Tschechische Gesellen nach deutschem Recht

Tschechische Gesellen nach deutschem Recht

Betreiber einer Großbäckerei in der Oberpfalz bemängelt zu strenge Prüfungsordnung

2. 4. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Backhaus Kutzer

Jahr für Jahr das gleiche Drama. Patrick Kutzer sucht neue Lehrlinge für sein Backhaus – und findet fast keinen. Nun hat der Unternehmer einen Vorschlag, um das Dilemma zu beseitigen: Auch tschechische Nachwuchsbäcker sollen künftig in Deutschland eine Gesellenprüfung ablegen dürfen.

Ein beinahe revolutionärer Einfall. Denn er widerspricht der deutschen Handwerksordnung. Doch für Patrick Kutzer zählt Zukunftssicherung jetzt mehr als Tradition. Zumal er festgestellt hat, dass in den beiden Nachbarländern Probleme genau diametral existieren: „In Tschechien finden Jugendliche nach der Schule oft keinen Job, umgekehrt suchen deutsche Betriebe immer öfter verzweifelt nach Jugendlichen für die Ausbildung.“

Aus diesem Gegensatz entwickelte Kutzer in den vergangenen Wochen bereits ein deutsch-tschechisches Pilotprojekt. Vier junge Frauen aus dem Nachbarland absolvierten vier Wochen lang ein Praktikum in seinem Betrieb. Schon dies war jedoch mit etlichen Schwierigkeiten verbunden.

Als Kutzer vor zwei Jahren acht neue Auszubildende einstellen wollte, erhielt er nur eine einzige Bewerbung, und die überzeugte ihn nicht. Da erinnerte er sich an die hohe Politik. Auf höchster Ebene war damals gerade ein Ausbildungspakt für Europa verkündet worden, also die Möglichkeit zu grenzüberschreitender Ausbildung. Patrick Kutzer nahm die Politiker einfach mal beim Wort.

Dieses Sonderprogramm des Bundes heißt „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen aus Europa“, kurz MobiPro-EU. Seit Januar 2013 unterstützt es junge EU-Bürger bei der Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung in Deutschland, wie die Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verkündet.

Hindernis Bürokratie
Dort ist auch eine Mitteilung vom 30. Juli 2014 nachzulesen, wonach seit Beginn dieses Programms rund 9.100 Personen Förderanträge gestellt haben. Nicht ohne Stolz teilte das Ministerium weiterhin mit, dass die Mittel dank dieses sehr großen Interesses und in Abstimmung mit dem Bundestag erhöht wurden. Für die Jahre 2013 bis 2018 stehen statt der ursprünglich veranschlagten 139 Millionen nun sogar 560 Millionen Euro zur Verfügung.

„Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass es sich lohnt, diesen Beitrag zur europäischen Solidarität und zur Verwirklichung des europäischen Arbeitsmarktes weiterzuführen“, wird auf der Homepage großspurig ausgeführt. Im Ausbildungsjahr 2015 sollen dementsprechend rund 2.000 Jugendliche aus den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, eine duale Ausbildung zu beginnen.

Was damit jedoch an Komplikationen verbunden ist, hätte Patrick Kutzer vorab nicht für möglich gehalten. „Als ich bei meiner Arbeitsagentur nach Auszubildenden aus Spanien oder Italien nachfragte, wurde ich mit Bürokratie überhäuft“, berichtet der Unternehmer gegenüber der „Prager Zeitung“. Er interpretierte die Angaben der Behörde so, dass er „selbst ins Ausland fahren, den Interessenten Deutsch beibringen, für sie bei uns eine Art von Internat einrichten, sie verpflegen und für alle Freizeitaktivitäten sorgen“ solle. Dies schien ihm keine geringe Anstrengung, nur um an Auszubildende zu kommen.

Stattdessen kam Kutzer in den Sinn, dass sein Betrieb lediglich ein paar Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt liegt. Und dass die Jugendarbeitslosigkeit im Nachbarland relativ hoch ist, an der Grenze zu Bayern beträgt sie rund 20 Prozent.

Deshalb wählte er den Weg über die örtliche Handwerkskammer in Regensburg, die Kontakt zu einer Berufsfachschule in Pilsen aufnahm. Die tschechische Institution zeigte sich angetan von der Idee, Schüler zu einem Praktikum in Kutzers Betrieb zu schicken. „Denn die Schule hat nur eine Schulbäckerei, sonst fehlt im Gegensatz zu uns jede praktische Ausbildung“, so Patrick Kutzer. Trotzdem vergingen Monate, bis vier Schülerinnen endlich in seinem Backhaus eintrafen.
Vier Wochen lang setzte er sie nun in Absprache mit der Schule in allen Bereichen seiner Produktion ein. Anfangs backten die Frauen Hörnchen und Plunder, anschließend Brötchen und Brot. Am Ende arbeiteten sie in der Konditorei. Ein sinnvoller Anschauungsunterricht, weil man in Tschechien mehr zwischen Bäcker und Konditor trenne. „Alles was süß ist, gehört in den Bereich des Konditors, alles was salzig ist, in den des Bäckers“, so Kutzer, „deshalb darf in Tschechien ein Bäcker keine Torten anstreichen.“ In Deutschland gebe es mehr Überlappungen. Wichtig aber für Kutzer: „Die Ausbildung für Brot oder Brötchen ist identisch.“

Freie Lehrstellen
Sein Unternehmen machte die Tschechinnen mit Maschinen und Formen vertraut. Diese Erfahrung wollte sogar eine Lehrerin der Pilsener Einrichtung teilen. Deshalb begleitete sie ihre Schülerinnen während der ersten beiden Wochen. Zumal sie nicht nur Pädagogin war, sondern selbst eine ausgebildete Konditorin. Kutzer kennt die wesentlichen Probleme für den Nachwuchs in Tschechien. Dort gebe es große Industriebetriebe für Backwaren. Sie beschäftigen wegen des enormen Preisdrucks oft Hilfskräfte aus Bulgarien oder Rumänien.

