Wie Archäologie in seltsamen Zeiten

Wie Archäologie in seltsamen Zeiten

Der Prager Künstler Zbyněk Baladrán versucht mit seinen Werken, die Gegenwart zu lesen

5. 3. 2015 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Hynek Alt

„Der Künstler als Genie, das ist ein Mythos“, lacht Zbyněk Baladrán. „Es gibt nichts Romantisches am Künstlerdasein. Künstler sind ganz normale Leute, die ihre Arbeit machen wie alle anderen auch.“ Baladráns Augen leuchten. Man muss ihm einfach glauben. Bepackt mit seinem Rucksack und einer großen Plastiktüte voller Papierrollen sieht der 42-Jährige eher wie ein verschmitzter Schuljunge aus. Nicht jedoch wie die „bedeutendste Künstlerpersönlichkeit des Jahres 2014“, zu der er Anfang Januar ernannt wurde. Auch über den Preis muss Baladrán lächeln. „Das ist ziemlich komisch. Jahrelang hat man mich in Tschechien kaum zur Kenntnis genommen. Dann habe ich hier im letzten Jahr zufällig drei, vier kleinere Ausstellungen gemacht, war also öffentlich präsent, und schon werde ich als Künstler des Jahres ausgezeichnet. Der Preis ist nett, mehr aber auch nicht“, sagt Baladrán nüchtern.

Er sitzt im Café Lucerna, trinkt Espresso und dreht sich eine Zigarette. Wieder wirkt er ein bisschen wie ein kleiner Junge, fast so, als könne er jederzeit unter dem Tisch verschwinden. Gemalt und gezeichnet habe er schon immer gern. Vor allem die „verrückten Gedichte“ des Philosophen und Lyrikers Egon Bondy hätten ihn in Jugendjahren dazu angestiftet, in seinen Bildern mit der Welt zu spielen, erklärt Baladrán. „Nach der Samtenen Revolution, als plötzlich alle Türen offenstanden, entschied ich mich für die Kunst.“ Zunächst schrieb sich Baladrán in Prag für Kunstgeschichte ein, nach fünf Jahren wechselte er an die Akademie der Bildenden Künste, wo er Malerei, Neue Medien und Visuelle Kommunikation studierte.

Nach dem Abschluss kam die erste Ernüchterung. Auch deshalb lehnt Baladrán jegliche Verklärung des Künstlerlebens ab. Denn es sei gar nicht so einfach, sich als Kunstschaffender über Wasser zu halten. „Zuerst geht man an eine Schule, an der man lernt, wie man theoretische und sehr spezielle Kunst macht. Dann verlässt man die Schule und ist erst einmal arbeitslos. Und macht etwas ganz anderes, als man eigentlich wollte.“ Baladrán arbeitete zunächst für die Filmindustrie, gestaltete Kulissen und entwarf Dekorationsmaterial für ausländische Produktionen, die in Prag gedreht wurden.

Neue Schattenseiten
Mittlerweile kann er von seiner Kunst leben, die für ihn eine „Form des Denkens ist“, wie er sagt. Vor allem bewegte Bilder haben es ihm angetan, deshalb sind Film und Videokunst zu seinen bevorzugten Medien geworden. Die Arbeiten des gebürtigen Pragers sind sehr theoretisch und lassen sich mitunter schwer deuten. Auf die Frage, wie er seine Werke mit wenigen Worten beschreiben würde, antwortet Baladrán: „Vertrau dir nicht zu sehr und glaube nicht, was du siehst und was du hörst, sondern überdenke alles noch einmal.“

Eine eindeutige Botschaft will er nicht vermitteln, das wäre viel zu einfach. Baladrán, so sagt er selbst, macht mit seiner Kunst Vorschläge, wie man die Welt lesen kann. Eine große Rolle spielt dabei die Geschichte. Oftmals würde ihm vorgeworfen, in der Vergangenheit zu leben. Aber das stimme nicht. „Ich nutze die Geschichte, um die Gegenwart zu lesen. Was das Jetzt bedeutet, kann man doch nur wissen, wenn man sieht, was hinter einem liegt.“

Die heutige Zeit hält Baladrán für befremdlich. Zwar habe sich nach der politischen Wende in den Neunzigern vieles zum Guten verändert, dafür kämen neue Schattenseiten hinzu. „Natürlich haben wir viel mehr Freiheit und können etwas verändern, aber das hat auch seinen Preis. Wir leben in einem entfesselten Kapitalismus. Alles wird von Profit und Eigentum bestimmt. Anstatt sich am Menschen zu orientieren, richtet sich alles nach dem Geschäft.“

Ob er selbst die Welt verändern könne? „Ich glaube natürlich, dass ich mit meiner Kunst etwas bewirken kann, zumindest bei den Leuten, die sich mit ihr auseinandersetzen. Aber die Welt verändere ich wohl nicht.“ Das sei auch nicht sein oberstes Ziel. In erster Linie will der Künstler die Welt verstehen. Seine Arbeiten dienen ihm als Werkzeug dazu, das System zu ergründen, das die Menschen prägt. Wie ein Archäologe versucht er, kollektive Bilder und Narrative freizulegen, will die „unsichtbaren Strukturen aufspüren, die unsere Bedürfnisse bestimmen und sie zugleich immer wieder hinterfragen“.

Raum der Ideen
Das Kunstschaffen in Tschechien teilt Baladrán in drei Kategorien ein: „Es gibt schöne Kunst, die nett anzuschauen ist. Es gibt Kunst, die beständig provoziert, die inzwischen sehr populär, aber auch inhaltsleer geworden ist, wie die von David Černý. Und dann gibt es die Kunst innerhalb der Community, sie ist eher schwer zugänglich, lässt sich auf jeden Fall nicht einfach so konsumieren.“

In die einheimische Künstlerszene ist er gut integriert. Da habe er „Glück gehabt“. Aber auch im Ausland konnte Baladrán zahlreiche Ausstellungen umsetzen, vor allem in Westeuropa. „Vor etwa 15 Jahren war das Interesse an Künstlern aus Osteuropa noch groß. Der osteuropäische Markt war ja etwas Neues, Spannendes. Inzwischen hat sich das geändert. Nun wird vor allem nach Künstlern aus Afrika und Asien gefragt.“

Wenn Baladrán nicht seine eigenen Ausstellungen konzipiert, arbeitet er als Kurator für andere. An eine Ausstellung stellt er große Ansprüche: „Sie darf nicht nur präsentieren, sondern muss einen Raum eröffnen, den man mit all seinen Sinnen erfahren kann – einen Raum der Ideen und des Denkens, der der Dramaturgie des Körpers folgt, der den Besucher involviert, mit ihm spielt und ihn konfrontiert.“ Derzeit entwickelt er gemeinsam mit jungen Künstlern einen Kurzfilm über Teambuilding – darüber, wie Firmen die Methode nutzen, um ihre Mitarbeiter auf sich einzuschwören und „so etwas wie Loyalität gegenüber der Firma zu kreieren“. Darüber hinaus engagiert sich Baladrán für die Prager Galerie Tranzitdisplay, die er vor acht Jahren mitbegründet hat. In Prag lebe er gern. Die Stadt sei „ein netter Ort in seltsamen Zeiten“, der irgendwo zwischen der Armut des Ostens und dem Kapitalismus des Westens stehe. Ob er Hoffnung für die Zukunft, für eine bessere Welt für seine beiden Kinder habe? „Niemand weiß das. Alles kann sich ändern, auch in die falsche Richtung.“