Von Sperrholz und Schmirgelpapier

Von Sperrholz und Schmirgelpapier

Eine Publikation zu den Anfängen des Skateboarding in der ČSSR überzeugt mit faszinierenden Bildern und spannenden Zitaten

18. 9. 2013 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: Martina Overstreet, Michal Nanoru

 

Wann genau und wo alles anfing, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Auch nicht, wer als erster in der damaligen Tschechoslowakei auf diesen Rollbrettern, heute nur noch Skateboards genannt, durch die Straßen fuhr. Sicher ist nur, es muss Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein, als die ersten Jugendlichen mit ihren Skateboards in den öffentlichen Raum eindrangen.

„In Karlovy Vary oder Prag tauchten die ersten auf.“ – „Ich glaube, es war 1976. Im Sommer schickte Mama ihren Honza nach London, und als er zurückkehrte, brachte er ein Skateboard der Marke Skuda mit. So ein hässliches, blaues Kunststoffbrett. (…) Ja, wirklich abscheulich, als hätten die Kommunisten sie hergestellt.“ – „Erstmals sah ich ein Bild mit einem Skateboard in den ‚Notizen der Auslandskorrespondenten‘. Das war ein Bild von drei mal drei Zentimetern, und da stand bloß, dass man sich im Westen mit dem Fahren auf solchen Brettern vergnügt. Ein Satz nur. Aber der hat mich gefesselt.“

Das sind Aussagen einiger der Pioniere des tschechischen Skateboarding. Entnommen sind sie dem vor kurzem erschienenen Buch „Prkýnka na maso jsme uřízli. Český skateboarding před rokem 1990“ („Wir haben Fleischbretter zugeschnitten. Das tschechische Skateboarding vor dem Jahre 1990“) von Martina Overstreet und Michal Nanoru. Am 6. September wurde es im Prager Zentrum für internationale Kunst und Kultur MeetFactory „getauft“ und dem interessierten Publikum vorgestellt.

Das 480 Seiten starke, großformatige Buch ist in erster Linie ein Bilderbuch. Aus der Zeit zwischen Mitte der siebziger Jahre bis 1989 versammelt es 250 Fotos, überwiegend Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Darauf zu sehen sind vor allem die „Helden“ des tschechischen Skateboarding, wie sie vor den Kulissen des real-sozialistischen Alltags ihrer Leidenschaft frönen, die sich mit der Zeit zu einer Art tolerierter Subkultur entwickelt hatte. Beim Betrachten der Bilder müssten „jedem die Tränen kommen, der sich nach den damaligen Plastikbrettern jemals auch nur umgeschaut hat“, so Co-Autor Michal Nanoru in einem Interview im Tschechischen Staatsfernsehen.

Den Textteil des Buches bilden in elf Kapiteln angeordnete Auszüge ausführlicher Interviews mit 20 Skatern. Die Ausschnitte aus den Gesprächen sind so zusammengefügt, dass daraus quasi ein in die Länge gezogenes Patchwork entsteht – eine lebendige und farbige Erzählung zum Thema des jeweiligen Kapitels – fast wie ein Stimmengewirr. Da es sich um die Erinnerungen an die Anfänge des Skateboarding vor 30 und mehr Jahren handelt und zudem um Erfahrungen, die je nach Herkunft sowie späterem Werdegang der Protagonisten unter höchst unterschiedlichen Blickwinkeln gemacht oder reflektiert wurden, bleiben Widersprüche zwischen den einzelnen Aussagen nicht aus.

Hier greifen die Autoren jedoch nicht korrigierend oder kommentierend ein. In seinem Nachwort erläutert Nanoru, er habe bewusst darauf verzichtet, „mit eigenen Worten die Skater zu interpretieren, sondern wir lassen sie ihre eigene Sprache sprechen. Das ist bei weitem unterhaltender. Doch vermittelt es auch eine bessere Vorstellung von den Motiven und von den Positionen in der Gesellschaft und in der sich herausbildenden Subkultur.“ Als konkretes Beispiel führt Nanoru an, er könne über die passive Stellung der Frauen in einer maskulinen Subkultur schreiben, oder aber die Bemerkung zitieren, dass sie (die Frauen) „eher herumsaßen und glotzten“.

