O Tannenbaum

O Tannenbaum

Der grüne Weihnachtsschmuck darf auch in Tschechien am Heiligen Abend nicht fehlen. Die Frage ist: Plastik oder Naturgewächs?

18. 12. 2014 - Text: Peter HuchText: Peter Huch; Foto: Corinna Anton

Mit einem Ruck versucht die Frau, ihre Tanne in die Straßenbahn zu wuchten. Nicht nur den Baum hat sie gerade am Náměstí Míru erstanden, sondern auch eine Handvoll loses, nadelndes Zweigwerk. Die Passanten blicken sie verstohlen an, versuchen sich vorbeizudrängen oder nehmen eine andere Tür. Im Gegensatz zu Kinderwagen ist die Hilfsbereitschaft bei Christbäumen nicht so hoch. Niemand mag sich ihnen ohne Handschuhe nähern. Die Dame um die 40 bleibt allein mit ihrem Baum, der nur geringfügig kleiner ist als sie selbst. Mit Mühe hievt sie ihn in die Straßenbahn, um ihn nach Hause zu bringen.

Glaubt man einer Umfrage vom vergangenen Jahr, dann ist die Frau mit dem Baum eine Ausnahme: Mögen die Prager doch angeblich lieber praktische Plastiktannen als echte Nadelträger und wenn schon Natur, dann nur kleine Bäume. Das Stadtbild spricht jedoch eine andere Sprache: An jeder Ecke haben Christbaumverkäufer ihre Stände aufgebaut, nie sind die Märkte grüner als in den Wochen vor Heiligabend. Doch wie halten es die meist atheistischen Tschechen tatsächlich mit dem Weihnachtsbaum?

Für Martina Červenová ist das Alter der Grund für eine künstliche Tanne. Die rüstige Mittsiebzigerin schaut sich an einem der drei Stände am Náměstí Míru um und stellt rasch klar, dass sie nicht gekommen sei, um einen Baum zu kaufen. Der Aufwand beim Schmücken sei einfach zu groß und der Baum auch zu schwer, um ihn zu transportieren. Sie will nur ein paar Zweige kaufen, um die Wohnung zu schmücken. Der Verkäuferin kommt das ganz gelegen, gemeinsam mit ihrem Partner muss sie die verkauften Bäume durch die Netzmaschine ziehen. Wenn sie zwischendurch ein paar Zweige oder Gestecke verkauft, erspart ihr das die mühselige körperliche Arbeit.

Martina Červenová hat sich vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Mann einen kleineren künstlichen Baum gekauft und diesen verstauen sie nun das ganze Jahr über in ihrem Bettkasten, „schon ein wenig vorgeschmückt“, um ihn kurz vor Weihnachten aufzubauen. Eine der kleinen Tischtannen wolle sie auch nicht haben: „Die sehen ja noch schlimmer aus“, lacht die Rentnerin. Ohne Baum kann sie sich Weihnachten nicht vorstellen, schließlich habe es sogar während des kommunistischen Regimes Weihnachtsbäume gegeben. In dieser Hinsicht seien die Tschechen christlicher als die Deutschen, meint Červenová. Denn bei ihnen sei es schließlich Ježíšek, das Christkind, das am Heiligen Abend den Baum aufstelle und den Kindern Geschenke bringe. Das sei doch auch viel schöner als die Geschichte mit dem Weihnachtsmann.

Aus dem eigenen Garten
Ob Ježíšek oder Weihnachtsmann – dass der Baum nicht von selbst ins Wohnzimmer kommt, weiß Lukáš Horák. In seinem Wintermantel sieht er eigentlich zu schick aus, um sich einen Baum zu kaufen. Und es stimmt, er schaut sich ebenfalls nur aus Interesse um. Er ist zu Besuch aus einem kleinen Ort in der Nähe von Pilsen. Dort fällt er seine Tanne jedes Jahr selbst. Er warte nur gerade auf seine Tochter und wolle sich die Zeit mit einem Blick auf die Hauptstadttannen vertreiben. „Die Qualität ist schon in Ordnung“, findet er, auch wenn die Bäume selbstverständlich kein Vergleich seien zu seinen, fügt er stolz hinzu. Am Geld liegt es nicht, dass er selbst zur Säge greift. Die Preise der Bäume sind laut einem tschechischen Großhändler seit rund zehn Jahren auf stabilem Niveau.

Doch Lukáš Horák hat die Bäume im großen Garten und es gehört für ihn zur Weihnachtstradition, sie selbst zu fällen, „auch wenn meine Frau eigentlich dagegen ist, weil die Kinder ja inzwischen schon erwachsen sind“. Was die Tradition betrifft, ist der Baum für Horák wichtiger als die Weihnachtsmesse. Früher seien sie noch jedes Jahr gegangen, als ihre Tochter im Chor gesungen habe. Aber nun reiche es der Familie, die besinnliche Zeit gemeinsam zu verbringen, die Kirche bräuchten sie dazu nicht.

Ein wenig später in der Nähe des Karlsplatzes (Karlovo náměstí). Im Hof der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen haben mehrere Christbaumverkäufer ihre Exemplare aufgestellt. Die Besucher sind eifrig dabei, sie zu begutachten. Sie knien sich hin und befühlen die Stämme der Bäume und auch die stachelnden Nadeln. Die Händler sind gut beschäftigt, denn die Kunden haben viele Fragen, bevor sie sich festlegen. Die meisten halten sich bei den Tannen auf, sie sind es auch, die am häufigsten über die Ladentheke gehen. Insgesamt werden in Tschechien jährlich etwa eine Million Bäume verkauft. Die Tanne ist nicht nur der beliebteste, sondern mit knapp 550 bis 1.000 Kronen teilweise auch doppelt so teuer wie die heimischen Kiefern und Fichten, die für je ungefähr 300 bis 600 Kronen ihre Abnehmer finden.

Marek Habart hat sich trotzdem für eine Tanne entschieden. Der 52-Jährige ist gemeinsam mit seiner Frau Martina auf Baumschau. „Die hier ist gut, die hat genug Platz, um auch ordentlich geschmückt zu werden“, er zeigt auf einen der Bäume, der besonders dichtes Geäst hat. „Das ist mir schon wichtig“, begründet er die Entscheidung gegenüber seiner Frau. Wenn Habart mit dem Weihnachtsbaum fertig ist, sehe er danach kaum noch etwas Grünes, erzählt er. Er sei ein wenig kitschig, doch es sei schon bei seinen Eltern so gewesen und es gefalle ihm einfach besser, wenn der Baum so großzügig behangen sei. Lametta sei da selbstverständlich eine tolle Sache, führt er aus. Das verziere den Baum ungemein. Dazu kämen Christbaumkugeln und vor allem Süßigkeiten. Seine Frau Martina rollt bei den Ausführungen des enthusiastischen Mannes ein wenig die Augen.
Sie kenne es eigentlich anders. Sie mochte schon immer jene Tannenbäume, die kaum verziert seien. Ihr würden eigentlich ein paar Strohfiguren reichen, die seien doch natürlicher. „Immerhin lässt er nun die Wunderkerzen am Baum weg“, fügt sie hinzu. Was nicht fehlen darf, ist dagegen die Christbaumspitze. Da sind sich alle einig.

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