Vom Schicksal des Künstlers

Vom Schicksal des Künstlers

Am 28. März wäre der Schriftsteller Bohumil Hrabal 100 Jahre alt geworden

19. 3. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: ČTK/Štoll Pavel

 

Ein Altpapierpacker und Stahlarbeiter oder ein Intellektueller? Ein Kneipengänger und Geschichtenerzähler oder ein guter Zuhörer? Einer, der sich mit dem Regime arrangiert hat, oder einer, der sich seine künstlerische Freiheit bewahrt hat? Dem tschechischen Schriftsteller Bohumil Hrabal wurden schon viele Attribute verliehen. Sie treffen manchmal mehr zu und manchmal weniger, wobei die Grenzen zwischen dem Autor und seinen Figuren oftmals verschwimmen. Doch wer war der Schriftsteller, der am 28. März seinen 100. Geburtstag feiern würde? Und was zeichnet seine literarischen Werke aus?

Bohumil Hrabal zählt im In- und Ausland zu den bekanntesten tschechischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine Romane und Erzählungen wurden in etwa dreißig Sprachen übersetzt, ein Großteil seiner Werke ist auch auf Deutsch erschienen. In die tschechische Sprache hat er das Wort „pábení“ für „Bafeln“, „Geschwätz“ eingeführt – und wurde nicht zuletzt selbst als der größte Bafler des Landes bezeichnet. Dass Hrabal die Züge eines Baflers trägt – eines Menschen, der durch seine Geschichten voll Angeberei und Übertreibung und meist mit viel Bier versucht, der tristen Wirklichkeit zu entgehen – darin mag ein wenig Wahrheit liegen. Zumindest ging Hrabal gerne in die Kneipe, um „Rohmaterial“ für seine Geschichten zu sammeln. Vor allem aber kann der Schriftsteller auch selbst zur Verantwortung gezogen werden für das von Halbwahrheiten umsponnene Bild, das sich seine Leser von ihm machten. Denn Selbstinszenierung und Stilisierung finden sich sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner literarischen Werke als zentrale Prinzipien, wie unter anderem der Literaturwissenschaftler Alexander Götz zeigt.

Hrabal der Arbeiter
So schloss Hrabal zwar 1946 sein Jurastudium ab, das er während des Zweiten Weltkriegs hatte unterbrechen müssen, und hatte auch Vorlesungen über Literatur, Kunst und Philosophie besucht. Dennoch stellte er sich nicht als Intellektueller dar, sondern als „normaler“ Arbeiter, der er ab Ende der vierziger Jahre tatsächlich auch war. Bis 1958 arbeitete Hrabal in einem Stahlwerk in Kladno und als Altpapierpacker in Prag. Viele Intellektuelle waren in dieser Zeit gezwungen, ähnliche Arbeiten zu übernehmen, weil sie in ihren Berufen nicht arbeiten durften. Auch bei Hrabal kann man davon ausgehen, dass er sich nicht ganz freiwillig für diesen Weg entschieden hat. Andererseits vertrat er jedoch in Anlehnung an amerikanische Autoren die Theorie des „künstlichen Schicksals“.

Demnach muss ein Schriftsteller einer ihm fremden Tätigkeit nachgehen, um so durch intensive Erlebnisse authentischer schreiben zu können. Viele seiner Geschichten sind in dieser Zeit entstanden, veröffentlicht wurden sie jedoch vor allem in den sechziger Jahren, wie zum Beispiel die Sammlung „Perlička na dne“ („Perlchen auf dem Grund“) oder „Pábitelé“ („Die Bafler“), und „Taneční hodiny pro starší a pokročilé“ („Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“). Hrabal wurde zu einem beliebten Autor, einige seiner Erzählungen wurden von Jiří Menzel verfilmt, wie etwa „Ostře sledované vlaky“ (deutscher Titel: „Liebe nach Fahrplan“) und „Skřivánci na niti“ („Lerchen am Faden“).