Freiraum auf Rädern
Die „Fleischbretter“ des Buchtitels lassen schon erahnen, dass es die Pioniere nicht leicht hatten. Sie haben „Rollschuhe auseinandergesägt und die Teile auf ein Sperrholzbrett geschraubt.“ Darauf klebten die Rollbrett-Tüftler dann einfach rutschfestes Schmirgelpapier. „Sehr stabil war das nicht, die Räder fielen heraus, die Bretter brachen entzwei, waren halt nicht für eine solche Belastung gemacht.“ Solche und viele andere Zeugnisse berichten von den schwierigen Anfängen.

Besser hatten es da diejenigen, die sich irgendwie im Westen Skateboards besorgen (lassen) konnten. Zum Beispiel die beiden Zwillingsbrüder Petr und Matěj Forman, die mit ihrem berühmten Vater Miloš Forman 1976 zum Empfang des Oscars für den Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ nach Los Angeles reisen durften. „Wir waren damals zwölf. Sie ließen uns für zehn Tage raus. (…) Ich weiß noch ganz genau, wie jemand beim Abendessen zu meinem Vater sagte: ‚Hej, hast du ihnen schon Skateboards gekauft?‘ Und er: ‚Nee, was ist das?‘ – ‚Das ist so ein Brett, das ist hier eine verrückte Mode, alle kaufen das, die Jungs fahren darauf auf den Straßen.‘ (…) Und er: ‚Dann los und kauft ihnen das.‘ (…) Augenblicklich hatten wir Feuer gefangen.“ So lässt sich Petr Forman in dem Bilderbuch zitieren.

Doch die Skater hatten es schwer, sich im sozialistischen System den notwendigen Freiraum zu schaffen. Forman dazu: „Die Genossen sahen das als Revolte. Für sie war das ein Symbol des Westens, ebenso wie Jeans, lange Haare oder Kaugummi.“ Die Skater selbst scheinen ihren Sport jedoch nicht als Protest gegen das Regime gesehen zu haben, jedenfalls nicht im Sinne einer bewussten Aktion. Für sie war es vor allem der Reiz des Neuen, des Nonkonformistischen. In diesem Sinne lesen sich weitere Aussagen zu diesem Thema. „Alle schauten auf uns, uns gefiel das und das reichte uns.“ – „Wir wollten etwas ausprobieren, was hier noch keiner versucht hatte. Das war der Hauptantrieb. Dieses Gefühl zu erleben.“ Entsprechend zwiespältig waren die Reaktionen der Staatsmacht: Einerseits ging es um sportlichen Wettstreit, andererseits um westliche Infiltration – Skateboarding an der Grenze zwischen dem gesellschaftlich Erwünschten und der Auflehnung. Auf dem Wenzelsplatz wurden die Skater gejagt, woanders baute man Rampen unter Aufsicht des Jugendverbands. Als dann 1986 Luděk Vaša in Vancouver einen WM-Titel errang, wurde dies als Erfolg des Systems verkauft und Luděk erhielt einen Orden.

Wenn man von den vielen tollen Erlebnissen und Gefühlen liest, stellt sich schließlich die Frage, ob sich dieses Bilderbuch nicht einreiht in die Reihe von Publikationen und Filmen, die in letzter Zeit versuchen, das Leben im Sozialismus in helleren Farben zu malen. Nanoru dazu gegenüber der „Prager Zeitung“: „Mich interessiert die Geschichte des Alltags, nicht die Geschichte der Sieger oder der politischen Systeme. Klar, beim Blick von unten entdeckt man auch die fröhlichen Seiten des Lebens. Der Regierung ging es vor allem um den Machterhalt um jeden Preis (…). Das Verhalten des damaligen Regimes zu den Subkulturen und zu den aus dem Westen übertragenen Trends war nicht so sehr bestimmt durch irgendein politisches Programm, gar einer staatlichen Politik gegenüber den Skatern. (…) Die Haltung der Behörden hing wesentlich von dem sehr begrenzten Horizont der einzelnen Beamten ab, nicht so sehr von einer ideologischen Doktrin. Diese Xenophobie,

Abgeschlossenheit und Intoleranz hat sich im neuen System nicht sehr geändert.“ Eine Übersetzung zumindest ins Englische wäre dieser originellen Publikation sehr zu wünschen!

Martina Overstreet, Michal Nanoru: Prkýnka na maso jsme uřízli. 480 Seiten, 590 CZK  (ca. 24 Euro), ISBN 978-80-904735-5-3