In die Tiefe des Ozeans leuchten

In die Tiefe des Ozeans leuchten

Der Videokünstler Roman Štětina erhält den Jindřich-Chalupecký-Preis. Ein Gespräch über „Columbo“ und das Mysterium der Kunst

27. 11. 2014 - Text: Franziska Neudert

Am Donnerstag vergangener Woche wurde Roman Štětina im Prager Messepalast die landesweit wohl bedeutendste Auszeichnung im Bereich bildende Kunst verliehen: der Jindřich-Chalupecký-Preis. „Die Jury würdigt damit den semantischen Reichtum und experimentellen Charakter des Videoprojekts von Štětina“, begründete die Vorsitzende der Juroren Holly Block vom Bronx Museum of Arts in New York die Entscheidung. Mit PZ-Redakteurin Franziska Neudert sprach der 28-jährige Künstler über seinen preisgekrönten Beitrag, die Last der Erwartungen und die verborgene Schönheit des Klangs.

Was bedeutet es für Sie, den Chalupecký-Preis zu gewinnen? Er gilt hierzulande ja als wichtigste Auszeichnung für junge Künstler.

Roman Štětina: Ich fühle mich noch immer wie ein Kunststudent – in dem Sinn, dass ich mir noch nicht vollkommen im Klaren bin, was die Kunst mir eigentlich bedeutet. Der Preis ist für mich natürlich eine Anerkennung dessen, was ich bisher gemacht habe. Es fühlt sich auch ein bisschen so an, als hätte ich gerade eine Prüfung bestanden. Am Morgen nach unserer Feier dachte ich: Mist, nun beginnt der Ernst des Lebens, der Spaß ist vorbei. Deshalb habe ich gemischte Gefühle. Ich versuche, mich von den Erwartungen der anderen, vom Druck nicht verschlucken zu lassen. Die Kunst soll mein Abenteuer bleiben, das ich mit Freude bestehe, ohne dass ich den Freiraum verliere, den sie mir gibt. Dass ich den Preis nun gewonnen habe, macht mich nicht zu einem besseren Künstler. Irgendjemand muss ja der Gewinner sein. Dass ich es bin, heißt, dass meine Arbeit irgendwie dem Geschmack der Jury am meisten gerecht wurde.

Für die Ausstellung der fünf Finalisten, die für den Preis nominiert wurden, haben Sie alle 69 Folgen der US-amerikanischen Krimiserie „Columbo“ zu einem Film zusammengeschnitten. Was hat es damit auf sich?

Štětina: Was mich an „Columbo“ so fasziniert hat, ist die Tatsache, dass Peter Falk, der in der Serie den Kommissar spielt, so eng mit der Figur verbunden ist, dass die Leute ihn schon gar nicht mehr als Peter Falk, sondern eben als Columbo wahrnehmen. Falk hat den Kommissar 35 Jahre lang verkörpert. In dieser Zeit ist er natürlich gealtert, trotzdem bleibt er immer derselbe. Der Zuschauer sieht keinerlei Entwicklung seines Charakters. Columbo bezieht sich nie auf vergangene Fälle, als hätte er kein Gedächtnis, keine Erinnerungen. Er existiert auf gewisse Weise jenseits der Zeit.

Was wollen Sie dem Zuschauer mit ihrem Film sagen?

Štětina: Mein Film heißt „Ztracený případ“ („Der verlorene Fall“, Anm. d. Red.), allerdings löst Columbo darin keinen Mordfall. Was ich abgebildet habe, ist eher eine Introspektion, während der er altert. Dabei bleibt unklar, ob es Peter Falk ist, den der Zuschauer sieht, oder doch Columbo. Denn der Film beginnt damit, dass Falk ein Filmstudio betritt, in dem er erste Hinweise auf ein Verbrechen findet. Ob das aber nur Szenerie oder die Realität des Kommissars ist, bleibt offen. Mein Ziel war dabei, dass der Zuschauer nicht bemerkt, dass der Film neu gemacht wurde.

Wie sind Sie eigentlich zur Kunst gekommen?

Štětina: Ich wollte schon als kleiner Junge ein Künstler sein. Leider konnte ich weder zeichnen oder malen noch Skulpturen formen. Später entschied ich mich, Ästhetik und Kunstgeschichte zu studieren. Aber auch in Theorie war ich nicht sonderlich gut. Ich hatte schließlich das Glück, dass ich Kurse von Dušan Zahoranský zum Thema Videokunst besuchen konnte. Er begründete in dieser Zeit eine neue Schule in Pilsen, die Mediendesign und Neue Medien lehrte. Zahoranský sagte mir, dass ich ein Künstler sein könnte, auch ohne die klassischen Disziplinen zu beherrschen. So wurden Klang, Video und Fotografie zu meinen künstlerischen Mitteln. Sie sind sozusagen die einzige Möglichkeit für mich, als Künstler zu arbeiten.

Was macht diese Medien für Sie so reich? Was fasziniert Sie beispielsweise am Klang?