Allerdings konnte Hrabal auch in den relativ liberalen sechziger Jahren nur veröffentlichen, indem er Kompromisse mit den Zensurbehörden einging. Darauf deuten zumindest einige Geschichten hin, von denen heute mehrere Varianten existieren: Eine, die in den sechziger Jahren veröffentlicht wurde und andere, die vorher geschrieben wurden oder später im Ausland erschienen sind. Dabei waren es nicht nur politische Anspielungen, die Hrabal streichen musste oder von sich aus gestrichen hatte, um seine Chancen auf eine Publikation zu steigern: Die Protagonistin Jarmilka beispielsweise ist in der ursprünglichen Version der gleichnamigen Erzählung eine derbe Stahl­arbeiterin, die sich vulgärer Ausdrücke bedient. In der durch die Zensur geglätteten Variante dagegen erinnert sie eher an eine harmlose Supermarkt-Kassiererin, wie Kees Mercks in einer Fallstudie feststellt.

Hrabals „Selbstkritik“
Nach dem Ende des Prager Frühlings hatte Hrabal auch mit „milderen“ Texten zunächst keine Chance mehr, seine Werke in der Tschechoslowakei zu veröffentlichen. Das Publikationsverbot, das Hrabal teilweise umgehen konnte, indem er einige Werke im Ausland veröffentlichte, galt bis 1975, als sich Hrabal in der Zeitschrift Tvorba „selbstkritisch“ äußerte. Die Hrabal-Kenner glauben in diesem Artikel herauslesen zu können, was tatsächlich aus der Feder des Autoren stammte, und was ihm die Behörden in den Mund legten. Fakt ist jedoch, dass Hrabal zu Kompromissen bereit war, um wieder veröffentlichen zu können. Viele seiner Anhänger reagierten darauf enttäuscht, einige verbrannten öffentlich seine Bücher.

Auch nach 1989 machte es ihm sein Kompromiss mit dem Regime nicht einfach bei seinen Landsleuten: Zwar konnten jetzt auch etliche Werke Hrabals erscheinen, die vorher nur im Westen veröffentlicht worden waren. Aber die Bücher des im Kommunismus „erlaubten“ Autors sprachen viele nach der Samtenen Revolution nicht mehr an. Sie wollten vor allem das lesen, was vorher verboten war. Von Hrabal kannten die meisten Tschechen vor allem die durch Zensur und Selbstzensur „entschärften“ Versionen seiner Werke, die in den sechziger Jahren veröffentlicht worden waren und nun fast schon als „verstaubte“ Klassiker galten. Zudem waren vielen hauptsächlich Menzels Filmadaptionen ein Begriff, die in den sechziger Jahren sehr gut beim Publikum ankamen – aber nicht unbedingt den „wahren“ Hrabal widerspiegelten. So entstand die Bezeichnung „Hrabal-Kitsch“, die eigentlich mehr auf Menzels Verfilmungen zutrifft als auf Hrabals Erzählungen und Romane. Sie beschreibt eine melancholische Atmosphäre, in der sich sanfte Ironie und freundlicher Humor mischen – und die zu einem Großteil von Hrabals Erzählungen in keinster Weise passt.

Im westlichen Ausland kam dieser „Kitsch“ jedoch gut an. Hrabal wurde als „Autor aus dem unbekannten Osten“ vorgestellt, als „typischer tschechischer Biertrinker und Geschichtenerzähler“ und womöglich hat ihn das nicht allzu sehr gestört, weil es seiner Selbst-Inszenierung zum Teil entgegenkam. Diese reichte womöglich sogar bis zu seinem Tod. Beim Taubenfüttern soll Bohumil Hrabal am 3. Februar 1997 aus einem Fenster im fünften Stock eines Prager Krankenhauses gefallen sein. Manche Hrabal-Kenner glauben jedoch, dass es sich um einen Freitod handelte, weil sie der Vorfall an Szenen aus Hrabals Werk erinnerte, und eine für Hrabal typische Inszenierung eines Selbstmordes darstellen würde.

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