Vom Corpsburschen zum NS-Vorzeigeautor
Vor knapp 100 Jahren veröffentlichte der deutschnationale Schriftsteller Karl Hans Strobl seine „Prager Studentenromane“. Später erteilte ihm die Tschechoslowakei ein Aufenthaltsverbot
15. 6. 2016 - Text: Helge HommersText: Helge Hommers; Fotos: APZ
Als im Jahr 1913 mit „Das Wirtshaus Zum König Przemysl“ der dritte Teil von Karl Hans Strobls „Prager Studentenromanen“ erschien, zeigte sich der damals noch weitgehend unbekannte Egon Erwin Kisch begeistert. Er habe das Buch „atemlos“ gelesen, schrieb er später. Strobl sei es gelungen, den ersten Prager Roman zu verfassen, der sich nicht „im Rausche an den Mythen vergangener Zeit“ verliere. Strobl revanchierte sich und lobte Kischs Texte ebenso überschwänglich – sowohl in privaten Korrespondenzen als auch in Zeitungsrezensionen. In ihren Weltansichten waren die beiden sich allerdings uneins: Während sich Kisch als Weltbürger und überzeugten Kommunisten bezeichnete, war Strobl bekennender Anhänger der „Deutschnationalen Bewegung“.
Im Jahr 1877 in Iglau (Jihlava) geboren, trat der Kaufmannssohn Strobl bereits auf dem Gymnasium der deutschnationalen Schülerverbindung „Teutonia“ bei. Nach der Matura zog er nach Prag und begann als 17-Jähriger mit dem Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie an der Karl-Ferdinands-Universität.
Dort wurde Strobl Mitglied der Studentenverbindung „Corps Austria“ und ließ sich auf Konfrontationen mit tschechischen Studenten ein, die oft in Schlägereien endeten. Höhepunkt der Auseinandersetzungen waren die Krawalle im Zuge der Badenischen Sprachverordnung von 1897, nach der nur noch zweisprachige Beamte eingestellt werden sollten. Der Corpsbursche Strobl beteiligte sich an den Unruhen und hielt die Erlebnisse in seinen Tagebüchern fest. Ebenso die Trinkfestigkeit seiner Verbindung, über die er schrieb: „Wir Prager Studenten, wir sind ein hartes Geschlecht. Wie haben wir schneidig gefochten, nachdem wir die Nacht durchgezecht!“
Nach seiner Promotion trat Strobl eine Stelle als Staatsbeamter in Brünn an. Außerdem arbeitete er als Literatur- und Theaterkritiker und schrieb den Roman „Die Vaclavbude“, in dem er den deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt aus Sicht einer studentischen Verbindung thematisierte. Viele Figuren beruhten auf Persönlichkeiten aus seinem Bekanntenkreis, wie etwa der Geldverleiher Sigmund Pick oder der Wirt Wenzel Zimmermann. Sich selbst porträtierte Strobl im Protagonisten Binder, der als Vorsitzender der Verbindung fungiert. Neben Saufgelagen und Fechtduellen muss dieser mit seinen Kommilitonen im Kampf gegen aufgebrachte Tschechen bestehen, die den Studenten an den Kragen wollen.
Eine Gefahr für den Staat
Für sein Debüt, das 1903 erschien und den ersten Teil seiner „Prager Studentenromane“ darstellte, erhielt Strobl wohlwollende Kritiken. So auch von Max Brod, der ein „recht geschicktes Bild vom Alltag und festlichen Leben der Studentenschaft“ erkannte. Das deutschsprachige Publikum war derart begeistert, dass zahlreiche Neuauflagen gedruckt werden mussten, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Die tschechische Presse hingegen beanstandete die politischen Ansichten des Autors und verriss das Werk.
