Kein sozialer Spielraum

Kein sozialer Spielraum

Trotz einer Empfehlung aus Brüssel will die Regierung das Rentenalter nicht schneller erhöhen

11. 6. 2014 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Garry Knight

Wenn die Europäische Kommission ihre länderspezifischen Empfehlungen vorlegt, ist das für die Mitgliedstaaten der EU jedes Jahr wie eine Zeugnisausgabe. Sie bekommen zwar keine Zensuren, sondern Ratschläge, die zu mehr Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung führen sollen. Aber auch die offenbaren, wo die Länder ihre Schwächen haben. Die tschechische Regierung zeigte sich in diesem Jahr als einsichtiger Schüler. Viele Punkte, die von der EU-Kommission bemängelt wurden, stehen ohnehin schon auf ihrer Liste ihrer guten Vorsätze. In einem Punkt allerdings sieht sie keine Möglichkeit, den Ratschlägen der Kommission zu folgen: Sie will das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht schneller als bisher erhöhen.

In den Empfehlungen, welche die EU-Kommission am Montag vergangener Woche veröffentlichte, wurde Tschechien unter anderem aufgefordert, die Tragfähigkeit seines Rentensystems durch eine schnellere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters langfristig zu sichern. Gefordert wurde eine „eindeutige Angleichung des Rentenalters an die veränderte Lebenserwartung“. Das gesetzliche Renteneintrittsalter steigt in Tschechien seit 1996 schrittweise. Bei den Männern erhöht sich die Grenze jedes Jahr um zwei Monate, bei den Frauen um vier. In diesem Jahr können die Männer ohne Abzüge in den Ruhestand gehen, die 1951 und 1952 geboren sind. Bei den Frauen spielt auch die Zahl der Kinder eine Rolle. Sie können in der Regel etwas früher aus dem Berufsleben ausscheiden, ohne dass sie Abzüge hinnehmen müssen.

Anders als die EU-Kommission sieht die tschechische Regierung keine Möglichkeit, die derzeitige Regelung zu ändern. Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD) sagte nach der Veröffentlichung der Empfehlungen, es gebe keinen sozialen Spielraum, um die Geschwindigkeit bei der Erhöhung des Rentenalters zu steigern. „Wir haben das gegenteilige Problem: Es geht um Arbeitsplätze für junge Absolventen und darum, wie wir ältere Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt halten können, bis sie das Rentenalter erreichen.“

Diesen Standpunkt bestätigte auch das Kabinett. „Schon das gegenwärtig gültige Tempo betrachtet die Regierung als verhältnismäßig hoch, was eine Reihe von sozialen Problemen mit sich bringt“, formulierte es in einer Erklärung. Die Regierung legte in einer Pressemitteilung außerdem dar: Die klare Mehrheit der Empfehlungen der EU-Kommission decke sich mit dem gegenwärtigen Kurs der tschechischen Regierung und verfolge Ziele, die sich das Kabinett im Regierungsprogramm und im Nationalen Reformprogramm für dieses Jahr gesetzt habe. Konkret gebe es Übereinstimmungen zum Beispiel bei der Anwendung eines neuen Beamtengesetzes, das die Regierung auf den Weg bringen will, beim Hochschulgesetz oder bei dem Vorhaben, mehr Betreuungsplätze für Vorschulkinder zu schaffen.

Die tschechische Antwort auf die Empfehlungen schickte das Kabinett am Mittwoch vergangener Woche nach Brüssel zurück, wo sich die Experten der EU-Kommission noch einmal damit beschäftigen werden. Im Juni wollen dann die Minister, die in den Mitgliedstaaten für Beschäftigung, Sozialpolitik und Finanzen zuständig sind, über die Empfehlungen verhandeln. 

Ratschläge aus Brüssel

Konkret empfiehlt die EU-Kommission Tschechien für dieses und das kommende Jahr unter anderem:

•    eine gesunde öffentliche Finanzlage zu bewahren und die Haushaltsstrategie im Jahr 2015 „erheblich zu straffen, um zu gewährleisten, dass das mittelfristige Haushaltsziel erreicht und anschließend eingehalten wird“;
•    die Steuerdisziplin mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Mehrwertsteuer zu verbessern, die Kosten durch eine Vereinfachung des Steuersystems zu verringern und die hohe Steuerlast auf Arbeit insbesondere von Geringverdienern zu reduzieren;
•    die Verfügbarkeit von erschwinglichen, qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen und -leistungen in erster Linie für Kinder bis zu drei Jahren wesentlich zu erhöhen;
•    die Akkreditierung, Verwaltung und Finanzierung der Hochschulbildung zu verbessern und den Lehrberuf an Pflichtschulen attraktiver zu machen;
•    die Reform im Bereich der reglementierten Berufe zu beschleunigen;
•    ein Beamtengesetz im Jahr 2014 anzunehmen und umzusetzen, das einen stabilen, effizienten und professionellen staatlichen Verwaltungsdienst gewährleistet.   (ca)