„Junge Tschechen verlassen dagegen mit 18 Jahren und ohne Erfahrung die Schule, müssten aber nach den Vorschriften schnell einen Facharbeiterlohn bekommen“, so der deutsche Unternehmer, „daher bleiben viele von ihnen trotz guter Ausbildung ohne Job.“

Dies bestätigten seine Praktikantinnen. Die Schule in Pilsen schickte ihm ihre vier besten Schülerinnen. „Trotzdem hat nur eine von ihnen schon einen Job in Tschechien nach Ende der Schulzeit im Juni sicher“, so Kutzer.

Die drei anderen Frauen würden gerne eine Lehre in Deutschland beginnen, obwohl sie bereits in Tschechien die Schule absolviert hätten. Zwei wollen im Sommer sogar als Ferienarbeiterinnen zurückkehren, um Kutzers Betrieb noch besser kennenzulernen. Das Unternehmen hat seinen Stammsitz in Konnersreuth (Landkreis Tirschenreuth) in der nördlichen Oberpfalz, nicht weit entfernt vom Grenzübergang nach Cheb. Es existiert schon seit 1779 und ist seitdem in Familienbesitz. Erst knapp 200 Jahre später wurde eine Filiale eröffnet. Mittlerweile unterhält das Backhaus zahlreiche Verkaufsstätten in Nordostbayern.
Jeder Zehnte seiner 400 Mitarbeiter kommt aus Tschechien. Zwei von ihnen arbeiten schon länger als 15 Jahre für ihn. Sie sind Ingenieure, was in Deutschland etwa einem Meister entspricht. Neben gelernten Bäckern sind dies auch Reinigungskräfte und geringer qualifizierte Mitarbeiter.

Kutzer bildet auch 40 Nachwuchskräfte aus. Doch wie bei ihm sind in der Oberpfalz derzeit generell viele Lehrstellen unbesetzt. Gerade im Bäckerhandwerk ist es um den Nachwuchs so schlecht bestellt, dass die Fachschule in Weiden laut Kutzer ihre Bäckerklasse schließen muss, wenn sich nicht bald neue Kräfte für den Beruf finden lassen.

Die Begegnung mit den Praktikantinnen ergab nun eine „Win-win-Situation“: Kutzer lernte mögliche neue Arbeitskräfte kennen und die Tschechinnen versuchten sich in der Praxis eines Handwerks, das sie bisher nur von der Schulbank kannten. Das Problem dabei: Sie können derzeit in Deutschland nicht arbeiten, weil ein tschechischer Berufsabschluss dort nicht anerkannt wird.

Problem Sprachbarriere
Es sei ja im Prinzip durchaus zu begrüßen, dass die deutsche Handwerksordnung damit das eigene Handwerk schütze, sagt Kutzer. Gleichwohl führe kein Weg daran vorbei, dass in Deutschland keine Lehrlinge mehr zu finden seien und ein Mangel an Fachkräften herrsche. „Das zwingt zum Umdenken“, betont der Unternehmer.

Daher plädiert Kutzer für eine Gesellenprüfung von tschechischen Nachwuchsbäckern in Deutschland. Sein Ansatz dafür: In beiden Ländern sei vieles in der Bäckerausbildung gleich. Deshalb sollten deutsche Handwerkskammern nur jene Bereiche prüfen, in denen es Unterschiede gebe.

Dadurch würde der Stoff für die Auszubildenden erheblich reduziert. „Die Theorie ist in Tschechien nicht anders als bei uns, eine Ausbildung dort also ausreichend“, konkretisiert Patrick Kutzer, „die fachlichen Unterschiede sind gering, dafür braucht man keine eigene Prüfung.“

Kutzer hat zudem einen Kompromissvorschlag, um den Mangel an Arbeitskräften in Deutschland möglichst zeitnah zu beseitigen: „Man sollte junge Tschechen bei uns zunächst als Helfer für Bäcker und Konditoren einsetzen, nach einem Jahr wären sie auf dem Niveau eines deutschen Bäckergesellen und könnten dann auch wie er bezahlt werden.“
Als Problem könnte sich jedoch erweisen, dass viele junge Tschechen kein Deutsch sprechen. Schon seine vier Praktikantinnen verständigten sich in den letzten Wochen lediglich mit ein paar Worten Englisch und Deutsch. Und mangelnde Sprachkenntnisse würden auch eine Gesellenprüfung erschweren.

Als Chef eines Handwerk­betriebes mit 400 Beschäftigten hat Kutzers Wort durchaus Gewicht. Gleichwohl bleibt er skeptisch, ob und wann sein Vorschlag in die Tat umgesetzt wird. „Da wage ich keine Prognose“, sagt Patrick Kutzer.