Licht ins Dunkel

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Beim Prague Writers’ Festival ergründen Autoren das Thema „Verbrechen und Strafe“ – Nobelpreisträger zu Gast

5. 10. 2016 - Text: Franziska Neudert, Foto: PWF

Die Geschichte um den russischen Studenten Raskolnikow gehört zu den berühmtesten Kriminalstücken der Welt. Der überdurchschnittlich begabte, mittellose junge Mann begeht einen vermeintlich perfekten Mord an einer habgierigen Pfandleiherin. Niemand kann ihm seine Schuld nachweisen und doch scheitert er am Ende an seinem Gewissen. Dostojewski erzählte die Geschichte in seinem ersten großen Roman. „Verbrechen und Strafe“ dreht sich um die Frage nach dem gerechten Verbrechen, um das Recht, über das Leben eines anderen zu entscheiden, um Schuld und Sühne. Ein Thema, das auch die Organisatoren des Prague Writers’ Festival beschäftigt. Unter dem Motto „Verbrechen und Strafe“ laden sie von 7. bis 18. Oktober ein, gemeinsam zu diskutieren und Lesungen und Vorträgen zu lauschen. „In unserer konfliktreichen Zeit – Migrationskrise, Kriege und Terrorismus – ist es wesentlich, die Werte unserer Kultur auch literarisch zu hinterfragen“, sagt Festivalsprecher Guillaume Basset.

Was ist moralisch? Wer ist für Kriegsverbrechen verantwortlich? Und inwiefern deckt sich die Berichterstattung der Medien mit dem, was tatsächlich geschehen ist? Wer Kontroversen nicht scheut und sich gern mit schwierigen Themen beschäftigt, ist eingeladen, mit Literaturkritikern und Schriftstellern ins Gespräch zu kommen. Erwartet werden unter anderem der US-Amerikaner Chuck Palahniuk, der algerische Autor und Journalist Kamel Daoud, Yan Lianke aus China sowie der südafrikanische Literaturnobelpreisträger John Maxwell Coetzee. Sie alle eint laut Basset ihr Bezug zum Leitmotiv des Festivals. Sei es Coetzee, der gegen die Apartheid anschrieb, Palahniuk, der Tabus in der amerikanischen Gesellschaft aufgreift, oder Daoud, dem für seine Kritik am arabisch-muslimischen Algerien „Islamo­phobie“ vorgeworfen wurde.

Eröffnet wird das Festival am Samstag, 8. Oktober, mit einem Gala-Abend im Wallenstein-Palais. Auf einen Auftritt der Prager Balletttänzer Michal Štípa und Nikola Márová folgt eine Autorendiskussion zum Thema des Festivals. Durch den Abend führt der Ökonom Tomáš Sedláček.

Angeblich islamfeindlich
Am Folgetag erwartet Literaturfreunde eine Lesung mit dem Lyriker Mohamed Metwalli. Die Gedichte des Ägypters spiegeln die Kluft zwischen Realität und Idealismus wider, sie beschäftigen sich mit dem zerbrechlichen Wesen des Menschen. Später am Nachmittag stellen Daoud und Lianke ihre Werke vor. Öffentliches Aufsehen hat Daoud zuletzt erregt, als er sich kritisch zu den Ereignissen der Kölner Silvesternacht äußerte. Die Tabuisierung von Sexualität in islamischen Gesellschaften führe zu einem gestörten Verständnis von Körperlichkeit, das Migranten in den Westen trügen, so Daoud. Bereits im Jahr 2014 verurteilten Salafisten den Autor wegen seiner angeblich islamfeindlichen Schriften. Bekannt wurde Daoud mit seinem Roman­erstling „Der Fall Meursault – Eine Gegendarstellung“, in dem er die Geschichte des getöteten Arabers aus Albert Camus’ „Der Fremde“ weiterspinnt. Für sein Debüt erhielt er mehrere Auszeichnungen.

Auch Lianke, 1958 als Sohn eines Bauern in der ostchinesischen Provinz Henan geboren, hat Ächtung erfahren. In seiner Heimat wurde sein Werk bereits vor Jahren verboten. Vor allem der Roman „Der Traum meines Großvaters“ sorgte für Aufsehen. Darin beschreibt er, wie mittellose Bauern in seiner Provinz Blut spenden, um Geld zu verdienen. Später stellt sich her­aus, dass sich fast alle mit Aids infiziert haben.

Die folgenden Tage – der 10. und 11. Oktober – sind Palahniuk gewidmet. Zunächst lädt der Autor zu einer Autogrammstunde in die Buchhandlung Luxor am Wenzelsplatz. Am Dienstag stellt der 54-Jährige die Fortsetzung seines berühmten „Fight Club“ vor, die nun als Comic erscheinen soll. Am Abend ist der Thriller, der 1999 mit Brad Pitt und Edward Norton Millionen ins Kino lockte, auf der Bühne des Theaters in der Zeltnergasse (Celetná) zu sehen.

Den Abschluss des Festivals bildet ein Gala-Abend mit Coetzee, der am 18. Oktober im Agneskloster zu Gast sein wird. „Coetzee, der sonst nicht verreist, sagte nur für diesen Tag zu. Das ist auch der Grund, warum es so spät noch eine Veranstaltung gibt. Niemand kann einem Nobelpreisträger absagen“, so Basset. Vom Festival erhofft er sich viele neue Ideen, die auch miteinander in Widerstreit geraten. „Ich hoffe, dass einige Lichter aufgehen werden wie Funken in der Dunkel­heit.“

Prague Writers Festival. Freitag bis Dienstag, 7. bis 18. Oktober, Ticket-Reservierungen per E-Mail an info@pwf.cz

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