koordiniert“, forderte die Bahn. Weitere Ergebnisse dieser Unterredung wurden nicht bekannt.

Vor fünfeinhalb Jahren – im August 2009 – startete die Deutsche Bahn ihre Busverbindung zwischen Nürnberg und Prag, damals noch unter der Bezeichnung Expressbus. Damit brachte sie nach eigenen Angaben erstmals eine internationale Fernbuslinie auf den Markt. Seitdem nutzen von Jahr zu Jahr immer mehr Reisende die Busse nach Prag. Bis zu zehn Fahrten gibt es mittlerweile täglich, wodurch diese Verbindung eine der wichtigsten IC-Bus-Linien für die Bahn darstellt.

Die Nachfrage entwickelte sich so gut, dass Mitte November schon der einmillionste Fahrgast zustieg – wenige Tage nach der Kontrollaktion von Gabriela Dočkalová.

Viele Beispiele
Dočkalová ist nicht die einzige, der die Fahrt mit einem IC Bus in schlechter Erinnerung geblieben ist. Auch ein Ehepaar aus der Nähe von Würzburg, beide um die 60, wurde während einer Busfahrt gestoppt. Die Eheleute hatten Prag mehr als ein Vierteljahrhundert gemieden, weil ihnen beim letzten Besuch im Jahr 1988 alle vier Reifen ihres Autos aufgeschlitzt worden waren. Deshalb wählten sie im November 2013 den Bus – und gerieten sofort in eine Kontrolle auf einem Parkplatz. Zwar wurden dabei nach ihren Beobachtungen nur Ausweise geprüft. Dennoch dauerte der Stopp rund 20 Minuten.

„Und da ist sie wieder, die Polizeikontrolle“, schrieb eine junge Frau aus Nordbayern ihrem Freund wenige Wochen später per SMS. Sie reist regelmäßig mit dem Bus nach Prag und trifft dabei immer wieder auf deutsche Beamte.
„Dreimal bin ich bisher mit dem Bahnbus von Prag nach Nürnberg gefahren, und jedes Mal wurde kontrolliert“, erzählte eine andere Deutsche, Mitte 20, während einer Fahrt im Februar 2014. Sie kam aus Erlangen und arbeitete erst seit wenigen Monaten in der tschechischen Hauptstadt für ein großes deutsches Unternehmen.

Meist seien diese Kontrollen in zehn bis 20 Minuten vorüber, geben Reisende an, oft lassen sich die Beamten nur Ausweise oder einzelne Gepäckstücke zeigen. Allerdings waren auch Kontrollen von einer Stunde Länge, wie bei Gabriela Dočkalová, keine Einzelfälle. Und immer wieder gab es durch diese Zwischenstopps so lange Verspätungen, dass Mitfahrer ihren Zug oder Bus in Nürnberg nicht mehr rechtzeitig erwischten.

Ärgerliche Stopps
„Für unsere Kunden sind solche Kontrollen richtig ärgerlich, wenn sie deshalb auch noch Anschlüsse verpassen“, zeigt der Bahnsprecher kein Verständnis. Wobei die Lenkzeit der Busfahrer nie in Frage stehe und immer umsonst nach Drogen oder illegal Einreisenden gesucht wurde. Seit Dezember 2011 verkehren DB-Fernbusse auch fünfmal täglich zwischen München und Prag. Auf beiden Strecken will die Bahn mit ihren IC Bussen die Reisezeit eigentlich verkürzen.

„Die Fahrzeit zwischen Nürnberg und Prag beträgt gut dreieinhalb Stunden und ist damit rund eine Stunde kürzer als mit dem Zug“, schrieb die Deutsche Bahn jüngst in einer Pressemitteilung. Wenn keine Kontrollen dazwischen kommen, muss man hinzufügen.

Die meisten Kunden reisen mit einem Zug nach Nürnberg an und steigen dann in einen IC Bus nach Prag um. Ohne Verspätungen der Züge kein Problem, da die Prag-Busse gleich vor dem Bahnhof in Nürnberg warten. Kunden aus Prag wechseln dort oft – wie Gabriela Dočkalová – in einen Zug oder Fernbus, um innerhalb Deutschlands oder ins Ausland weiter zu reisen.

Trotz aller Kontrollen erweiterte die Bahn ihr Angebot. Seit Dezember 2013 können auch Fahrgäste aus Mannheim mit der Buslinie ab Nürnberg an die Moldau reisen, ohne umsteigen zu müssen. Und mit dem Fahrplanwechsel am 14. Dezember 2014 halten Busse nun zusätzlich in Heidelberg und Pilsen.

Doch werden derzeit etwa zehn Prozent ihrer Busse zwischen Prag und Nürnberg kontrolliert, wie die Deutsche Bahn schätzt. Und dagegen zeigt sie sich machtlos. „Über Kontrollen entscheiden die Sicherheitsbehörden“, so der Bahnsprecher lapidar, „und darauf haben wir keinerlei Einfluss.“