Immer dem Ball nach

Immer dem Ball nach

Eindrücke eines Groundhoppers in den Stadien dreier Erstligisten

11. 5. 2016 - Text: Helge HommersText und Fotos: Helge Hommers

Drei Spieltage vor Saisonende geht es für die meisten Fußball­teams in die heiße Phase des Jahres. Nicht so für die Prager Vereine in der höchsten Spielklasse des Landes. Hier ist auch für den Saisonendspurt grauer Alltag garantiert, denn die wichtigsten Entscheidungen sind bereits gefallen: Sparta wird erneut nicht Meister, Slavia ist im Kampf um den Europapokal-Einzug auf Schützenhilfe von Mladá Boleslav im Pokalfinale angewiesen und sowohl Dukla als auch die Bohemians schafften bereits frühzeitig den Klassenerhalt. Trotz der geringen Aussicht auf grandiose Fußball-Festspiele, macht PZ-Mitarbeiter Helge Hommers den Selbstversuch und begibt sich als „Ground­hopper“ auf die Jagd nach einmaligen Stadionerlebnissen.

Groundhopping bezeichnet das Sammeln der Eintritts­karten von verschiedenen Fußball­stätten, die ein Fan im Laufe seines Lebens besucht hat. Ihren Ursprung hat die Bewegung in England. Im „Mutterland des Fußballs“ beschloss in den siebziger Jahren eine Gruppe von Fans, sämtliche Stadien der vier höchsten Spielklassen aufzusuchen. Diejenigen, die nachweisen konnten, alle 92 Spielstätten abgeklappert zu haben, bekamen eine besondere Krawatte verliehen. Im Laufe der Zeit schwappte der Trend auch nach Deutschland und in dessen Nachbarländer über und bot Hobbysuchenden, denen das Sammeln von Plüschtieren oder Briefmarken zu langweilig war, eine aufregendere Alternative.

Während die Erfinder des Groundhopping nur selten ihre Insel verlassen, fahren Fußballfanatiker auf dem europäischen Festland öfter mal über die Grenze. Einige Groundhopper opfern sogar einen Großteil ihrer Freizeit und finanziellen Rücklagen, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Solcher Probleme sah sich Helge Hommers nicht ausgesetzt, der seinen Auftrag am Wochenende mit Freude anging – auch ohne die Aussicht auf eine besondere Krawatte.

Freitag, 6. Mai: Dukla Prag – „Früher war alles besser“
Zu Beginn der sechziger Jahre war Dukla Prag der Topverein der damaligen Tschechoslowakei. Vier Meisterschaften in Folge, mehrere Pokalsiege und das Halbfinale im Europapokal der Landesmeister 1966/67 brachten dem Armeeklub auch inter­national große Anerkennung. Nach dem Ende des Kommunismus geriet der eher unbeliebte Verein (vergleichbar mit dem BFC Dynamo in der ehemaligen DDR) in Existenznot. Dukla musste zwischenzeitlich sogar in der fünften Liga antreten. Dank einer Teilfusion mit dem FC Příbram gelang jedoch der Wiederaufstieg in die höchste Spielklasse. Dass sich sowohl Dukla als auch Příbram auf die Historie des Armeevereins berufen, führt allerdings gelegentlich zu Irritationen.

Obwohl Dukla seine Heimspiele im Stadion Juliska und somit in der Spielstätte des ehemaligen Vorzeigeklubs austrägt, erinnert nur wenig an den Glanz der alten Tage. Ganze 1.200 Zuschauer verirren sich zum Heimspiel des Tabellen-Neunten gegen den abstiegsbedrohten SK Sigma Olomouc nach Dejvice, sodass das Juliska nicht einmal zu einem Viertel gefüllt ist. „Stadion­atmosphäre wird man hier nicht finden“, erzählt ein Anhänger. Und er hat recht: Es sind nicht einmal 15 Fans, die ihre Farben anfeuern und so etwas wie Stimmung erzeugen. Dafür bleibt die kleine Gruppe rot-gelber Schalträger hart­näckig und peitscht ihr Team trotz ausbleibender Unterstützung der anderen Zuschauer ohne Pause 90 Minuten lang nach vorne. Und die Spieler bedanken sich mit dem frühen Führungstreffer nach feiner Kombination durch Lukáš Štetina, woraufhin sich sogar der nörgelnde Dukla-Fan zumindest kurzzeitig von seinem Sitz erhebt. „Früher war alles besser hier“, sagt er, sinkt wieder nieder und betont: „Aber unsere Bratwurst ist die beste der Liga“.

