Hochglanz und Elend

Hochglanz und Elend

Das Czech Photo Centre in Nové Butovice versammelt mehr als 100.000 tschechische Pressefotos. Künftig soll es zu einem landesweiten Zentrum der Fotografie werden

27. 10. 2016 - Text: Franziska Neudert, Fotos: Czech Photo Centre, Martin Matějka

Er muss einem Science-Fiction-Roman entflohen sein. Oder er kam von einem anderen Stern und landete über Nacht. Trifot ist sein Name. Seit knapp zwei Wochen ragt das roboterartige Wesen auf seinen haushohen Beinen in Nové Butovice in den Himmel. Seine großen Kugelaugen bewegen sich unermüdlich. Sie scheinen die Menschen zu beobachten, die aus der U-Bahn in ihre Wohnungen in Prag 5 strömen.

Trifot ist nicht etwa ein Geschöpf Karel Čapeks, das unerwartet zum Leben erwacht ist, und er stammt auch nicht vom Sternensystem Alpha Centauri. David Černý schuf die Skulptur, die nun auf dem Platz vor der Metro-Station in Nové Butovice steht. Dort wacht die Stahlfigur über das vor kurzem eröffnete Czech Photo Centre. Es soll nicht nur alle tschechischen Pressefotos der vergangenen 22 Jahre beherbergen, sondern auch zu einer Begegnungsstätte für Fotografen werden.

Aus dem Archiv des Czech Photo Centre: Giraffen im Prager Zoo

Hana Smitková öffnet die Tür zu dem futuristisch anmutenden Galerieraum. Es riecht noch nach frischer Farbe, die Wände strahlen in Weiß. An der Decke verlaufen Rohre; alles glänzt und sieht teuer aus. Gerahmte Fotografien zeigen den Krieg im Irak, afrikanische Armutsviertel, bunte Paradiesvögel und die schillernde Welt Hollywoods. Schönheit und Elend liegen nah beieinander in dieser Ausstellung, mit der das Czech Photo Centre seine Besucher empfängt. Sie trägt den Titel „Fragen ohne Antworten“ und versammelt Bilder der US-amerikanischen Fotoagentur „VII“.

Zwei Jahre dauerte der Bau des modernen Gebäudes, in dem das Zentrum für Fotografie untergebracht ist. Bisher befand sich das Archiv der besten tschechischen Pressefotos in der Rytířská-Straße nahe dem Obstmarkt (Ovocný trh). Die Räume waren jedoch zu klein, das Archiv hatte keinen Platz für weitere Aufnahmen. Warum liegt das neu gegründete Czech Photo Centre nun so weit vom Stadtzentrum entfernt?

Die Innenarchitektin Smitková arbeitet als Managerin für die Galerie. Ihre Erklärung ist nüchtern und einfach. Die Baufirma, die das Gebäude errichtete, gehört dem Mann von Veronika Souralová. Sie wiederum leitet seit über einem Jahr den Wett­bewerb um das beste tschechische Pressefoto und nun auch das Czech Photo Centre. „Wir können hier also günstig Räume mieten“, meint Smitková. Wie sich das neue Zentrum genau finanziert, will sie aber nicht verraten.

Sie öffnet eine schwere Stahltür, hinter der eine Treppe ins Untergeschoss führt. Dort befindet sich ein weiterer Raum, in dem derzeit Bilder für eine Ausstellung in Hradec Králové ausgewählt und gerahmt werden.

Im Archiv lagern über 100.000 Fotos.

Smitková öffnet noch eine Tür und zeigt stolz das Archiv. In den Regalen lagern alle ausgezeichneten Pressefotos seit dem Jahr 1995, als der Wettbewerb erstmals ausgerufen wurde. Mehr als 100.000 Bilder sollen es sein, aber so genau könne man das nicht sagen. „Es ist unmöglich, sie zu zählen“, meint die Managerin.

Werben mit Wein
Mit jedem Wettbewerb kommen neue Bilder hinzu. Die aktuell prämierten Pressefotos werden wie gewohnt zunächst im Altstädter Rathaus gezeigt. Danach landen sie im Archiv, wo sie gescannt, in Kartons geschichtet und aufbewahrt werden. Smitková, Souralová und zwei Helfer wollen die Aufnahmen in einem Register erfassen, sodass sie auch digital verfügbar sind. Wie lange wird das wohl dauern? „Ein paar Jahre?“ Smitková lacht und runzelt die Stirn. Auf die Frage, ob sie bei all den Bildern, die bereits durch ihre Hände gingen, auch welche besonders berührten, schüttelt sie den Kopf. „Natürlich, aber was das genau war, kann ich nicht mehr sagen. Womöglich ein schönes Porträt oder eine Naturaufnahme. Es hängt ja auch von der Situation ab, was mich gerade bewegt.“

Neben dem Archiv, der Galerie und einem Café verfügt das Czech Photo Centre über ein Atelier und einen Seminarraum. Darin sollen Workshops für Studenten und Senioren stattfinden. Dass es hier alles an einem Ort gibt, unterscheide das Czech Photo Centre von anderen Galerien. Wenn sie ihr Ziel erreichen, so Smitková, dann entwickelt sich das Zentrum zu einem landesweiten Treffpunkt für alle Fotoliebhaber – egal ob Berufs­fotografen oder Amateure. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Derzeit kämen täglich etwa 20 bis 50 Besucher, die meisten seien Prager.

Das Café lädt zur Pause ein.

Vielleicht verhilft der Museums­shop zu mehr Bekanntheit. Darin werden nicht nur Ausstellungskataloge und Postkarten verkauft, sondern auch T-Shirts, Weinflaschen und Gläser mit einem Bild des Trifot. Übertrieben findet Smitková das nicht. Heutzutage würden fast alle Galerien ihre eigenen Produkte vertreiben, sagt sie. Und der Trifot sei schließlich die Marke des Czech Photo Centre.

Im Trifot verbergen sich Kameras, die den Platz und die Menschen aufnehmen.

Das vieläugige Wesen auf dem Platz vor der Galerie wird derweil von einer Horde Kinder begutachtet. Sie wissen nicht, dass sich in seinem Körper mehrere Kameras verbergen, die ihre Neugierde aufnehmen. Erstaunt entdecken sich die Knirpse schließlich selbst auf einem Flachbildschirm, der nur wenige Meter von der Skulptur entfernt steht. Die Installationen gehören mit Bänken und einigen Bildern als Outdoor-Galerie zum Czech Photo Centre und sollen die Passanten in die Welt der Kunst entführen. Smitková beobachtet die Kinder von innen. „Es soll vor allem auch Freude machen.“

Czech Photo Centre. Seydlerova ulice, Prag 5, geöffnet: Mo.–Fr. 11 bis 19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, www.czechpressphoto.cz

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