Kunst zwischen Diktatur und Demokratie

Kunst zwischen Diktatur und Demokratie

Die Stadtgalerie feiert ihr 50-jähriges Bestehen. In einer Jubiläumsausstellung wirft Kuratorin Hana Rousová einen Blick auf die wechselvolle Geschichte des Hauses

20. 11. 2013 - Text: Vanessa WeissText: Vanessa Weiss; Foto: GhmP

 

„Bramboračka“ (Kartoffelsuppe) heißt der Text, der die 69-jährige Kunsthistorikerin Hana Rousová noch immer ärgert. Es ist eine Kritik zur bisher einzigen Jubiläumsausstellung der Prager Stadtgalerie von 1983, der Zeit der sogenannten „Normalisierung“ in der sozialistischen Tschechoslowakei. Mit dem Finger fährt sie die Zeilen bis zum letzten Satz entlang. Nach Meinung des Autors jenes Textes hätte es in der damaligen Ausstellung „schwache Werke“ gegeben, die „zur Diskussion stünden“. Namen nannte er nicht. Dennoch mussten die Türen auf Anweisung des Magistrats für ein paar Tage wegen der Zeichnungen „verbotener Künstler“ geschlossen bleiben.

Heute, dreißig Jahre später, ist die Kritik selbst zum Exponat geworden. Sie hängt in einem Raum mit hohen, weißen Wänden – zwischen den Werken von Auguste Rodin, Emil Filla und Jindřich Stýrský. Mit der Geschichte der Prager Stadtgalerie verbunden, wird sie neben anderen Exponaten von großer historischer und künstlerischer Bedeutung in der Jubiläumsausstellung „Das Leben der Stadtgalerie Prag (50)“ anlässlich des 50-jährigen Bestehens im Haus zum Goldenen Ring präsentiert.

„Die Direktorin hat mich inständig gebeten, die Ausstellung zu betreuen“, erzählt Rousová. Denn die Geschichte der Stadtgalerie ist eng mit ihrer eigenen beruflichen Laufbahn verknüpft. „Ich habe hier 21 Jahre lang gearbeitet, mein Sammelgebiet waren Zeichnungen“, sagt die noch immer aktive Rentnerin, während sie ihren Blick durch den Saal schweifen lässt. Sie befindet sich im ersten Schauraum von vielen, die sich über mehrere Etagen des Gebäudes verteilen. Das, was hier zu sehen ist, spiegelt keine übliche Abhandlung von Geschichtsdaten wider. „Es ist wie ein Lebenslauf“, sagt Rousová. Der menschliche Bezug ist gewollt. Denn die Ausstellung folgt der These, dass jede Institution einem lebenden Organismus gleicht. Dessen Entwicklung sei durch die in ihm arbeitenden Menschen geprägt.

Die Pläne zur Gründung einer Stadtgalerie gehen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Nachdem die kunsthistorischen Sammlungen der Stadt stark angewachsen waren, fehlte sowohl der Platz, alle Werke fachgerecht zu lagern, als auch ein geeigneter Ort, sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Bemühungen einer Künstler­initiative, diesen Missstand zu beheben, wurden damals von der Stadtverwaltung ausgebremst.

Symbol des Aufbegehrens
Nach einem ersten Antrag der Künstlerinitiative wuchs die städtische Sammlung weiter rasant an. Unter anderem stieß auch „Das Eherne Zeitalter“ des französischen Bildhauers Auguste Rodin hinzu, eine Bronzefigur, die von Kunsthistorikern als Anfang der modernen Skulptur betrachtet wird. Sie befindet sich heute am Rande des ersten Ausstellungssaals. „Die Plastik sollte zunächst in der Mitte des Raumes stehen, der Architekt und ich haben uns aber dagegen entschieden. Wir wollten bewusst die Regeln herkömmlicher Museumseinrichtungen brechen“, sagt Rousová, während sie die lebensgroße Skulptur betrachtet. Es scheint wie ein Aufbäumen gegen das sozialistische Regime, das die Stadtgalerie mehr als ein Vierteljahrhundert mitprägte.

