Jubiläen im Jubiläumsjahr

Jubiläen im Jubiläumsjahr

130 Jahre nach seiner Eröffnung feiert das Nationaltheater große Komponisten

18. 9. 2013 - Text: PZText: ND/PZ; Foto: APZ

Das Prager Nationaltheater hat sich für die Jubiläumssaison viel vorgenommen, ungeachtet der vorangegangenen Turbulenzen um die Abberufung und Wiedereinsetzung seines Theaterdirektors Jan Burian. 130 Jahre nach der Eröffnung des historischen Gebäudes stehen insgesamt 70 Inszenierungen auf dem Spielplan, davon 15 Erstaufführungen. Die erste davon fand diesen Mittwoch im Kolowrat-Theater statt.

Wagner und Janáček
Die zweite Opernpremiere steht im Zeichen des 200. Geburtstages des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi. Unter der Regie des Briten David Pountney führt das Ensemble des Nationaltheaters am 25. Oktober „Simon Boccanegra“ auf. Wie in anderen Verdi-Opern muss der Titelheld auch hier erkennen, wie schwer es ist, Macht und Liebe miteinander zu vereinen. Verdi zu Ehren findet in dessen Geburtsmonat Oktober zudem ein Galakonzert in der Staatsoper statt, geleitet vom italienischen Dirigenten Enrico Dovico.

Ein rundes Jubiläum ist auch der Anlass für die erste Opernpremiere des kommenden Jahres – auch wenn andere Bühnen dieser Welt den 200. Geburtstag und 130. Todestag von Richard Wagner korrekterweise bereits in diesem Jahr gewürdigt haben. Im Januar präsentiert der aus dem lettischen Riga stammende Regisseur Andrejs Žagars seine Interpretation des „Tannhäuser“, dessen Uraufführung im Jahr 1845 den künstlerischen Durchbruch des jungen Wagner markierte. Den ersten Entwurf dazu schrieb Wagner drei Jahre zuvor auf dem Schreckenstein (Střekov), einer Burg im Böhmischen Mittelgebirge unweit von Ústí nad Labem.

Ein weiterer Höhepunkt der neuen Saison ist die Premiere der Oper „Das schlaue Füchslein“ („Příhody lišky bystroušky“) von Leoš Janáček im März 2014. Wieder aufgenommen in das Programm des Nationaltheaters wurde auch die Janáček-Oper „Jenůfa“, die 100 Jahre zuvor noch unter dem Titel „Její pastorkyňa“ am Nationaltheater Brünn ihre Uraufführung feierte.

Schicksalsjahr 1914
Während die Renovierungsarbeiten an der Fassade des Nationaltheaters ihrem Ende zugehen, präsentiert sich das Schauspielensemble bei seinen Auftritten dahinter typisch tschechisch. Unter anderem wird erstmals das Theaterprojekt „1914“ vorgestellt. Regisseur Robert Wilson verbindet in dem neuen Stück die „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ mit der Nachkriegstragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. „Das Projekt konnten wir dank privater Sponsoren und der finanziellen Hilfe des Kulturministeriums umsetzen. Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit Partnern in der Slowakei und Ungarn“, sagte der Leiter des Schauspiels Michal Dočekal bei der offiziellen Vorstellung des Spielplans. „1914“, das auf das Schicksalsjahr in der europäischen Geschichte anspielt, wird neben Prag, Bratislava und Budapest im kommenden Jahr auch in Linz und Karlsruhe aufgeführt.

Das Ballettensemble präsentiert sein erstes neues Stück Mitte November, wenn Prokofjews „Romeo und Julia“ in der Staatsoper auf dem Programm steht. Weitere Premieren finden am 17. April („Tschechische Ballett-Sinfonie II“, Nationaltheater) und 26. Juni („Valmont“, Ständetheater) statt.

