Ich war hier!

Ich war hier!

Die tschechische Graffiti-Künstlerin Sany hat einen Film über Sprayerinnen auf der ganzen Welt gedreht. Nach sieben Jahren feiert „Girl Power“ Premiere in Prag

24. 2. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Fotos: Sany

Für die einen Sachbeschädigung, für die anderen Kunst. Unzählige Artikel und Filme über Graffiti bedienen sich dieser einleitenden Phrase. Dass es den Sprayern möglicherweise weder um das eine, noch um das andere geht, und was sie wirklich antreibt – davon liest und hört man wenig. Das hat nachvollziehbare Gründe. Graffiti ist eine Subkultur. Illegal. Viele „Writer“ werden von der Polizei gesucht. Die Tschechin Sany ist seit 15 Jahren in der Szene aktiv, als eine von wenigen Frauen. Sieben Jahre hat sie an der Dokumentation „Girl Power“ über weibliche Graffitisprayer gearbeitet, die am kommenden Samstag, ­27. Februar im Prager Kino Lucerna Premiere feiert.

Im Film "Girl Power" sind Sprayerinnen aus 15 Städten zu sehen

„Ich war hier. Ich habe existiert. Ich lebe.“ Spuren zu hinterlassen ist ein menschliches Bedürfnis. Zu Beginn von „Girl Power“ werden Höhlenmalereien gezeigt – die Ursprünge von Graffiti? Es folgt ein gewaltiger Zeitsprung ins New York der siebziger Jahre, wo der griechische Teenager Demitaki damit begann, simple Schriftzüge („Tags“) an so vielen Hauswänden und U-Bahnen wie möglich zu hinterlassen. Als Taki183 ging er in die Geschichte ein. Der „New York Times“ sagte er damals, er mache es nicht, um berühmt zu werden, um Mädchen zu beeindrucken oder eines Tages zum Präsidenten gewählt zu werden. Er mache es für sich selbst; er müsse es einfach tun.

Taki183 fand schnell zahl­reiche Nachahmer. Konkurrenz wurde neben dem Bedürfnis, Beweise und Spuren der eigenen Existenz zu verewigen, zu einem wichtigen Element der neuen Subkultur. Wer hinterlässt die meisten Tags, wer überwindet die höchsten Mauern, um seinen Schriftzug auf Wände und U-Bahnen zu sprühen? Qualität und Quantität, beides zählt in der Welt der Sprüher. Unbestrittene Königsdisziplin ist das Bemalen von Zügen, die den Namen des Autors durch ganze Städte transportieren. Nicht wenige Graffitimaler sind dabei ums Leben gekommen.

Damit ist fast schon erklärt, warum Frauen in der Szene in der Unterzahl sind. Aggressiver Wettkampf, legale und körperliche Risiken – dem setzen sich nicht viele gerne aus. Die Graffiti­szene ist eine Macho-Kultur. Und wie im „normalen“ Leben ist auch die Vereinbarkeit von Familie und Karriere ein Problem. „Mit einem Babybauch rennst du nicht mehr rum und sprühst illegale Graffiti“, erklärt im Film beispielsweise die Nieder­länderin Mick la Rock, die inzwischen als Künstlerin ihr Geld verdient. Mit leuchtenden Augen erzählt sie aber auch vom Adrenalinrausch, vom Kick, der mit der Illegalität verbunden ist. Die Wohnung, in der sie mit ihrem kleinen Sohn wohnt, liegt in Sichtweite einer Bahnlinie. Bei jedem vorbeifahrenden Zug hält sie nach Schriftzügen Ausschau.

Eine Form von Abhängigkeit
Die Pragerin Sany kam mit 15 Jahren zum Sprühen. „Auf meinem Schulweg tauchten jeden Tag neue Graffiti-Namen entlang der Tramlinie auf. Das faszinierte mich. Ich begann, auf Papier zu malen und schließlich auch draußen mit meinen Freundinnen.“ Die Crew „Girl Power“ war geboren. Und stieß in der männlich dominierten Szene auf Widerstand. „Geht zurück in die Küche“ wurde über eines ihrer „Pieces“ gesprüht. Im Jahr 2009 war Sany die einzige noch aktive Frau in Prag. „Ich wusste aber, dass es in anderen Ländern viele Writerinnen gibt. Mich interessierte ihre Motivation, warum sie sich der Gefahr aussetzen und natürlich wollte ich sie auch kennenlernen. Nicht zuletzt wollte ich den weiblichen Teil der Szene unterstüzten.“ Die Idee zum Film war geboren.

Als Sany mit den Dreharbeiten begann, führte sie ein Doppel­leben. Sie arbeitete in einer Führungs­position in einem Büro, studierte Marketing. „Ich wechselte die Rollen je nach Bedarf.“ Für den Film kündigte sie ihren Job und gab ihr bürgerliches Leben nahezu auf. Stattdessen reiste sie nach Kapstadt, um Wände in Armenvierteln zu besprühen, traf russische Writerinnen in Moskau, besuchte die berühmte Hip-Hop-Fotografin Martha Cooper in New York und besprühte mit der von Interpol gesuchten „Utah“ eine Prager U-Bahn. In 15 Städten traf Sany Frauen, die sich im Untergrund behaupten. Gleichzeitig kämpften die Pragerin und ihr Kamera­team um die Finanzierung des Films, an der das Projekt immer wieder zu scheitern drohte.

Das hinter alledem ein gewisser Wahnsinn steckt, bestreitet Sany nicht. „Für den Film habe ich viele Dinge aufgegeben. Einem normalen Menschen muss das unlogisch vorkommen.“ Warum sie all das macht, kann sie nicht erklären, genauso wenig wie die anderen Protagonistinnen in „Girl Power“. „Es ist eine Form von Abhängigkeit“, heißt es in der Presse­mitteilung zum Film. „Graffiti ist Leidenschaft und Flucht. Es ist Sinn, Liebe, Religion, Sucht.“ Es hinterlässt Spuren.