In den folgenden 18 Räumen liegt der Fokus ganz auf den Werken und Ausstellungen, die seit der Gründung 1963 präsentiert wurden. Bis heute wurden an den verschiedenen Standorten der Stadtgalerie über 700 Ausstellungen nationaler und internationaler Künstler wie Mario Merz oder John Cage organisiert. Aus der immensen Anzahl hat die Kunsthistorikerin die 25 bedeutendsten für die bis April 2014 laufende Jubiläumsausstellung ausgewählt. „Für mehr wäre kein Platz gewesen“, gesteht sie und steigt die Treppen in das erste Obergeschoss hinauf. Antiquierte Sockel, crèmefarbene Paneele und altmodische metallene Präsentationskonstruktionen spielen dort auf die Vergangenheit an.

In diese reist der Besucher, nachdem er sich durch ein ganzes Sammelsurium an Paletten geschlängelt hat. Darauf drapiert befinden sich sämtliche Begleithefte vergangener Ausstellungen, verpackt in durchsichtiges Plastik. Lediglich die Titelbilder der Kataloge sind zu erkennen. „Egal, in welcher Form die Kuratoren über die Kunst in ihren Texten reflektiert haben, ihre Gedanken bleiben uns damit erhalten“, erklärt Rousová, als sie den schmalen Weg zwischen den „Gedächtnispaletten“ passiert. Es ist eine Installation, die die schiere Masse und mit ihr das erdrückende Gewicht des Vergangenen symbolisieren könnte.

Rousová wurde zwölf Jahre nach der offiziellen Gründung Mitarbeiterin der Stadtgalerie, Ausstellungen kuratierte sie erst seit Ende der siebziger Jahre. „Mutterschaftsurlaub“, erklärt sie.

„Ganz besonders in den siebziger Jahren wurden auch Werke von systemtreuen Künstlern aus der DDR und der Sowjetunion ausgestellt.“

Dekade des Unbehagens
Die große Schautafel in der ersten Etage, auf der „1970“ zu lesen ist, lässt sie rasch hinter sich. „Ich bin froh, dass ich mich mit diesen ideologischen Ausstellungen weniger beschäftigen musste.“ Die Tafel bleibt die einzige aus jenem Jahrzehnt, das an die Epoche freiheitlicher Bestrebungen unter Alexander Dubček anschloss. Danach folgte die Niederschlagung des Prager Frühlings, die „Normalisierung“ und mit ihr die Gleichschaltung und Normierung nach sowjetischem Vorbild. Man merkt Rousavá an, dass jene Zeit Unbehagen in ihr hervorruft. Die Dekade wird in der Jubiläumsausstellung ausgespart – leider. Denn auch jene Jahre sind Teil der Geschichte, der man sich hier und heute mit kritisch analytischem Blick hätte annähern können.

Ähnlich wie im Nationalsozialismus „entartete Kunst“ verboten wurde, schreckte auch das sozialistische Regime nicht vor der Kontrolle des künstlerischen Lebens in der ČSSR zurück. Die Zensur hatte auch für Rousová Folgen. „Für meinen Sammelbereich habe ich abstrakte Zeichnungen nur dank der Unterstützung von Kollegen anschaffen können“, blickt sie zurück. Abstrakte Darstellungen widerstrebten dem damals verordneten Primat des Sozialistischen Realismus. „Ich wollte mich der Diktion aber nicht unterordnen“. Gut so, denn sonst hätten einige Werke bedeutender tschechischer Künstler wie Aleš Veselý und Eva Kmentová keinen Platz in der Sammlung der Stadtgalerie gefunden.

Život Galerie hlavního města Prahy (50). Dům U Zlatého prstenu (Týnska 6, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 5. April 2014