Fünf Jahre später erschien mit „Der Schipkapaß“ der zweite Teil, der ein ähnlich großer Erfolg wurde. In dem Roman über den Jurastudenten Hans Schütz, der von seiner großen Liebe zurückgewiesen wird, thematisierte Strobl erneut den Nationalitätenkonflikt. Nachdem der Protagonist seine Trauer über Wochen in der Gaststätte ertränkt und sein Studium vernachlässigt hat, lernt er Helene kennen. Diese lehnt das Heiratsangebot eines vermögenden tschechischen Malers ab und erliegt den Avancen des mittellosen deutschen Studenten, der daraufhin wieder fleißig paukt.
Während er als Schriftsteller große Erfolge feierte, geriet Strobl wegen seiner deutschnationalen Gesinnung in Konflikt mit seinen tschechischen Vorgesetzten. Er wurde entlassen und zog nach Leipzig. Dort veröffentlichte er „Das Wirtshaus Zum König Przemysl“, den Abschluss seiner Trilogie. Im letzten Teil steht der deutsche Burschenschaftler Fritz im Fokus. Dieser wohnt gegenüber dem Wirtshaus, in dem sich regelmäßig antideutsche Tschechen treffen. Nach einem Anschlag auf Fritz’ Burschenschaft versteckt ihn Ludmilla, die Tochter des Wirts, vor seinen Feinden. Die beiden kommen sich näher. Doch als tschechische Verschwörer von der sich anbahnenden Liebe erfahren, erschlagen sie Ludmilla und verwunden Fritz schwer.
Während des Ersten Weltkriegs diente Strobl als Kriegsberichterstatter auf Seiten der k. u. k. Monarchie. Zudem veröffentlichte er von 1915 bis 1919 die „Bismarck-Trilogie“. Darin machte er aus dem deutschen Staatsmann einen Freund Österreichs und forderte bereits vor der Einflussnahme jeglicher NS-Ideologie den Anschluss Österreichs an Deutschland. In den folgenden Jahren sorgte die Trilogie wiederholt für hitzige Debatten im politischen Alltag seiner neuen Heimat, die er in Perchtoldsdorf nahe Wien gefunden hatte. Nachdem er 1933 seinen Roman „Kamerad Viktoria“ veröffentlichte, belegte ihn die Tschechoslowakische Republik mit einem Aufenthaltsverbot wegen „staatsgefährdender Betätigung“. Im selben Jahr trat er der NSDAP bei.
Ein Denkmal für Kisch
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde Strobl zum Landesleiter der Reichsschrifttumskammer ernannt. Außerdem erhielt er mit der Goethe-Medaille die damals höchste Auszeichnung für Schriftsteller im NS-Apparat. Während des Krieges verfasste Strobl seine Memoiren, die wenige Monate vor der deutschen Kapitulation erschienen. Das Kriegsende erlebte er in seiner Geburtsstadt Iglau. Nach kurzer Haft wurde er aufgrund seines hohen Alters frühzeitig entlassen und starb 1946 verarmt nach mehreren Schlaganfällen in einem Altersheim in Perchtoldsdorf.
Strobls Werke waren zu diesem Zeitpunkt von den sowjetischen Besatzern bereits verboten worden. Und auch in den Folgejahren waren nicht alle seine Bücher erhältlich, da einige auf der „Liste der auszusondernden Literatur“ standen. Heute ist sein Werk nahezu vergessen.
Wenig überraschend zerbrach Kischs und Strobls gutes Verhältnis über die Jahre. Zu unterschiedlich waren ihre politischen Ansichten. Trotzdem setzte Strobl seinem Schriftstellerkollegen mit der Figur des Erwin Zucker in seinem Roman „Feuer im Nachbarhaus“ ein literarisches Denkmal – auch wenn dieser alles andere als sympathische Charakterzüge trägt und abwertend als „Oberbolschewik“ bezeichnet wird.
Vera Schneider: Wachposten und Grenzgänger. Deutschsprachige Autoren in Prag und die öffentliche Herstellung nationaler Identität. Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, 308 Seiten, 38 Euro, ISBN 978-3-8260-3775-7
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