Kommentar: Große Herausforderung

Kommentar: Große Herausforderung

Mit der Ernennung zur Unesco-Literaturstadt steht Prag vor neuen Aufgaben

10. 12. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: APZ

Prag ist Unesco-Literaturstadt? Ja, welcher Stadt sollte eine solche Auszeichnung denn sonst zukommen, wird wohl manch einer sagen. Wem fallen nicht sofort die Namen von Autoren ein, die in Prag gelebt und geschrieben haben. Und dazu gehören keineswegs nur Kafka und Hašek, Rilke und Karel Čapek, Franz Werfel und Johannes Urzidil, sondern auch die Autoren, die allein mit der Macht des Wortes in Zeiten der Unterdrückung für Freiheit und Wahrheit eingestanden sind, angefangen beim Reformator und Kirchenkritiker Jan Hus mit seinen Schriften und seinen etwa 3.000 Predigten in der Prager Bethlehemskapelle. Eine ähnliche Rolle spielten jene tschechischen Autoren, die ab 1800 die Wiedergeburt der tschechischen Nation gegen eine Germanisierung der Kultur in Böhmen und Mähren durch die Habsburger einleiteten. In der jüngeren Vergangenheit waren es unter anderem Ludvík Vaculíks „Zweitausend Worte“ sowie Václav Havels Theaterstücke und dessen „Briefe an Olga“ aus dem Gefängnis, die das Ende der kommunistischen Diktatur einleiteten.

Wer denkt nicht bei Prag als Literaturstadt an die weltberühmten Kaffeehäuser Union, Slavia, Louvre und Arco. Dazu kommen die großartigen Bibliotheken wie die im Strahov-Kloster und dem ehemaligen Jesuitenkloster, dem Klementinum. Schließlich haben die Prager Theater wie das Ständetheater, das Nationaltheater und das Neue Deutsche Theater (die heutige Staatsoper) das kulturelle Leben einer deutsch-tschechischen Konfliktgemeinschaft entscheidend geprägt.

Die Voraussetzungen, die die Unesco an die Bewerber stellt, konnte Prag mühelos erfüllen. Zu Recht aber erkannte der Koordinator des Projektes, Tomáš Řehák, dass die Erlangung des Titels „Literaturstadt“ die Stadt Prag nun vor neue Herausforderungen stellt. Er sagte, dass die Welt nun beurteilen werde, ob „wir dem Anspruch einer Literaturstadt auch gerecht werden“.

Für die Unesco erschöpft sich die Rolle der Literatur nicht in schöngeistiger Unterhaltung. So fragt sie die Bewerber, inwiefern das Literaturleben der jeweiligen Stadt multikulturell ausgerichtet ist. Nun gibt es kaum eine Hauptstadt in Europa, in der das Literaturleben so entscheidend von zwei Kulturen geprägt wurde wie in Böhmen und Mähren und der Tschechoslowakei durch die deutsche und die tschechische Literatur. Doch die Rolle, die in Prag die deutschsprachige Literatur bis 1945 gespielt hat, ist in den Dokumenten sehr stiefmütterlich behandelt worden. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Defizit in Zukunft in Zusammenarbeit mit dem Prager Literaturhaus, dem Goethe-Institut, dem Österreichischen Kulturforum und der Germanistischen Fakultät der Prager Karls-Universität aufgearbeitet wird.

Die Auszeichnung hat Prag nicht nur wegen der großen Zahl bekannter Autoren bekommen. Die Unesco erwartet, dass eine Literaturstadt alle Bevölkerungsschichten, was das Literaturleben betrifft, anspricht und beteiligt. Es gehört sicher zu den schwierigsten Aufgaben, die die Stadt nun angehen muss. Im Zeitalter der audiovisuellen Massenmedien bei den Menschen die Lust am Lesen wieder zu wecken, ist eine große Herausforderung. Zudem fordert die Unesco von einer Literaturstadt, dass Programme entworfen werden, die Angebote für die nationalen Minderheiten enthalten. Kann Prag als Literaturstadt einen Beitrag leisten zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit? Wird es Projekte geben, die zum Beispiel die Minderheit der Roma mit einbeziehen?

Literatur soll aus Sicht der Unesco das politische Leben mitprägen und kritisch begleiten. Für Prag hätte diese Rolle der Literatur zurzeit große Aktualität: Die vielen tschechischen Bürger, die gegenwärtig einen Rücktritt des Staatspräsidenten fordern, haben nun ein weiteres gewichtiges Argument bekommen, Miloš Zeman die rote Karte zu zeigen. Denn mit dem Ruf einer Literaturstadt lässt es sich wahrlich nicht vereinbaren, dass ein Staatspräsident seine Reden und Interviews mit unerträglichen Vulgarismen „schmückt“.