Manipulator und Verführer

Manipulator und Verführer

Rolf-Peter Lacher gewährt Einsichten in das Liebesleben Arthur Schnitzlers

19. 12. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: APZ

 

Es war die Epoche des „Fin de siècle“, ein Zeiten- und Bewusstseinswandel stand bevor. Wie so oft war es die intellektuelle Avantgarde, die sich als deren Vorreiter bemerkbar machte. Der österreichische Schriftsteller und Arzt Arthur Schnitzler war ein solcher. Immer wieder brach er mit den geltenden Moralvorstellungen einer durch und durch prüden Bourgeoisie, vor allem mit den sexuellen Tabus. Rolf-Peter Lacher hat im Frühling dieses Jahres eine detaillierte Studie zu Schnitzlers Liebesabenteuern publiziert. Er konzentriert sich dabei auf drei Frauen aus dem Wiener Kleinbürgertum, deren psychische und physische Leiden an der Seite Schnitzlers anhand persönlicher Briefe eindrücklich geschildert werden.

Lacher macht dem Leser in „Der Mensch ist eine Bestie“ zunächst klar, dass sein „Gegenstand“ ausschließlich des Autors Umgang mit seinen Affären war. Es fließen keine Schilderungen oder Wertungen seiner literarischen Arbeit, politischen Ansichten oder dergleichen in die 250, sich sehr angenehm lesenden Seiten ein. Lacher stellt zu Beginn der Kapitel über Anna Heeger, Maria Chlum und Maria Reinhard jeweils einen kleinen historisch-genealogischen Abriss voran und erläutert die Herkunftsverhältnisse.

Hier fällt der Bezug zu Böhmen auf, denn alle Familien haben zumindest teilweise Wurzeln im heutigen Tschechien. So ist vor allem aus Sicht der Geschichtsschreibung spannend, wie Lacher die Lebenswelten und drängendsten sozialen Probleme in den böhmischen Provinzen des Habsburgerreiches um die Jahrhundertwende kurz wiedergibt. Viele Menschen wanderten damals in das Machtzentrum des Vielvölkerstaates ein, wo sie sich gesellschaftlichen Aufstieg erhofften.

Ebendort gerieten einige „süße Wiener Mädel“ aus der neuen unteren Mittelschicht in die „Fänge“ des egozentrischen Charmeurs Arthur Schnitzler. Lacher erzählt uns von den ersten Begegnungen seiner drei Protagonistinnen mit dem notorischen Frauenhelden, den emotionalen Verletzungen und letztlich den zerstörten Existenzen, die den Liebesweg Schnitzlers pflasterten. Er eröffnet dem Leser in einer vielseitigen Charakterstudie, wie berechnend, kalt und manipulativ dieser seine Frauen verführte und sich gefügig machte. Stets blickte Schnitzler mit einer seltsamen Mischung aus Arroganz, Eifersucht und sexueller Obsession auf seine Affären hinab – und machte sich somit eigentlich selbst zu einem typischen Ausbeuter aus der Oberschicht, welche er in seinem literarischen Schaffen subtil kritisierte.

Rolf-Peter Lacher: Der Mensch ist eine Bestie. Anna Heeger, Maria Chlum, Maria Reinhard und Arthur Schnitzler. Königs-hausen & Neumann, Würzburg 2014, 250 Seiten, 36 Euro, ISBN 978-3-8260-5396-2