Und in der Tat, die 40 Kronen für eine „klobása“ sind gut investiert. Ungewöhnlich erscheint jedoch die Beilage, die wie ein Häufchen Kartoffelbrei aussieht, sich aber als sehr scharfer Meerrettich offenbart. Wer hart im Nehmen ist, kann die Schärfe mit einem kühlen Gambrinus für 30 Kronen hinunterspülen. Sehr zu empfehlen ist hingegen die Cigáro, eine von einem Baguette ummantelte und mit gebratenen Zwiebeln belegte Wurst für 60 Kronen, die von der Länge her dem Unterarm eines Mannes nahekommt.

Ebenfalls einen Genuss stellt die Aussicht dar: Schaut man über das von einer schmucklosen Tartanbahn umgebene Spielfeld hinaus, erhält man einen wunderschönen Ausblick auf Prag, die Moldau und das die Stadt umgebende Grün.

Doch dafür lässt die Partie gegen Olomouc wenig Zeit, denn es geht hoch her. Mittelfeldgeplänkel ist Mangelware, Torraumaktionen auf beiden Seiten bestimmen das Bild. Und nach einer knappen Stunde gelingt Verteidiger Ondřej Vrzal per Kopf das 2:0 – mit Gesichtsmaske. Frenetisch bejubelt wird die Vorentscheidung vom Vereinsmaskottchen, das offensichtlich einen Bären darstellen soll, aber eher einem traurigen Monchichi ähnelt.

Das Aushängeschild des Vereins ist jedoch Josef Masopust, die vor einem Jahr verstorbene Legende des tschechischen Fußballs. Das Antlitz von „Europas Fußballer des Jahres 1962“ ziert nahezu jeden Schal und Fan­artikel des Vereins. Vor dem Stadion findet sich zudem eine Statue des Vizeweltmeisters, die von vielen Dukla-Anhängern für ein Foto genutzt wird – und als Erinnerung an eine ruhmreiche Vergangenheit.

Wurst und Bier sind bei Sparta teuer. Dafür haben die Zuschauer die Hände zum Klatschen frei.

Samstag, 7. Mai: Sparta Prag – Große Nase, aber kein Titel
Im Gegensatz zu Dukla kann Sparta auf eine einigermaßen erfolgreiche Spielzeit blicken, in der dem Rekordmeister der Einzug ins Viertelfinale der Europa League gelang. Der in Holešovice beheimatete Klub durfte somit zumindest auf internationaler Ebene jubeln – in der eigenen Liga und im tschechischen Pokalwettbewerb bleibt Sparta im zweiten Jahr in Folge ohne Titel. „Es war trotzdem ein gutes Jahr. Aber ich kann mich an Zeiten erinnern, da haben wir regelmäßig Champions League gespielt“, sagt der langjährige Sparta-Anhänger Ondra, dessen Team letztmalig 2005/06 der Einzug in die Gruppenphase von Europas Königsklasse gelang.

Ebenfalls wie aus ferner Zeit wirkt das Vereinslied, das wie die Nationalhymne eines ehemaligen Ostblockstaates klingt und von Großteilen der Anhänger­schaft – dem auf der Stadionleinwand mitlaufenden Songzeilen sei Dank – textsicher mitgesungen wird. Zudem darf auch bei Sparta das ligatypische Maskottchen nicht fehlen, das in Westeuropa nahezu ausgestorben ist. Bei Sparta ist, wie nicht anders zu erwarten, ein Spartaner mit überdimensional großer Nase der Einheizer.

Trotz des bedeutsamen Spiels gegen Liberec, in dem es um den zweiten Tabellenplatz und somit um die Champions-League-Qualifikation geht, sind nur knapp 8.800 Fans in die Generali Arena gekommen, deren Kapazität auf das Doppelte ausgelegt ist. Eine armselige Kulisse für ein Stadion, das Mitte der Neunziger renoviert wurde und das ebenso wie der Innenanstrich in den Farben gelb, rot und blau ein Blickfang ist. Zudem durchfährt die Reihen des Stadions ein beeindruckender Hall, wenn ein gelungenes Dribbling oder eine spektakuläre Grätsche durch anerkennendes Raunen quittiert wird. Und das ist gegen Liberec oft der Fall, denn nach einem vorsichtigen Abtasten übernimmt Sparta zunehmend die Spielkontrolle und führt bereits zur Pause mit 2:0. Den zweiten Treffer erzielte Ladislav Krejcí, der überragende Mann der Synot Liga und eines von Spartas Eigengewächsen. „Wenn er eine gute EM spielt, werden wir ihn im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht mehr hier spielen sehen“, vermutet Ondra.

