Tüfteln wie im Mittelalter

Tüfteln wie im Mittelalter

Im historischen Handwerksdorf Ostrá lernen Besucher, wie man vor Jahrhunderten seine Brötchen verdiente

8. 8. 2013 - Text: Yvette PolášekText: Yvette Polášek; Foto: Marcus33

 

Wer möchte nicht einmal zurück in ferne Zeitalter reisen? Die Möglichkeit dazu liegt ganz nah. Nur 40 Kilometer östlich von Prag befindet sich die Gemeinde Ostrá, deren historisches Freilichtmuseum ein Tor zum Leben unserer Vorfahren öffnet.

Die Geschichte des Ortes ist untrennbar mit der Nachbarstadt Lysá nad Labem (Lissa an der Elbe) verbunden, die im Laufe der Jahrhunderte von mehreren Adelsgeschlechtern gehalten wurde. Aus den schriftlichen Quellen ist wenig überliefert, gerade so viel, als dass es sich bei Ostrá um ein beliebtes Jagdrevier des tschechischen Adels  handelte. Heute kennt die Gemeinde beinahe jeder Böhme – zumindest dem Namen nach. Nur wenige haben sie jedoch auch besucht. Dabei ermöglicht das Städtchen, mit ein paar Schritten ins Mittelalter zurückzukehren und längst vergessenes Handwerk hautnah zu erleben.

Wo sich einst eine Mülldeponie befand, wurde 1999 das historische Dorf Botanicus geschaffen – ein Freilichtmuseum, das sowohl leidenschaftliche Gärtner und tiefsinnige Historiker als auch weltoffene Touristen und aktive Eltern mit unbändigem Nachwuchs begeistert.

Nachdem der Besucher eine kleine Gasse im Dorfzentrum passiert hat, gelangt er an ein massives Holztor. Der erste Schritt führt nicht nur auf gepflasterte Wege, sondern zugleich Jahrhunderte zurück, mitten ins Mittelalter. In den 50 Gebäuden des mittelalterlichen Städtchens erwartet die Zeitreisenden vor allem ursprüngliches Gewerbe. Drahtbindern, Seilern, Schmieden, Steinschleifern und Wachsziehern kann man hier bei ihrem Handwerk über die Schulter schauen. Mutige dürfen sich auch selbst in der Seifen- und Kerzenerzeugung oder in der Keramikkunst versuchen – und so prüfen, ob sie anno dazumal ihre Brötchen zu verdienen gewusst hätten.

Wer zwei linke Hände hat, kann sein Glück noch immer beim Goldwaschen versuchen oder einfach in der historischen Kneipe einkehren. Um dort bedient zu werden, sollte man sich zuvor mit der im Dorf geltenden Währung versorgen: Für zehn Kronen erhält man in der Wechselstube einen „Groš“. Zwei Groschen kann man dann zum Beispiel gegen einen Becher Bier eintauschen; eine Hauptmahlzeit kostet sechs Groschen. Auf dem mittelalterlichen Speiseplan stehen unter anderem gegrillte Hühnerkeule, Kartoffelpuffer, Zwiebelkuchen und Griebenfladen.

Zeitreise mit Öfen
Sind Wissensdurst und Magen befriedigt, kann man sich im angrenzenden Gartenareal vom historischen Getümmel erholen. Die 30 Hektar große Fläche beherbergt verschiedene Themen-Gärten, die nach Prinzipien des ökologischen Anbaus bepflanzt werden. Nicht nur Botaniker und Gärtner dürften hier auf ihre Kosten kommen. Im Sonnenblumenfeld wird beispielsweise die Frage gelöst, was die Azteken mit Mönchen gemeinsam haben, Gourmets finden im Gemüsegarten 140 verschiedene Tomatenarten. Eine Sonderausstellung auf dem Gelände ist dem Arboretum gewidmet, das Václav Havel und seine Frau gründeten. Die Sammlung zeigt all jene Bäume, die das Präsidentenehepaar während Havels Amtszeit von anderen Staatsmännern und Würdenträgern als Geschenk erhielt, darunter auch zahlreiche exotische Exemplare.

Ostrá ist nicht nur bekannt für sein mittelalterliches Dorf oder die Naturkosmetik, die aus den „Rohstoffen“ der Gartenanlage gewonnen wird, sondern auch als Heimat alter Heizkörper. Das kleine Privatmuseum alter Öfen wurde vor 15 Jahren von Libuše Tržická gegründet. Es zeigt rund 100 Exemplare verschiedenster Öfen, von denen die meisten aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen. Auf die Frage, wie Frau Tržická zu dieser besonderen Sammelleidenschaft gekommen ist, antwortet sie bescheiden: „Kochen und Essen mussten die Menschen immer und so stand auch bei uns zuhause ein alter Ofen herum. Auf diese Weise bin ich zu meinem ersten Exemplar gekommen und mit der Zeit wurden es immer mehr.“

Das kleine Museum ist auch ein Geheimtipp für Hobbybäcker und Hausfrauen. Beleuchtet es doch die Geschichte der Lebkuchen-Kunst und Zuckerbäckerei. Vor allem die umfangreiche Sammlung alter ausgefallener Lebkuchenformen ist sehenswert. Und wer auf den Geschmack gekommen ist, kann Lebkuchen- und Marzipan-Formen für zuhause erwerben, um selbst einige kunstvolle Köstlichkeiten zu schaffen.

Botanicus, geöffnet: täglich außer montags 10 bis 16 Uhr, Eintritt: 99 CZK (ermäßigt 60 CZK), www.botanicus.cz

Feste auf dem Botanicus-Gelände

17. August: Tag des Zirkus, der Clowns & Jongleure
14. September: Bier- und Weinfest
28. September: Weinlesefest

Museum alter Öfen (Muzeum starých kamen), geöffnet: April bis September Sa./So. 9–16 Uhr (Mo.–Fr. nur nach Voranmeldung), Tel. 734 274 171