Natur von Menschenhand

Natur von Menschenhand

Stanislav Štýs’ Bilder dokumentieren den landschaftlichen Wandel im Nordböhmischen Becken

15. 4. 2015 - Text: Arne WitteText: Arne Witte; Foto: Stanislav Štýs

Gigantische Ungetüme aus Stahl und Draht fressen sich immer weiter in die Landschaft. Meter für Meter verschwindet die Natur. Bäche, Flüsse, Wälder. Auch von Menschen Geschaffenes wie Häuser, Bahnlinien, Straßen – ganze Dörfer müssen den weiten, kahlen Sandwüsten weichen, die die riesigen Bagger hinterlassen. Diese Szenen könnten aus einem düsteren Science-Fiction-Film stammen; für die Bewohner der Grenzregion südwestlich von Ústí nad Labem waren sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang Alltag.

Im Theresienflügel der Prager Burg sind nun 250 Aufnahmen von Stanislav Štýs zu sehen, der die Entwicklung vor seiner eigenen Haustür jahrzehntelang dokumentierte. Die Ausstellung mit dem Titel „Země znovuzrozená“ („Wiedergeborenes Land“) ermöglicht einen eindrucksvollen Einblick in die Veränderungen, die der Mensch der Natur aufzwingt. Dabei wird auch deutlich, dass er nicht nur von der Natur nehmen, sondern durchaus auch wieder etwas zurückgeben kann.

Braunkohle förderte und fördert der Mensch im Nordböhmischen Becken im offenen Tagebau. Mit schwerem Gerät und enormem technischen Aufwand verändert(e) der Energiehunger von Industrie und Bevölkerung das Gelände. Im Herzen dieser Region, im kleinen Ort Litvínov, wenige Kilometer westlich von Teplice entfernt, wurde Štýs 1930 geboren. Sein ganzes Leben war geprägt von dieser Mondlandschaft. Seine Eindrücke bewegten ihn zu einem Studium der Forstwissenschaft. Besonders beschäftigte ihn die Rekultivierung der zerstörten Gegenden. Mit der Kamera hielt Štýs die Veränderungen nach dem Rückzug der Schaufelradbagger fest. Dort, wo heute auf Hügeln und Feldern der Weizen sanft im Wind wiegt und Kühe weiden, gruben sich vor 40 Jahren Metallriesen durch eine kahle Sandwüste. Eine einst öde, tiefe Mulde gibt sich heute wieder im Gewand eines vom Wald umgebenen, idyllischen Badesees.

Mit seinen Vorher-Nachher-Aufnahmen macht Štýs die Dimension der Veränderungen greifbar. Ohne feste Landmarken als Anhaltspunkte im Hintergrund, wie zum Beispiel markante Burgtürme, wären die meisten der Motive kaum wiederzuerkennen. Luftaufnahmen zeigen gigantische Flächen, auf denen sich zuvor nur graubraune Halden befanden – heute gedeihen dort wieder Blumen und wachsen Bäume.

Die Schau wird durch großformatige Karten und Modelle ergänzt, die einen guten Überblick und eine wichtige Orientierungshilfe darstellen, um die Bilder geographisch einzuordnen. Die Beschriftungen sind in tschechischer, englischer und deutscher Sprache gehalten. Eindrucksvoll belegen Štýs’ Fotografien, wie die Landschaft ihre ursprüngliche Schönheit zurückerhält. Dabei wird – leider nur auf Tschechisch – erklärt, dass es nicht reicht, die Krater sich selbst zu überlassen. Umfangreiche und kostenintensive Rekultivierungsarbeiten waren nötig, um die Wunden zu heilen. Sie gingen weit über kosmetische Eingriffe hinaus – mit dem Resultat, dass sich Mensch und Tier nach vielen Jahren industrieller Nutzung hier wieder wohlfühlen können.

Stanislav Štýs – Země znovu-zrozená. Theresienflügel der Prager Burg (Prag 1), geöffnet: täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 80 CZK (ermäßigt 40 CZK), bis 28. Juni, www.kulturanahrade.cz

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