Leben und Sterben in der Sperrzone

Leben und Sterben in der Sperrzone

Der Fotojournalist Gerd Ludwig hat die Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl dokumentiert. Die Galerie Zahradník zeigt eine Auswahl seiner Aufnahmen

25. 5. 2016 - Text: Helge HommersText: Helge Hommres; Fotos: Gerd Ludwig/National Geographic Creative

Vor 30 Jahren ereignete sich mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl der bisher schwerste atomare Unfall der Geschichte. Heute ist die Gegend um das stillgelegte Kernkraftwerk im Norden der Ukraine verseucht und verwaist. Der über den Reaktorblock gespannte Schutzmantel weist Risse auf und muss erneuert werden.

Der Fotograf Gerd Ludwig, bekannt für seine Aufnahmen für die Zeitschrift „National Geographic“, ist den Überbleibseln der Katastrophe so nahe gekommen, wie nur wenige Journalisten vor ihm. Seit über zwei Jahrzehnten kehrt er immer wieder in die Sperrzone zurück, um die Folgen des Unglücks zu dokumentieren. Die Fotografien veröffentlichte er vor zwei Jahren in dem Bildband „Der lange Schatten von Tschernobyl“, für den er mehrfach ausgezeichnet wurde. Einige Fotografien sind nun in der Galerie Zahradník zu sehen.

Nahezu alle Fotografien werden auf Tschechisch, Deutsch, Französisch und Englisch näher erläutert. Obwohl die Motive oft für sich sprechen, verraten sie mitunter schockierende Details. So wurde ein Junge, der beide Unterarme verlor, von seinen Eltern verlassen und lebt nun in einem Waisenhaus bei Minsk.

Der Betrachter erhält auch einen Eindruck von den Umständen, unter denen die Bilder entstanden sind. Ludwig war es trotz größter Sicherheits­vorkehrungen nur eine Viertelstunde am Tag gestattet, sich im Reaktor aufzuhalten. In der Sperrzone und der anliegenden Geisterstadt Prypjat, deren 50.000 Einwohner unmittelbar nach der Katastrophe evakuiert wurden, gelangen ihm Aufnahmen von verlassenen Häusern, die schrittweise von der Natur zurückerobert werden – und von zahlreichen Touristen. Sie haben Tschernobyl als Reiseziel für sich entdeckt, die ukrainische Regierung wiederum erkannte ihre Kaufkraft. Einige dieser Besucher lichtete Ludwig ab, während sie für Schnappschüsse in verfallenen Klassenzimmern und auf Rummelplätzen posierten. Demgegenüber stehen Aufnahmen weinender Witwen, die am 25. Jahrestag des Unglücks mit verblassten Fotografien auf das Schicksal ihrer verstorbenen Männer hinweisen. Doch es sind auch lachende Menschen auf den Bildern zu sehen. Denn einige ehemalige Bewohner Prypjats sind mittlerweile in ihre alten Häuser zurückgekehrt und ließen sich in fröhlicher Stimmung von Ludwig ablichten. Hoffnung sucht man in diesen Aufnahmen jedoch vergebens –  viele von ihnen sind schwer krank und nur zum Sterben in ihre Heimat zurückgekehrt.

Der lange Schatten von Tschernobyl. Galerie Zahradník (V Jámě 8, Prag 1), täglich außer montags 11 bis 19 Uhr, Eintritt: 60 CZK (ermäßigt 40 CZK), bis 10. Juli, www.zahradnik.pro, weitere Aufnahmen und Informationen finden sich im gleichnamigen Bildband und der iPad-App.