Besuch aus Moskau
Wem die anstehenden Premieren in zu weiter Ferne erscheinen, kann sich bereits heute auf den Gastauftritt des weltbekannten Tschechow-Kunsttheaters Moskau (MChAT) freuen. Dem Prager Publikum wird sich das 1898 von Konstantin Stanislawski und Wladimir Nemirowitsch-Dantschenko gegründete Ensemble von 2. bis 5. November präsentieren. Im historischen Gebäude des Nationaltheaters bringen die russischen Schauspieler „Das letzte Opfer“ von Alexander N. Ostrowski und Michail Afanassjewitsch Bul­gakows „Weiße Garde“ auf die Bühne. 

 

Der Fall „Toufar“ am Kolowrat-Theater
Vor ausverkauftem Haus feierte am Mittwoch die Kammeroper „Toufar“ am Kolowrat-Theater ihre Premiere. Im Mittelpunkt des Stücks von Aleš Březina steht der gleichnamige katholische Priester und sein Schicksal, das eng mit dem sogenannten „Wunder von Číhošť“ verbunden ist. Im Dezember 1949 soll sich während einer Messe in der dortigen Kirche ein Kruzifix von einer Seite zur anderen bewegt haben. Was für Josef Toufar ein Zeichen Gottes war, sollte der regierenden Kommunistischen Partei als Exempel für den ersten öffentlichen Schauprozess gegen einen kirchlichen Würdenträger dienen. Einen Monat lang wurde Toufar von den Behörden gefoltert und verhört, der Priester sollte eingestehen, er habe das Kruzifix manipuliert und das angebliche Wunder mithilfe eines eingebauten Mechanismus selbst hervorgerufen.

Der Plan ging auf: Toufar gestand nicht nur die Manipulation des Kreuzes, er gab auch zu, ihm anvertraute Kinder sexuell missbraucht zu haben. Dass er zu diesem falschen Geständnis gezwungen worden war, bestätigte ein von Kriminologen erstelltes Gutachten aus den neunziger Jahren. Für Toufar kam dieses offizielle Ergebnis, das selbst während des kommunistischen Regimes die wenigsten überrascht hätte, freilich zu spät. Nach schweren Misshandlungen durch die Staatssicherheit wurde der damals 47-Jährige am 25. Februar 1950 in ein Prager Sanatorium überführt, wo er wenige Stunden später verstarb. Als Todesursache trug der zuständige Arzt im Totenschein ein geplatztes Magengeschwür ein. Während des Prager Frühlings im Jahr 1968 gestand der Assistent dieses Arztes: „Er wurde auf ungewöhnlich brutale Weise zu Tode geprügelt.“

Mit Březinas Kammeroper wird diese Geschichte nun erstmals in einem Theater inszeniert. Damit künstlerisch auseinandergesetzt hat man sich bereits zuvor: Im kanadischen Exil verarbeitete Josef Škvorecký das Wunder von Číhošť und dessen Folgen 1972 in seinem Roman „Das Mirakel“, vor ein paar Jahren drehte Jaroslav Polišenský den Fernsehfilm „In nomine patris“. Im ersten Film über Josef Toufar sollte, nach den perfiden Vorstellungen der kommunistischen Machthaber, der Protagonist selbst die Hauptrolle spielen. Doch da Toufar sich weigerte und zu Beginn der Dreharbeiten zum Propagandafilm „Weh dem Menschen, der zum Abfall verführt“ schließlich  verstarb, übernahm der Ankläger der Politprozesse Karel Čížek die Rolle. Der Film lief nur wenige Tage in den tschechoslowakischen Kinos, aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit wurde er schnell abgesetzt.

Toufar | Autor: Aleš Březina, Regie: Petr Zelenka, Premiere: 18. und 19. September 2013, Divadlo Kolowrat (Ovocný trh 6, Prag 1), weitere Vorführungen: 16. Oktober (ausverkauft), 9. November, 6. Dezember, 28. Januar 2014, Koproduktion mit dem slowakischen Festival „Divadelná Nitra“, Informationen unter www.narodni-divadlo.cz und www.parallel-lives.eu

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