Štětina: Ich mag Hörspiele mehr als Filme, weil sie mehr Raum für Fantasie und Vorstellungskraft lassen. Sie schaffen Freiraum, damit eigene Bilder im Kopf entstehen. Klang und Geräusch spielen bei meiner Arbeit allerdings eher als Thema, mit dem ich mich auseinandersetze, eine Rolle. Die Ergebnisse sind meistens visuell. Was mich dabei fasziniert, ist eine Art verborgene Ästhetik. In der Welt des Klangs gibt es viel verstecktes Anschauungsmaterial.

Was treibt Sie als Künstler bei Ihrer Arbeit an?

Štětina: Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht ist das etwas, was geheim bleibt. Ein Geheimnis, das ich auch nicht preisgeben möchte. Mich hat schon immer die Kraft fasziniert, die Künstler zum Arbeiten antreibt. Das bleibt wahrscheinlich das größte Mysterium der Kunst; man kann es nicht wirklich auf den Punkt bringen. Für mich ist meine Arbeit ein Werkzeug, das mir hilft, die Welt kennenzulernen. Die schwierigste Aufgabe der Kunst ist für mich, – sowohl als Künstler als auch als Betrachter – etwas zu zeigen, dass viel größer ist als die sichtbare Arbeit, das auszudrücken was sich hinter den Dingen verbirgt.

Kunst ist ein weites Feld. Verbindliche Kriterien dafür, was als Kunst gilt, haben sich mit der Moderne zunehmend aufgeweicht. Was macht Werke Ihrer Meinung nach zu Kunstwerken?

Štětina: Was Kunst zu etwas so Schönem macht, ist ihre Vielschichtigkeit und Komplexität. Kunst hat verschiedene Ebenen, auf denen sie funktioniert. In verschiedenen Menschen spricht sie verschiedene Seiten an. Wir sind wie die Wellen in einem Ozean. Wir fühlen uns zwar wie ganz unterschiedliche Individuen, am Ende haben wir aber den gleichen Ursprung. Das ist, was uns eint. Künstler schwimmen sozusagen in diesen Wellen, ihr Ziel muss es sein, etwas darzustellen, dass in die Tiefe des Ozeans vordringt. Ihre Arbeiten sollten nicht nur die Wellen widerspiegeln, sondern das, was sich darunter verbirgt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, diese Tiefe des Ozeans zu beleuchten. Wenn ein Werk das zu zeigen vermag, was sich hinter dem unmittelbar Sichtbaren verbirgt, dann ist es in meinen Augen ein funktionierendes Kunstwerk.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Štětina: So gut wie möglich der zu bleiben, der ich bin. Das heißt vor allem, mich nicht dem Erwartungsdruck zu beugen und nicht die Freude am Spiel mit der Kunst zu verlieren. Zunächst will ich meine Diplom­arbeit abschließen. Ich habe an der Kunsthochschule einen kleinen Schatz gefunden, den ich gern verarbeiten möchte: unzählige 35- und 16-Millimeter-Filme, von denen niemand genau weiß, was sie beinhalten. Ich möchte sie durchsehen und dann etwas daraus gestalten.

Der Film „Ztracený případ“ ist am 30. November um 12 Uhr sowie am 7., 14. und 21. Dezember um 17.30 Uhr im Kino Ponrepo zu sehen. Informationen und Tickets unter www.nfa.cz

Die multimedialen Arbeiten der Finalisten des Chalupecký-Preises sind bis 4. Januar im Prager Messepalast ausgestellt. Veletržní palác, Dukelských hrdinů 47, Prag 7, geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 110 CZK (ermäßigt 60 CZK)

Jindřich-Chalupecký-Preis

1990 von Václav Havel, Theodor Pištěk und Jiří Kolář ins Leben gerufen, wird der Jindřich-Chalupecký-Preis jährlich an junge Künstler unter 35 Jahren verliehen, die mit ihrer Arbeit einen herausragenden Beitrag zur bildenden Kunst geschaffen haben. Die Auszeichnung erinnert an einen der führenden tschechischen Kunsttheoretiker der dreißiger und vierziger Jahre. Obwohl Jindřich Chalupecký (1910–1990) während eines Großteils seines Lebens mit einem Publikationsverbot belegt wurde, setzte er sich unermüdlich für die Künstler seiner Zeit ein. Der Essayist und Kritiker war Sprecher der Künstlervereinigung Skupina 42 und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Listy pro umění a filosofii“ („Blätter für Kunst und Philosophie“). Chalupecký galt mit seiner Auffassung von Kunst seiner Zeit weit voraus. So machte er sich stets für jene Künstler stark, deren Arbeiten sich nicht dem gesellschaftlichen Konsens unterordnen ließen, und engagierte sich für eine unabhängige Kunst, die sich nicht politisch vereinnahmen lässt.

Mit der Auszeichnung ist ein Preisgeld in Höhe von 100.000 Kronen (etwa 3.600 Euro) sowie ein sechswöchiges Stipendium in New York verbunden. In diesem Jahr beteiligten sich 83 Nachwuchskünstler am Wettbewerb um den Chalupecký-Preis, von denen fünf in die engere Auswahl kamen. Neben Štětina zählten zu den Finalisten: Martin Kohout, Richard Loskot, Lucia Sceranková und Tereza Velíková.