Temelín-Fahrplan steht auf der Kippe

Die Regierungskrise könnte den Plan für das Atomkraftwerk in Frage stellen

26. 6. 2013 - Text: Ivan DramlitschText: id/čtk; Foto: korom

Petr Hájek war einst Chefberater von Václav Klaus. Er ist ein umstrittener Mann mit kontroversen Ansichten, die er gerne öffentlich äußert. Spezialgebiet: Verschwörungstheorien. Es war also zu erwarten, dass er auch zur aktuellen Regierungskrise seine Deutung kundgibt. Nach Hájek handelt es sich um einen vom amerikanischen Geheimdienst initiierten Coup mit dem Ziel, die Nečas-Regierung zu stürzen, um eine Vergabe des milliardenschweren Temelín-Auftrags an die Russen zu verhindern.

Dass derlei Erwägungen mit keinerlei stichhaltigen Fakten, sondern nur mit vagen Indizien belegt werden, liegt in der Natur von Verschwörungstheorien. Aber die aktuelle Krise könnte Auswirkungen auf den Temelín-Ausbau haben, wie in dieser Woche von offizieller Seite bestätigt wurde. Bildete sich eine Expertenregierung, könne auch zur Diskussion stehen, ob die für den Herbst dieses Jahres geplante Entscheidung über die Auftragsvergabe nicht vertagt werden sollte, so Ladislav Kříž, der Sprecher des Temelín-Betreiberkonzerns ČEZ.

Der geplante Bau zweier weiterer Reaktorblöcke im südböhmischen Atomkraftwerk ist der größte Bauauftrag in der Geschichte Tschechiens. Das Investitionsvolumen wird auf bis zu 300 Milliarden Kronen (etwa 12 Milliarden Euro) geschätzt. Noch zwei Bewerber sind im Rennen um das Milliarden-Geschäft: das amerikanisch-japanische Unternehmen Westinghouse sowie das tschechisch-russische Konsortium MIR.1200. Mit beiden verhandelt ČEZ, dessen Mehrheitseigner der tschechische Staat ist, derzeit über mögliche Optimierungen des Angebots. Die Regierung sagte wiederholt, dass neben dem Preis vor allem die Beteiligung tschechischer Unternehmen an dem Projekt ein entscheidendes Kriterium bei der Auftragsvergabe ist.

Beide Unternehmen schließen bereits jetzt Verträge mit tschechischen Unternehmen für den Fall ab, dass sie den Auftrag erhalten. So gab beispielsweise der Olmützer Pumptechnik-Hersteller Sigma Group dieser Tage bekannt, dass er im Falle eines „russischen Sieges“ mit Aufträgen in Höhe von 23 Milliarden Kronen rechnen könne, während die Amerikaner nur einen Bruchteil versprochen haben sollen.  

Mögliches Wahlkampfthema
Vertreter des tschechisch-russischen Konsortiums gaben an, die politische Situation genau zu verfolgen. „Es gibt jedoch keinen Grund, dass diese Situation in irgendeiner Weise unsere Arbeit und unsere Kommunikation mit dem Investor beeinträchtigen sollte“, so MIR.1200-Sprecher Aleš Pospíšil. Der amerikanische Konkurrent Westinghouse wollte sich zur aktuellen politischen Situation nicht äußern. ČEZ-Sprecher Kříž hatte vergangene Woche unmittelbar nach dem Rücktritt von Premier­minister Petr Nečas zunächst geäußert, der Temelín-Fahrplan werde „vorerst nicht geändert“. Kurz darauf relativierte er seine Aussage jedoch: „Es ist schwer vorstellbar, eine endgültige Entscheidung zu fällen, wenn es keine klare Position des Mehrheitseigners gibt, also keine gefestigte Regierung mit einem klaren Mandat und einer eindeutigen Position zur staatlichen Energiepolitik.“

Auch Branchenbeobachter glauben, dass die aktuelle politische Situation auf die Temelín-Entscheidung Einfluss haben wird. „Es ist gut möglich, dass Temelín ein Wahlkampfthema im Falle möglicher Neuwahlen wird“, so Petr Hlinomaz vom Finanzdienstleister BH Securities. Marek Hatlapatka, Marktanalytiker beim Investmentunternehmen Cyrrus, kann der Situation Gutes abgewinnen: „Die große Unsicherheit in der europäischen Energiepolitik erfordert eine eingehende Revision der gesamten Temelín-Ausbaupläne. Insofern können die jetzigen politischen Erschütterungen dazu beitragen, das ganze Projekt neu zu bewerten“, so Hatlapatka.