Wer Krejcí zumindest in der zweiten Halbzeit noch sehen will, sollte trotz Hunger und Durst seinen Platz nicht verlassen. Zu lang sind die Schlangen an den Imbissständen, bei denen das ligatypische Gambrinus (40 CZK) und die „klobása“ (50 CZK) teurer sind als anderswo.
Während sich der Großteil der Anhänger trotzdem auf die Suche nach Nachschub begibt, harrt der harte Kern der Fans weiter in seiner Kurve aus. Dass sich diese unter dem Dach befindet und zudem recht schmal ausfällt, tut der Stimmung jedoch nicht gut. Nur wenige Gesänge erreichen die andere Seite der Generali Arena, in der die fanatischen Liberec-Anhänger den Ton angeben und erst nach dem Treffer zum 0:3 verstummen. Sparta gewinnt und wird mit ziemlicher Sicherheit auch im kommenden Jahr wieder inter­national spielen – vielleicht ja auch in der Gruppenphase der Champions League.

Leere Ränge sind in der Liga normal. Slavias Anhänger machen immerhin den größten Lärm.

Sonntag, 8. Mai: Slavia Prag – Laut und kalt, aber die Stimmung ist gut
In eben diese sieht sich schon bald Slavia Prag einziehen. Ein nicht zu hoch gestecktes Ziel angesichts der finanziellen Möglich­keiten, die dem „ewigen Zweiten“ seit der Finanzspritze aus China zur Verfügung stehen. Den passenden Rahmen für inter­nationale Spitzenspiele bildet die 2008 in Vršovice erbaute Eden Aréna mit einem Fassungsvermögen von 22.000 Zuschauern allemal. Fußballnostalgiker haben für diese Spielstätte allerdings nur ein Kopfschütteln übrig: Nebenan befindet sich ein Einkaufszentrum, am Stadion ein amerikanisches Schnellrestaurant und innen drin ein Hotel.

Von den neuen Investoren aus Fernost ist hingegen nur wenig zu sehen. Nur vereinzelt zieren Banner mit chinesischen Schriftzügen die hohen Fassaden, der in roter Farbe gehaltenen Eden Aréna. Optisch kommt diese einem Fußballtempel sehr nahe und ist eine Augenweide – ebenso wie die Decken­verkleidung aus Holz. Leider ist es an so gut wie jedem Platz des Stadions trotz Sonnenschein ziemlich kalt, da durch einen Spalt zwischen höchster Sitzreihe und Stadiondach Windböen ins Innere gelangen und durch die Reihen wehen.

Trotz der enttäuschenden Zahl von 6.000 Zuschauern ist die Stimmung, die von der Nord­tribüne ausgeht, beeindruckend. Neben den Fans ist das aber auch dem Stadionsprecher zu verdanken, dessen Mikrofon – ebenso wie die nervigen Werbe­spots während der Partie – auf ohrenbetäubende Lautstärke eingestellt ist. Die Akteure auf dem Feld lassen sich davon nicht beeindrucken. Etwas über­raschend geht der Gastgeber durch Antonín Barák in Führung. Kurz vor der Halbzeit legt der 21-Jährige nach und erhöht auf 2:0. Slavia-Fan Honza freut sich: „Vor ein paar Jahren waren wir fast pleite. Dafür geht es uns aktuell wieder gut, wie man heute sehen kann“, sagt er. „Man darf aber natürlich auch nicht vergessen, dass wir vor ein paar Jahren noch Champions League gespielt haben“.

Bereits in internationalen Sphären angekommen ist der gastronomische Service. Mehr als zehn Angestellte pro Imbissbude garantieren kurze Warte­zeiten. Zum üblichen Gambrinus für 35 Kronen ist vor allem die „klobása“ zu empfehlen, die zum einen verhältnismäßig günstig (40 CZK) und zum anderen mit drei Brotscheiben reich bestückt ist.

Auf dem Platz laufen die Slavia-­Spieler im zweiten Spiel­abschnitt zu Höchstform auf und stürmen zu einem 5:1-Heimsieg, dessen Schlusspunkt Stürmer-Oldie Milan Škoda vorbehalten ist. Dank seines 14. Saisontores ist der 30-Jährige nur einen Treffer von der Spitze der Torjägerliste entfernt und schießt Slavia somit möglicherweise doch noch zu einem Titel.

Gespannt darf man hingegen auf die kommende Entwicklung des Vereins sein. Möglicherweise sind in den nächsten Jahren ja auch Erfolge auf internationaler Ebene möglich. Der Liga würde das mit Sicherheit guttun. Und vielleicht ja auch den anderen Vereinen Aufschwung geben, sodass das Schwelgen in der Vergangenheit in Zukunft auch der Vergangenheit angehört.

SYNOT LIGA: Letzter Spieltag
14. Mai, 15.30 Uhr
SK Sigma Olomouc – FK Teplice
AC Sparta Prag – FC Vysočina Jihlava
SK Slavia Prag – FC Viktoria Pilsen
FC Fastav Zlín – Bohemians Prag 1905
FK Mladá Boleslav – FC Slovan Liberec
FK Baumit Jablonec – 1. FK Příbram
FK Dukla Prag – 1. FC Slovácko
FC Baník Ostrava – FC Zbrojovka Brünn