Blick in die Presse

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Tschechische Pressekommentare zum 75. Jahrestag des Münchner Abkommens

2. 10. 2013 - Text: PZText: PZ

Die Wochenzeitschrift „Respekt“ versucht, aus „München“ einige Lehren zu formulieren. „Wenn sich die Sudetendeutschen auch weiterhin nach der verlorenen Heimat sehnen, die sie mit dem begeisterten Empfang Hitlers so sehr gegen sich aufgebracht haben, so fühlen sie sich doch heute schwerlich als Verlierer. Wäre umgekehrt die deutsche Minderheit von drei Millionen in der Tschechoslowakei verblieben, wäre es bei den Wahlen 1946 sicherlich nicht zum Sieg der Kommunisten gekommen und nicht zum Umsturz im Februar 1948. Diese Zusammenhänge sind für die Lehren aus ‚München‘ sehr wesentlich. Zum kommunistischen Triumph 1946 (…) führte auch das Gefühl, von den unzuverlässigen westlichen Verbündeten enttäuscht worden zu sein, eine Art Verärgerung auf den Westen. Das konnten die Kommunisten dann ausnutzen und es entstand für einige Jahrzehnte ein gut gepflegter Kult des westlichen Versagens, der bis heute fortwirkt. Wäre dem nicht so, hätte Zeman nicht so leicht die antideutsche Karte im Präsidentschaftswahlkampf ausspielen können. Es würde wohl auch nicht eine so starke Aversion gegen „das Diktat“ von Brüssel, wie man hier die Politik der europäischen Institutionen bezeichnet, vorherrschen oder das oft herausgestrichene Gefühl, dass wir uns selbst genug sind. (…) Es ist wirklich ein tschechisches Paradox, dass der Rückzug in die Isolation, das Misstrauen und der Mangel an Großzügigkeit gegenüber Verbündeten, wie wir sie jetzt beim tschechischen Engagement in der EU beobachten können, nicht nur eine entfernte Folge von ‚München‘ sind, sondern auch teilweise dessen Ursache waren. (…) Die Frage lautet daher, warum entstand nicht ein Staat, der den drei Millionen Sudetendeutschen deutlich machte, dass es auch ihr Staat war – angefangen mit der Namensgebung bis hin zur Kulturpolitik (…).“

Zu den nützlichsten Lektionen aus „München“ gehöre, dass es „im Lebensinteresse des tschechischen Staates liegt, möglichst gute Beziehungen mit dem demokratischen Deutschland zu haben. Ein richtiges Verständnis von ‚München‘ bedeutet allgemein, eine Politik der guten Zusammenarbeit in der EU zu betreiben, zum Beispiel nicht nur dann nach Brüssel zu reisen, wenn wir Hilfe bei kanadischen Visa brauchen oder Unterstützung kleiner Brauereien. (…) Und dass Politiker, die nach Souveränität rufen, mit anderen Worten nach Isolation, für immer zu randständigen Radikalen gehören.“

Kaum anders sieht es die Tageszeitung „Lidové noviny“: „Heute sind wir im Rahmen der EU in eine ähnliche Isolation geraten. Unsere Haltung der letzten Jahre, gerichtet gegen die ‚deutsche‘ Union, stützte sich auf die entfernten britischen Verbündeten. In dem sich integrierenden Europa stecken wir weiterhin in den Gräben, bloß dass die tschechische Krone die Betonfestungen ersetzte und zunächst der Lissaboner Vertrag und heute die Übernahme des Euro eine Bedrohung unserer Souveränität verkörperte. Als ob eine Art Grabenmentalität, ein Gefühl dauernder Bedrohung auch nach 75 Jahren noch andauerte.“

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