Mit 65 in Rente

Mit 65 in Rente

Regierung einigt sich auf Altersgrenze – Opposition spricht von Wahlkampfgeschenk

8. 9. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: APZ

 

Es kommt nicht so oft vor in letzter Zeit, dass die Regierung sich einig ist. Die Opposition witterte daher prompt ein Wahlkampfgeschenk. Manche Bürger könnte es dennoch freuen: Sie sollen künftig mit 65 in Rente gehen. Auf die Altersgrenze einigte sich das Kabinett am Montag einstimmig. Derzeit gibt es kein festes Renten­eintrittsalter.

„Es ist nicht realistisch, dass Menschen über 65 zum Arbeiten gezwungen werden“, sagte die zuständige Ministerin Michaela Marksová (ČSSD). In manchen Branchen sei selbst dieses Höchstalter noch zu niedrig, deshalb werde ihr Ministerium vorschlagen, die Art des Berufs künftig besser zu berücksichtigen. Wer körperlich schwer arbeitet, müsste demnach nicht so lange durchhalten wie jemand, der den ganzen Tag im Büro sitzt. „Nach dem 60. Geburtstag steigt die Krankenrate rapide, deswegen wollen Arbeitgeber schon heute kaum noch Menschen über 55 einstellen“, so Marksová .

Laut Premier Bohuslav Sobotka (ČSSD) bedeutet die Alters­grenze unter anderem, dass Berufstätige ihre Zukunft besser planen können. Der Gesetz­entwurf geht nun ins Parlament. Er sieht auch vor, dass die Grenze später überprüft und gegebenenfalls angepasst werden kann, wenn sich die Lebenserwartung verändert.

Das Abgeordnetenhaus dürfte dem Vorschlag wohl zustimmen. Die Opposition dagegen bezeichnete ihn als Populismus im Wahlkampf. Die Regierung sollte lieber an einem Systemwandel arbeiten, um sicherzustellen, dass Rentner künftig würdevoll leben können, forderte die stellvertretende Vorsitzende der Partei TOP 09 Jitka Chalánková. „So kauft die Regierung nur Wähler, die zudem überhaupt nicht von der Änderung betroffen sind. Außerdem muss offen gesagt werden, wovon wir die Renten bezahlen werden, und zwar jedes Jahr.“ Derzeit liegt die Durchschnittsrente bei umgerechnet etwa 400 Euro im Monat. Das reicht vielen – vor allem in Prag – nicht zum Leben.

Neben der Altersgrenze sieht das neue Gesetz auch vor, dass im Jahr 2019 ein erster Bericht über die durchschnittliche Lebens­erwartung der 1966 bis 1995 Geborenen erstellt wird. Sollte sich zeigen, dass sie mehr als ein Viertel ihres Lebens im Ruhestand verbringen würden, entscheidet die Regierung, ob sie das Renteneintrittsalter anhebt. Anschließend soll alle fünf Jahre eine Neubewertung stattfinden.

Für den ersten Bericht werden Daten aus dem Jahr 2018    ­verwendet. Den Unterlagen des Ministeriums zufolge wird sich die durchschnittliche Lebenserwartung bis dahin nicht gravierend verändern. Daher wird das Ergebnis voraussichtlich lauten, dass zum Beispiel Menschen, die 1994 geboren wurden, bis 68 arbeiten müssten, damit sie ein Viertel ihres Lebens im Ruhestand verbringen. Es sei deswegen „fast sicher“, dass bereits in drei Jahren das Eintrittsalter auf 68,6 angehoben werden müsste, schreibt das Ministerium.

Ist die Zahl 65 also doch ein Wahlkampfgeschenk? Innerhalb der Regierung hatte sich im Vorfeld zumindest die ANO-Partei von Finanzminister Andrej Babiš gegen die Altersgrenze gestellt. Nach den Koalitions­verhandlungen der vergangenen Woche schloss sie sich dann aber dem Vorschlag der Sozialdemokraten an – auch wenn Babiš die Initiative weiterhin für einen populistischen Vorschlag hält, der mit den anstehenden Regionalwahlen verbunden ist.

Der Finanzminister und Konzern­eigentümer weist darauf hin, dass das Rentenalter direkt mit der Höhe der Renten zusammenhängt. Je früher die Menschen in Ruhestand gehen, desto weniger gebe es zu verteilen, so seine Rechnung. Ganz so einig wie es bei der Abstimmung aussah, ist sich die Regierung offenbar doch nicht. 


Rente in Tschechien
Wie lange muss ich eigentlich noch arbeiten? Wer sich diese Frage hierzulande stellt, braucht fast schon einen Taschenrechner – oder noch besser die Tabelle, die zum Beispiel die Tschechische Sozialversicherungsverwaltung auf ihrer Internet­seite veröffentlicht hat. Seit den neunziger Jahren wurde das Renten­eintrittsalter angehoben, die ursprüngliche Obergrenze von 63 Jahren wurde abgeschafft und von der Regierung Nečas 2011 nicht neu festgelegt. In die Berechnung fließen mehrere Faktoren ein. Bei Männern ist vor allem das Geburtsjahr entscheidend; Frauen müssen außerdem berücksichtigen, wie viele Kinder sie aufgezogen haben. (Dass Männer Kinder großziehen, ist im System nicht vorgesehen.) Wer zum Beispiel vor 1936 geboren ist und fünf oder mehr Kinder zur Welt gebracht hat, durfte mit 53 in Rente gehen. Männer und kinderlose Frauen, die 1959 geboren sind, müssen noch bis 64 arbeiten; sind sie zwei Jahre früher zur Welt gekommen, können sie erst mit 66 in den Ruhestand. Jahrgang 1977 müsste aktuell bis 67 arbeiten, egal ob Mann oder Frau und unabhängig von der Zahl der Kinder. Hinzu kommt: Wer das Rentenalter vor 2010 erreicht hat, muss mindestens 25 Jahre versichert gewesen sein. Wer sich 2018 aus dem Berufsleben verabschiedet, muss dagegen 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben.   (ca)